Rückendeckung kommt von der anderen Seite des Atlantiks. Der designierte US-Präsident Donald Trump kündigte in einem Interview einen möglichen amerikanisch-britischen Handelspakt an. Dazu sagte der britische Außenminister Boris Johnson: „Ich denke, es sind sehr gute Nachrichten, dass die USA ein gutes Freihandelsabkommen mit uns abschließen wollen und dass sie es schnell machen wollen.“ Doch es müsse ein Deal sein, der die Interessen beider Seiten berücksichtige.
Wo die großen Brexit-Baustellen sind
Seit der konservative Premier David Cameron seinen Rücktritt angekündigt hat, tobt ein Kampf um seine Nachfolge - nicht nur hinter den Kulissen. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten Brexit-Wortführer Boris Johnson und Innenministerin Theresa May. Johnson werden die besten Chancen eingeräumt, auch wenn er erbitterte Feinde in der Tory-Fraktion hat. May könnte als Kompromisskandidatin gelten, sie war zwar im Lager der EU-Befürworter, hielt sich aber mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Labour-Chef Jeremy Corbyn laufen nach dem Rauswurf seines schärfsten Kritikers Hilary Benn die Mitglieder seines Schattenkabinetts in Scharen davon. Mehr als die Hälfte seines Wahlkampfteams trat bereits zurück. Sie werfen Corbyn vor, nur halbherzig gegen einen EU-Austritt geworben zu haben, und stellen seine Führungsqualitäten in Frage. Dahinter steckt auch die Befürchtung, es könne bald zu Neuwahlen kommen. Viele Labour-Abgeordnete befürchten, mit dem Linksaußen Corbyn an der Spitze nicht genug Wähler aus der Mitte ansprechen zu können. Corbyn war im Spätsommer vergangenen Jahres per Urwahl an die Parteispitze gerückt, hat aber wenig Unterstützung in der Fraktion.
Der scheidende Premier David Cameron kündigte an, die offiziellen Austrittsverhandlungen mit der EU nicht mehr selbst einzuleiten. Der Ablösungsprozess könnte damit frühestens nach Camerons Rücktritt beginnen - womöglich erst im Oktober. Äußerungen anderer britischer Politiker lassen befürchten, dass sich die Briten gern sogar noch mehr Zeit lassen würden. Am allerliebsten würden sie schon vor offiziellen Austrittsverhandlungen an einem neuen Abkommen mit der EU basteln. Brüssel, Berlin und Paris dringen aber auf einen raschen Beginn der Austrittsverhandlungen.
Seit dem Brexit-Votum liegt die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit wieder auf dem Tisch. Die Schotten stimmten - anders als Engländer und Waliser - mit einer Mehrheit von 62 Prozent gegen einen Brexit. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte in Edinburgh an, Vorbereitungen für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum einzuleiten. Boris Johnson deutete jedoch bereits an, dass er als Premierminister da nicht mitspielen würde: „Wir hatten ein Schottland-Referendum 2014 und ich sehe keinen echten Appetit auf ein weiteres in der nahen Zukunft“, schrieb Johnson in einem Gastbeitrag im „Daily Telegraph“. Auch Premierminister David Cameron erteilte einem erneuten Schottland-Referendum eine Absage.
In beiden Teilen der Insel herrscht Sorge, der Brexit könnte dazu führen, dass wieder Grenzkontrollen eingeführt werden und der Friedensprozess gestört wird. Irlands Ministerpräsident Enda Kenny versicherte, seine Regierung arbeite eng mit Belfast und London zusammen, um die Grenzen offenzuhalten. Ähnlich wie in Schottland stimmte auch in Nordirland eine Mehrheit der Wähler gegen den Austritt des Königreichs aus der EU. Die nordirische nationalistische Partei Sinn Fein forderte bereits eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands.
Das britische Pfund verlor seit dem Brexit-Votum massiv an Wert gegenüber dem Dollar und fiel auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten. Auch die Börsenkurse stürzten zeitweise in den Keller. Der britische Finanzminister George Osborne versuchte am Montag, Sorgen an den Märkten zu zerstreuen. Großbritannien sei auf alles vorbereitet, sagte Osborne. Noch am Tag nach der Brexit-Entscheidung war Notenbank-Chef Mark Carney vor die Kameras getreten und hatte angekündigt, die Bank of England könne bis zu 250 Milliarden Pfund in die Hand nehmen, um weitere Verwerfungen zu verhindern. Trotz allem verlor das Pfund weiter an Wert.
Trump sagte der EU nach dem Brexit schwere Zeiten voraus: „Wenn Sie mich fragen, es werden weitere Länder austreten.“ Der Zustand der EU sei ihm aber nicht sehr wichtig, erklärte er in einem am Montag veröffentlichten Interview von „Bild“ und der Londoner „Times“. Nach Ansicht des „Times“-Kolumnisten Michael Gove, der das Interview auch führte, hat Großbritannien einen „speziellen Platz“ im Herzen Trumps.
Gove ist ein entschiedener Anhänger des Brexits und war früher Justizminister. Im Rennen um die Nachfolge für den ehemaligen britischen Premierminister David Cameron unterlag er Theresa May. May wird erst im Frühjahr Trump treffen. Es hatte etwas gedauert, bis die Regierung in London Kontakte zu dem Team des künftigen US-Präsidenten aufbauen konnte. Der ehemalige Chef der EU-feindlichen Ukip-Partei, Nigel Farage, war noch schneller. Er düpierte May kurz nach der Wahl Trumps im November mit einem Foto, das ihn mit Trump zeigte.
Andeutungen des britischen Finanzministers Philip Hammond über ein mögliches Steuerdumping seines Landes infolge des Brexits stießen unterdessen bei deutschen Politikern auf Unverständnis. „Die beiden großen ökonomischen Schwächen Großbritanniens sind das beachtliche Handelsdefizit und das große Haushaltsdefizit“, sagte der CDU-Abgeordnete Norbert Röttgen der „Welt“. „Die „Drohungen“ Hammonds mit Zöllen und Steuersenkungen sind darum Drohungen mit Selbstbeschädigung und als solche Ausdruck britischer Ratlosigkeit.“
Hammond hatte im Interview mit der Zeitung angekündigt, seine Regierung werde bei einem fehlenden Zugang zum europäischen Markt sein Wirtschaftsmodell überdenken. Die Regierung in London hatte niedrigere Steuersätze für Unternehmen als ein mögliches Instrument nach dem Brexit schon in der Vergangenheit angekündigt.