EU-Austritt Großbritanniens Schottland wehrt sich gegen Brexit

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon kämpft gegen den Brexit. Sie will ihr Land im europäischen Binnenmarkt halten und pocht auf mehr Eigenständigkeit. Damit geht sie ein großes Risiko ein.

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Nicola Sturgeon geht auf Konfrontationskurs zur britischen Regierung. Quelle: Reuters

London Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon geht auf Konfrontationskurs zur britischen Regierung. Sie will ihr Land nach einem Brexit im europäischen Binnenmarkt halten – notfalls sogar ohne Großbritannien. „Das schottische Volk hat nicht für den Brexit gestimmt“, heißt es in einem Papier der Regierung, das die Politikerin am Dienstag vorstellte. „Ein harter Brexit würde den schottischen Interessen schwer schaden“, sowohl mit Blick auf wirtschaftliche Aspekte als auch soziale und kulturelle Faktoren.

Studien zufolge könnten in einem Jahrzehnt in Schottland 80.000 Arbeitsplätze wegfallen, sagte Sturgeon. „Deswegen sind wir so fest entschlossen“. Dennoch gehe es nicht allein um wirtschaftliche Aspekte. London müsse bei den Brexit-Verhandlungen auch die Bedürfnisse Schottlands berücksichtigen, betonte Sturgeon. Zur Not, machte sie unmissverständlich klar, würde sie es auch auf ein Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands ankommen lassen.

Allerdings birgt ein solches Referendum Gefahren für die Regierungschefin: Einer Umfrage YouGov zufolge wären nur 44 Prozent der Schotten für eine Abspaltung ihres Landes vom Vereinigten Königreich. Und auch in der schottischen Opposition sieht man das Vorgehen der Politikerin skeptisch. Die Labour-Partei werde es nicht zulassen, dass man den Brexit als Vorwand für ein neues Unabhängigkeitsvotum nutze, erklärte ein Parteisprecher. Es sei wichtiger für Schottland, Teil des Königreichs zu bleiben als Teil der EU.

In Schottland hatten sich die Wähler bei dem EU-Referendum am 23. Juni anders als im Rest des Vereinigten Königreichs entschieden: Gerade einmal 38 Prozent stimmten für den Ausstieg aus der Europäischen Union, während in Großbritannien insgesamt 52 Prozent „Leave“ wählten. Schottland hatte sich bereits der Klage von Brexit-Gegnern vor dem Obersten Gerichtshof Großbritanniens angeschlossen. Diese fordern, dass die Londoner Regierung vor Beginn der offiziellen Austrittsgespräche mit der EU das Parlament um Zustimmung bitten muss. Eine Entscheidung der Richter wird Anfang 2017 erwartet.

In dem nun vorgestellten Plan spricht sich Sturgeon in erster Linie für das so genannte „Norwegen-Modell“ aus: Schottland soll Mitglied des seit dem Jahr 1994 bestehenden Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden sowie der Europäischen Freihandelszone Efta. Es sei dann nicht nötig, dass die Grenze zwischen England und Schottland eine Außengrenze werde, wirbt Sturgeon. Das ist nicht die einzige Option, die sie präsentiert – auf 62 Seiten werden verschiedene Vorschläge diskutiert. Das Papier sei als Vorschlag für einen Konsens zu verstehen, erklärt Sturgeon, sie hoffe, dass man in London flexibel sei. Dort dürfte man den Plänen jedoch skeptisch gegenüber stehen.


Auch Wales ist gegen den Brexit

Finanzminister Philip Hammond hatte jüngst erklärt, dass es für die verschiedenen Teile des Vereinigten Königreichs keine „unterschiedlichen Deals oder unterschiedliche Resultate“ geben könne. Premierministerin Theresa May hatte vor Veröffentlichung des Plans gesagt, sie werde ihn gründlich prüfen. Das könnte dauern: Das Papier sei „hochkompliziert“, befindet die britische Zeitung „The Telegraph“ in einer ersten Reaktion.

Derweil regt sich auch in Wales Widerstand gegen die Brexit-Pläne von London. In der Region ist ein Großteil der britischen Autoindustrie ansässig, die um ihr Geschäft fürchtet, sollte Großbritannien den Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlieren. Zudem ist die Region stark von EU-Fördergeldern, etwa für die dortige Landwirtschaft, abhängig.

Allerdings kommt die Einsicht der Waliser spät: Anders als die Schotten hatten hier mit 52,5 Prozent die Mehrheit der Wähler für einen Brexit gestimmt. Ihnen sei nicht bewusst gewesen, wie viele Arbeitsplätze bei einem Austritt in Gefahr wären, erklärte der walisische Regierungschef Carwyn Jones kürzlich vor Journalisten.

Auch Jones setzt sich für eine Lösung ein, bei der Großbritannien noch immer Zugang zum europäischen Binnenmarkt hat und fordert eine stärkere Einbindung in die Austrittsverhandlungen. Allerdings setzt er dabei der britischen Regierungschefin nicht die Pistole auf die Brust: Ein Unabhängigkeitsvotum sei in Wales „sehr unwahrscheinlich“, sagt Jones.

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