Essay Vom Scheitern einer europäischen Währungsunion

Die Eurozone hat eine fast vergessene Vorläuferin. Aus der Geschichte der Lateinischen Münzunion hätte man manches lernen können. Nicht nur über griechische Staatsfinanzen.

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Die größten Staatspleiten
England 1345 Quelle: Gemeinfrei
Österreich 1811 Quelle: Gemeinfrei
Griechenland 1893 Quelle: Gemeinfrei
Lenin Quelle: dapd
Kinder spielen 1923 mit wertlosen Markscheinen Quelle: AKG
Demonstrnten in Buenos Aires, im Jahre 2001 Quelle: AP
Blick auf Rio De Janeiro Quelle: dpa

Der Euro wird noch mindestens 400 Jahre existieren, so lange wie der römische Denar in der Antike. Das glaubt zumindest einer seiner Schöpfer, Theo Waigel. Und dann, so sagte der Ex-Finanzminister kürzlich in einem Interview, werde der Euro von einer „Weltwährungsunion“ abgelöst.

Doch Waigels Zukunftstraum vom einheitlichen Weltgeld ist längst Geschichte. Ihn träumten schon vor rund 150 Jahren viele Finanzpolitiker. Und sie erlebten ein unangenehmes Erwachen, als sie versuchten, ihn zu realisieren.

Das 19. Jahrhundert war ein Jahrhundert der Währungsunionen. Da waren einerseits die neuen Währungen in der Folge nationaler Einigungen. Die Mark im Deutschen Reich und die Lira in Italien beendeten das monetäre Durcheinander in beiden Ländern. An der Mark hat, bis zur politischen Teilung Deutschlands nie jemand ernsthaft gerüttelt. Kein Deutscher wollte seither den preußischen Thaler, den Friedrich d‘Or und den süddeutschen Gulden zurück haben, kein Italiener den Grano, Zecchino, Florin oder Giulio. In einem gemeinsamen Staat gibt es keinen Bedarf für getrennte Währungen.

Kaum Spuren im Europäischen Gedächtnis

Aber es gab auch zwei übernationale Währungsunionen in Europa. Die Nordische und – weitaus wichtiger – die Lateinische Münzunion. Im historischen Gedächtnis Europas haben diese gescheiterten Unionen erstaunlicherweise keine tiefen Spuren hinterlassen, nicht einmal bei Wirtschaftshistorikern, obwohl sie jahrzehntelang Europa prägten. Rund 50 Jahre lang, bis zum Ersten Weltkrieg, wirtschaftete ein großer Teil der Europäer mit demselben Geld, auch wenn es verschiedene Namen hatte. 

Die Keimzelle der ersten internationalen Währungsunion liegt in Paris, der wichtigsten Finanzmetropole des 19. Jahrhunderts. Der französische Franc war die europäische Musterwährung der ersten Jahrhunderthälfte. 1803 war er per Gesetz festgelegt auf eine Münze von fünf Gramm 90-prozentigem Silber. Das Wertverhältnis zwischen Gold und Silber war gesetzlich auf 1:15,5 festgelegt worden. 20-Franc-Münzen wurden in Gold geprägt. De facto hatten Italien, Belgien und die Schweiz in der Mitte des Jahrhunderts dieses Währungssystem kopiert, ein Schweizer und ein belgischer Franken und eine italienische Lira hatten denselben Silber- oder Goldgehalt wie ein französischer Franc. Im Alltag wurden sie oft nebeneinander verwendet.

