Besorgt blicken in diesen Tagen Energieexperten auf den Irak und Syrien, wo die Terrorgruppe ISIS ein Ölfeld nach dem anderem unter ihre Kontrolle bringt. Durch das Chaos, das die islamistischen Krieger verbreiten, könnte das irakische Öl über Jahre nicht den Weg auf den Weltmarkt finden – der Ölpreis könnte, so befürchten die Experten, spürbar steigen.
Über 10.000 Kilometer entfernt von den irakischen Turbulenzen spielt sich eine ganz andere, eine viel größere Umwälzung am Öl-Markt ab: Die USA produziert heute bereits über 11 Millionen Barrel Öl pro Tag und liegt fast gleich auf mit Top-Produzent Saudi-Arabien. Russland rangiert hinter Saudi-Arabien und den USA mit gut 10 Millionen Barrel auf Platz drei. Der Irak erreicht derzeit nicht einmal ein Drittel der US-Produktion.
Fracking-Boom in den USA
Während jedoch in Saudi-Arabien die Öl-Vorräte zur Neige gehen, wird in den USA mit dem weltweit stärksten Förderanstieg gerechnet. In nur drei Jahren verdreifachte sich die Öl-Menge, die in den USA aus Wüstenböden, aus arktischem Permafrostboden und vom Meeresgrund gepumpt wird. In diesem Tempo soll es weitergehen: Schon 2015 wird die USA laut einer Studie der Internationalen Energie-Agentur Saudi-Arabien als größten Öl-Produzenten der Welt ablösen.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Möglich macht das Wachstum eine neue Fördertechnik. Wie bei der Förderung von Gas kann auch Öl durch das unterirdische Aufbrechen von Gestein (Fracking) gewonnen werden. Das Verfahren macht Öl verfügbar, das früher als unerreichbar galt. Die fünf ölreichsten US-Bundesstaaten sind Texas, North Dakota, Alaska, Kalifornien und New Mexiko. Als eigenständiges Land wäre Texas der sechstgrößte Ölproduzent der Welt. Das zweitplatzierte North Dakota ist der Inbegriff des Fracking-Booms: In den vergangenen zehn Jahren verzehnfachte sich dort die Öl-Produktion.
Durch den starken Anstieg der Ölproduktion kann sich die USA wieder etwas erlauben, was jahrzehntelang lang verboten war: Öl zu exportieren. In den 70er-Jahren hat die US-Regierung den Export von heimischem Öl verboten, um die Abhängigkeit der USA von ausländischem Öl zu verringern. In der vergangenen Woche begann mit dem ersten Ölexport seit 40 Jahren womöglich ein neues Kapitel für die US-Öl-Industrie. In Texas machte sich der Öltanker „BW Zambesi“ mit Öl im Wert von 40 Millionen Dollar auf den Weg nach Südkorea.
Nebenwirkungen sind weiterhin unklar
Das generelle Exportverbot ist zwar immer noch in Kraft. Doch dieses Verbot gilt nur für Rohöl. Die exportierende Ölfirma aus Texas fand einen Weg, den Export mit bearbeitetem Öl durchzuführen. Andere Ölfirmen könnten nachziehen und mit ähnlichen Tricks das Exportverbot umgehen.
Die geostrategischen Auswirkungen der neuen Lage am Ölmarkt sind immens. Durch die stark steigende eigene Öl- und Gasproduktion, durch die zusätzliche Erzeugung erneuerbarer Energie und Energiesparmaßnahmen könnte die USA in 15 Jahren unabhängig von Energieexporten sein. Das Land wäre dann nicht mehr darauf angewiesen, sich mit tendenziell amerikafeindlichen Öllieferanten wie Russland, Venezuela oder Iran gutzustellen. Die USA könnte diese Länder durch ihre Energieexporte sogar schwächen.
Allerdings muss Amerika für die neue Freiheit womöglich einen hohen Preis bezahlen. Laut eines neuen Gutachtens des Umweltbundesamtes ist Fracking aufgrund der eingesetzten Chemikalien mit großen Risiken für die Umwelt und die Gesundheit von Anwohnern verbunden. Bis Klarheit über die tatsächlichen Auswirkungen besteht sollte laut Umweltbundesamt auf Fracking in Deutschland verzichtet werden.