Nach ihrem Vormarsch in Syrien und im Irak hat die Dschihadisten-Miliz Isis ein grenzübergreifendes Kalifat ausgerufen. Zum Kalifen wurde der Anführer der Terrorgruppe, Abu Bakr al-Baghdadi, bestimmt. Alle Muslime müssten ihm Gefolgschaft schwören, hieß es am Sonntag in einer Audiobotschaft eines Isis-Sprechers. Ein Kalifat ist ein auf islamischen Gesetzen basierendes Staatswesen, in dem die weltliche und religiöse Führung in einer Hand liegen.
Laut der Audiobotschaft benannte sich Isis, die Kurzform für Islamischer Staat im Irak und Syrien, zudem in „Islamischer Staat“ um. Die Authentizität der Aufnahme ließ sich zunächst nicht überprüfen. Die Islamisten sorgten ferner mit einer neuen Gräueltat für Entsetzen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich zutiefst besorgt über eine Verschärfung der Krise. US-Präsident Barack Obama warnte vor der Gefahr von „Dschihad-Touristen“.
Die sunnitische Miliz kontrolliert einige Regionen im Bürgerkriegsland Syrien und ist seit Anfang Juni auch im Irak auf dem Vormarsch. Dort hat sie im Norden und Westen des Landes weite Teile eingenommen. Mit der Ausrufung eines Kalifats nimmt die Gruppe Bezug auf die islamischen Reiche in der Nachfolge des Propheten Muhammad. Das letzte Kalifat hatte die türkische Regierung 1924 nach dem Ende des Osmanischen Reiches abgeschafft.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Im Irak lieferten sich die irakische Armee und Isis-Milizen am Wochenende schwere Kämpfe um die Stadt Tikrit. Widersprüchliche Berichte gab es über die militärische Lage. Die BBC meldete unter Berufung auf Augenzeugen, die Armee habe sich wegen großen Widerstands südlich von Tikrit zurückziehen müssen. Das regierungstreue Nachrichtenportal Al-Sumeria berichtete dagegen, die Armee sei tiefer in die Stadt eingedrungen und habe große Teile von Aufständischen „gesäubert“. Mit der am Samstag begonnenen Offensive auf Tikrit versucht die Armee, die strategisch wichtige Stadt von der Terrorgruppe zurückzuerobern. So will sie den weiteren Vormarsch der Extremisten auf die rund 170 Kilometer entfernte Hauptstadt verhindern. In Bagdad traf am Sonntag die erste Lieferung von fünf gebrauchten russischen Kampfflugzeugen zur Unterstützung der Regierungstruppen ein. Die Maschinen des Typs Suchoi Su-25 seien bald einsatzbereit, teilte das Verteidigungsministerium mit.
Isis war ursprünglich ein Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida. In diesem Frühjahr kam es jedoch zum Bruch. Nach Einschätzung von Experten kämpfen beide Gruppen nun um die Vormachtstellung in der Dschihad-Bewegung. Die Isis-Milizen gehen äußerst grausam vor. Nahe Aleppo im Norden Syriens richteten ihre Kämpfer acht Männer öffentlich hin und kreuzigten sie, wie die oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien berichtete. UN-Generalsekretär Ban rief alle Konfliktparteien zum Schutz von Zivilisten und zur Wahrung der Menschenrechte auf.
US-Präsident Obama warnte vor „Dschihad-Touristen“. Europäer, die zum Kämpfen in die Region reisten, könnten auch eine Gefahr für die Sicherheit Amerikas darstellen. Die Dschihadisten sammelten in Syrien und nun im Irak Kampferfahrung, sagte er am Sonntag im Fernsehsender ABC-News. „Dann kommen sie zurück. Sie haben europäische Pässe. Sie brauchen kein Visum, um in die Vereinigten Staaten einzureisen“, warnte Obama. Es sei daher wichtig, dass die USA ihre Geheimdienst- und Überwachungsaktivitäten in der Region ausbauten. Spezialkommandos spielten eine große Rolle. „Und es wird Schläge gegen Organisationen geben, die uns gefährden könnten“, sagte Obama.