Der erste Schritt zum Weltgeld

Darum geht es im Ökonomenstreit
Seit drei Wochen spaltet ein heftiger Streit um die Euro-Rettungspolitik Deutschlands Ökonomenzunft. WirtschaftsWoche Online dokumentiert, wer sich in den vergangenen Wochen zu Wort gemeldet hat. Quelle: rtr
Gustav Horn"Die Sprache dieser Ökonomen stößt mich ab. Sie ist geprägt von nationalen Klischees und einem latenten Nationalismus aus PR-Gründen. Ich schäme mich, dass  so viele  Kollegen ein solches Dokument unterzeichnen. Das wirft kein gutes Licht auf unsere Zunft.“ “Ich wünschte Hans Werner Sinn würde in Urlaub fahren und schweigen.“„Er (Sinn) will offenbar den Euro zerstören.” Quelle: dpa
IW-Chef Michal Hüther „Der Aufruf  ist nicht wissenschaftlich, sondern rein emotional.“„Ich glaube, viele der Unterzeichner haben den Aufruf gar nicht richtig gelesen, den man ihnen da vorgelegt hat.“ Quelle: dapd
Peter Bofinger"Der Aufruf schadet dem öffentlichen Ansehen der deutschen Wirtschaftswissenschaft" Quelle: dapd
Dennis Snower„Der erste Aufruf war sehr emotional. Natürlich haben auch Ökonomen Emotionen, aber hilfreich war diese Aktion nicht.“ Quelle: dpa
Walter Krämer„Was von unseren Gegnern an Gehässigkeit in die Tinte geflossen ist, das ist ja kaum zu glauben. Leute wie Herr Bofinger, der übrigens eine akademische Nullnummer ist. Keiner nimmt ihn ernst, er ist nur in den Rat gekommen, weil von den Gewerkschaften rein kooptiert worden ist. Wenn hier jemand auf Stammtischniveau argumentiert, dann die Gegenseite.“
Hans-Werner Sinn und Walter Krämer in einem FAZ-Gastbeitrag„Wir weisen die Anschuldigung, die Öffentlichkeit sei in unserem Aufruf falsch informiert worden, entschieden zurück” Quelle: dpa

Diese inoffizielle Währungsunion geriet in Gefahr, als nach 1860 an der Londoner Börse der Wert von Gold gegenüber Silber auf 1:15 sank. Das führte dazu, dass Händler Silbermünzen des Franc-Blocks einsammelten, sie in London gegen Gold eintauschten und dieses bei französischen Banken zum festgeschriebenen Kurs von 1:15,5 verkauften. Die Länder des Franc-Blocks reagierten mit der Senkung des Silbergehalts ihrer Münzen. Da sie das unkoordiniert taten, waren die Münzen nicht mehr austauschbar. Das war der Anlass zur Schaffung einer tatsächlichen, völkerrechtlich wirksamen Währungsunion. Im Dezember 1865 beschlossen Frankreich, Italien, Belgien und die Schweiz die "Convention Monétaire", in Deutschland üblicherweise "Lateinische Münzunion" genannt. Der französische, belgische und der Schweizer Franken behielten ebenso wie die italienische Lira ihren Namen, aber die Staaten verpflichteten sich auf einen gemeinsamen Silber- oder Goldgehalt ihrer Münzen. Eine Bank in Belgien musste eine italienische Lira zum Wert eines Franc annehmen. Kleingeld, die so genannten Scheidemünzen, und vor allem das an Bedeutung gewinnende Papiergeld bezogen ihren Wert damals nur aus der Edelmetall-Zahlungsgarantie der emittierenden Banken – und sie galten nur im ausstellenden Land. 

Von der Vision zur Dauerbaustelle

Die Union war dabei nur als erster Schritt zu einem höheren Ziel gedacht. Alle "zivilisierten Nationen" waren ausdrücklich eingeladen, der Union beizutreten. Hinter der Münzunion steckte wie hinter jeder Währungsunion eine politische Vision, die über den rein ökonomischen Nutzen eines größeren Währungsraumes hinausgeht. Im Falle der deutschen und der italienischen Währungsunionen war das die nationale Idee. Im Falle der lateinischen Münzunion war es - neben den machtpolitischen Zielen des französischen Kaisers Napoleon III. - die Idee des Weltgeldes, die wiederum ein Teil der allgemeinen Internationalisierungsbewegung war: Das Internationale Büro für Maß und Gewicht (1875), die Internationale Fernmeldeunion (1865), der Weltpostverein (1874) und viele andere internationale Organisationen sind in dieser ersten Epoche der Globalisierung entstanden.

