EU-Asylpolitik Dublin gescheitert – was nun, Europa?

Die EU-Kommission schlägt heute eine Reform des Asylrechts vor. Statt der Nationalstaaten will Brüssel entscheiden, wer Asyl bekommt und wo. Die Vorschläge sind heikel, aber wichtig. Eine Analyse.

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Warten auf die Weiterreise: In Idomeni sitzen Tausende Menschen fest. Quelle: AFP

Brüssel Die EU-Kommission gibt nicht auf – das ist aller Ehren wert. Doch macht sie mit dem Vorschlag, die Entscheidung über die Gewährung von Asyl von der nationalen auf die europäische Ebene zu verlagern, nicht den dritten Schritt vor dem zweiten? Und droht sie damit nicht zu stolpern, wieder einmal?

So wie die Dinge derzeit liegen, werden eine ganze Reihe von Staaten Vorbehalte dagegen haben. Bis heute funktioniert nicht einmal die europaweite Verteilung von 160.000 Flüchtlingen über einen Notfallmechanismus. Ob die soeben angelaufene Rückführung von Flüchtlingen im Rahmen des mit der Türkei geschlossenen Abkommens die gewünschten Früchte tragen wird, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Und der von Brüssel angeregte europäische Grenz- und Küstenschutz mit weitreichenden Befugnissen, eigener Ausstattung und weitgehender Autonomie ist alles andere als in trockenen Tüchern. Denn aller Sinnhaftigkeit bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zum Trotz sind vielen Bürgern in den Nationalstaaten Einschnitte in die Souveränität schwer zu verkaufen. Kaum vorstellbar, dass Staaten wie Ungarn, Polen oder die Slowakei europäische Asylagenturen darüber entscheiden lassen, ob und wenn ja, wie vielen Menschen sie Schutz gewähren.

Der Wert des Kommissionsvorschlags für eine reformierte Asylpraxis liegt also nicht so sehr in seiner unmittelbaren Umsetzbarkeit. Er besteht vielmehr darin, den Anstoß für eine überfällige politische Debatte zu geben. Tatsächlich ist das bestehende Dublin-System, wonach Flüchtlinge dort einen Asylantrag stellen müssen, wo sie erstmals den Boden der EU betreten, krachend gescheitert.

Das System überfordert einzelne Staaten wie Griechenland und Italien bei der Bewältigung der Migrationsherausforderung maßlos. Lange blieben die Staaten mit dem Problem allein, der Rest der Union schaute weitgehend zu und richtete sich in Betroffenheitsrhetorik ein – solange, bis das Problem im vergangenen Jahr eskalierte und Deutschland zum gelobten Land von mehr als einer Million Menschen wurde. Die Konsequenzen sind bekannt: Schengen-Raum unter Druck, wüste gegenseitige Beschimpfungen, Entsolidarisierung der Gemeinschaft.

Ein europäisches System zur Asylvergabe hätte mehrere Vorteile. Die Verteilung schutzwürdiger Flüchtlinge würde europaweit gerechter, die Berechenbarkeit infolge einheitlicher Anerkennungsmaßstäbe und Zeitrahmen größer. Wer ja sagt zu einem Raum der Freizügigkeit nach innen mit besser geschützten und kontrollierten, ja, auch abgeriegelten Grenzen nach außen sollte sich mittelfristig einem gemeinsamen Asylsystem mit zentraler Steuerung nicht verschließen.

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