Auch Preußen und Österreich verhandelten zeitweilig über den Beitritt. Mehrere Staaten - Spanien, Bulgarien und Rumänien zum Beispiel - traten zwar nicht bei, koppelten ihre Münzwährungen aber über den Silber- und Goldgehalt inoffiziell an den Franc.  

Die Lateinische Münzunion funktionierte formal einigermaßen. Der grenzüberschreitende Handel im sich damals schnell industrialisierenden Europa jedenfalls profitierte – wie heute – von geringen Transaktionskosten. Aber die große Euphorie für die eine internationale Währung war bald eingeschlafen. Volkswirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedern und vor allem die mangelnde Haushaltsdisziplin der Staaten machten die Union zu einer Dauerbaustelle, die in mancher Hinsicht an die Gegenwart erinnert.

Sorgenkind Griechenland

Die Volkswirtschaften der lateinischen Münzunion waren damals nicht weniger unterschiedlich als die der heutigen Euro-Zone. Belgien war ein politischer Zwerg, aber wirtschaftlich florierend mit einer hochentwickelten und exportstarken Textil- und Schwerindustrie. Das Frankreich Napoleons III. war zwar jenseits der großen Städte noch relativ wenig industrialisiert, aber politisch und kulturell dominant. Italien war - damals wie heute – im Norden modern und wettbewerbsfähig, im Süden völlig rückständig.

Das Problem der Union konzentrierte sich in Griechenland. Das völlig rückständige Land mit Korinthen als einzigem Exportprodukt war 1868 beigetreten - und begann sofort zu schummeln. Athen deckte seine auch damals unkontrollierten Staatsausgaben, indem es fleißig ungedeckte Papier-Drachmen druckte und dafür aus den anderen Unionsländern stammende Gold- und Silbermünzen einzog. Nach einer Umschuldung und einem totalen Bankrott - mit anschließender internationaler Aufsicht über die Staatsfinanzen - wurde Griechenland 1908 aus der Union geworfen. Doch auch die anderen Mitgliedsstaaten interpretierten die Bindungskraft des Unionsvertrages ganz nach eigenen Bedürfnissen. Wenn das Vaterland oder der Finanzminister in Not war, galt die Münzunion wenig. Schon im ersten Jahr ihres Bestehens, 1866, entband Italiens Regierung die Banca Nazionale von der vertraglichen Verpflichtung, Banknoten gegen Gold oder Silber einzulösen. Im Gegenzug erhielt sie dafür einen Kredit für den Krieg gegen Österreich. Frankreich tat 1870 auf Grund des Krieges gegen Deutschland dasselbe. 

Die Folgen mangelnder Budgetdisziplin gingen auch damals zu Lasten der anderen Unionsmitglieder: Edelmetallknappheit und Papiergeldschwemme in einem einzigen Land führten in den anderen zu Geldwanderungen und Spekulationsgeschäften, weil die Parität von Franken, Lira und Drachmen nicht mehr der Marktrealität entsprach. Staatsfinanzierung auf Kosten der Stabilität der gemeinsamen Währung. Kommt uns das nicht bekannt vor?

Aufgeschobene Auflösung

Die Geschichte der Münzunion ist ein aufgeschobener Auflösungsprozess. Jede Vertragsverlängerung – 1878 und 1885, danach automatisch jährlich  – kam vor allem dadurch zustande, dass alle Mitglieder die Kosten einer Auflösung der Union in die Zukunft verschieben wollten. 1914 mit Beginn des Ersten Weltkrieges hob Frankreich - wie schon 1870 - das Versprechen auf, Banknoten in Gold auszuzahlen. Der große Krieg ließ die Druckerpresse heiß laufen. Die Münzunion war spätestens von da an nur noch ein völkerrechtlicher Untoter. Zum 1. Januar 1927 setzte die Schweiz als letztes Land der Union die Münzen der anderen Länder außer Kurs. 

Die als künftige Weltwährungsunion gestartete Münzunion erwies sich als räumlich und vor allem zeitlich begrenzte Episode - im Gegensatz zu den meisten anderen Organisationen der Internationalisierungswelle des 19. Jahrhunderts. Das Internationale Büro für Maß und Gewicht, die Internationale Fernmeldeunion und den Weltpostverein gibt es heute noch. Die meisten dieser internationalen Institutionen waren erfolgreich, weil sie nicht nur allen Beteiligten nutzten, sondern vor allem weil sie unpolitisch waren und sind. Sie bieten keine Macht. Deswegen wurden und werden sie von den beteiligten Staaten nicht für eigene Zwecke und auf Kosten der anderen manipuliert.

Die Lehren aus der Geschichte

Geld jedoch ist immer politisch. Es ist im Gegensatz zur ökonomischen Lehrmeinung kein neutrales Tauschmittel, das von Marktteilnehmern erfunden wurde. Geld ist eine Schöpfung der Staatsmacht, wie der Anthropologe David Graeber in seinem aktuellen Bestseller „Schulden“ zeigt. Wer politisch herrschen will, braucht eine einheitliche Währung, um seine Soldaten zu bezahlen und seine Bürger zu besteuern. 

Die Idee des Weltgeldes und mit ihr die Lateinische Münzunion ist vor allem daran gescheitert, dass das Interesse der Haushalts- und Währungspolitik im Ernstfall ein nationales blieb. Was damals galt, gilt auch heute: Ein völkerrechtlicher Automatismus ist eine Illusion. Er übersteht keine ernsthafte Krise, denn der politische Lohn für die Regierenden wird im Nationalstaat ausgezahlt. Und daher können und werden alle Währungsunionsregelungen immer wieder gebrochen. Im Zweifel werden nationale Finanzierungsprobleme ohne Rücksicht auf die übernationale Union gelöst – so war es in der Lateinischen Münzunion und so ist es in der Eurozone.

Nur wenn dem Geltungsbereich der Währungsunion auch ein geeinter, souveräner Staat entspricht, der den Regierenden das entscheidende Anreizsystem für finanzpolitisches Handeln bietet, ist dieser Interessenkonflikt aufgehoben. Doch ob die Existenz einer gemeinsamen Währung der ausschlaggebende Grund für die Schaffung eines souveränen Unionsstaates sein kann und soll, ist eine andere Frage. Bisher jedenfalls funktionierte es stets umgekehrt: Der politische und vor allem gesellschaftliche Wille zu einem vereinten Staat zog eine gemeinsame Währung nach sich.   

Die Schöpfer der Lateinischen Münzunion und all jene, die im 19. Jahrhundert vom Weltgeld träumten, beschritten währungspolitisch und völkerrechtlich Neuland. Sie hatten kein historisches Vorbild. Die Väter des Euro und seine Retter können das nur eingeschränkt geltend machen. Sie hätten von der Geschichte gewarnt sein können. 1992 hat die Ökonomin Theresia Theurl eine Studie über die Währungsunionen des 19. Jahrhunderts vorgelegt: „EINE gemeinsame Währung für Europa: 12 Lehren aus der Geschichte“. Währungsunionen ohne politisches Fundament zerbrechen wieder, ist Theurls Botschaft, weil sich souveräne Staaten nicht an gemeinsame Regeln halten. Nur wenn sie mit der totalen politischen Vereinigung einhergehen, sind sie unumkehrbar. Theo Waigel und die anderen Euro-Einführer haben das Buch damals vermutlich nicht gelesen. Sie hatten wichtigeres zu tun und schufen Schönwetterregeln für eine blumige Zukunft. Sie hätten sich besser auch mit den verwelkten Visionen der Vergangenheit befassen sollen.

Heute, zwanzig Jahre nach Erscheinen, ist Theurls Buch wieder aufgelegt worden. Waigel dürfte jetzt genug Zeit zum Lesen haben. 

 

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