EU-Erweiterung Keine signifikanten Fortschritte bei der EU-Integration des Balkans

Die EU will den Balkan – aber nur ein bisschen. Auf dem heutigen Gipfel in Sofia bekräftigt sie den bisherigen Kurs. Große Sprünge bleiben aus.

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Abgesehen von den Beitrittsperspektiven ging es bei dem Gipfel aber vor allem darum, die westlichen Balkanländer stärker untereinander zu verbinden und die Infrastruktur zu fördern. Quelle: AP

Sofia Die EU soll wachsen – und zwar um die Länder des Balkans. Montenegro, Serbien, Mazedonien, Albanien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina streben schon seit langer Zeit eine EU-Mitgliedschaft an. Doch bisher mangelt es an signifikanten Fortschritten. Das soll sich mit dem heute stattgefunden EU-Westbalkan-Gipfel ändern.

Worum es beim EU-Westbalkan-Gipfel ging und wie es jetzt weitergehen soll. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum kommt das Thema gerade jetzt auf?

Bulgarien hat großes wirtschaftliches Interesse daran, dass seine Nachbarregion zur EU gehört, und deshalb das Thema EU-Erweiterung im Rahmen seiner Ratspräsidentschaft extrem vorangetrieben. Der letzte EU-Westbalkan-Gipfel fand vor 15 Jahren in der Region um Thessaloniki statt, damals wurde den sechs westlichen Balkanländern eine potenzielle EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt.

Das Kalkül: Wer nach so langer Zeit wieder einen Gipfel zu diesem Thema ausrichtet, hat die internationale Aufmerksamkeit sicher. Es ist ein historisches Ereignis und damit eine gute Gelegenheit, um die EU-Ratspräsidentschaft des Landes, die noch bis Ende Juni dauert, nachwirken zu lassen.

Aber auch die EU-Kommission macht Druck. Denn die Zeit eilt: Da für die Bevölkerung seit Jahren keine Fortschritte erkennbar sind, wenden sich viele vom Westen ab. Russland, China und Saudi-Arabien wettern die Chance der Einflussnahme und investieren kräftig in die Region.

Die Kommission fürchtet zudem um die Stabilität der Länder. Man habe ja in den Neunziger Jahren gesehen, was passiert, wenn in der Region Konflikte ausbrechen: Hunderttausende waren damals auf der Flucht. Und wenn die EU eins will, dann ist das Fluchtursachen zu vermeiden.

Ebenfalls bereitet die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit Sorgen: Die Arbeitslosigkeit ist generell sehr hoch, offiziell irgendwo zwischen 15 und 30 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit ist sogar deutlich höher. Gut Ausgebildete verlassen die Region, wenn sie können. Die Zurückgebliebenen sind anfällig für Radikalisierung.

Was denken die EU-Mitgliedstaaten darüber?

Generell sind viele EU-Länder eher vorsichtig, weitere wirtschaftlich schwache Länder in ihren Kreis mitaufzunehmen, um in der Bevölkerung keine weitere EU-Ablehnung zu schüren. Insbesondere Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will die EU erst reformieren, bevor eine Erweiterung ernsthaft zur Debatte stehen soll.

Ebenfalls für Probleme sorgt der Kosovo-Konflikt: Spanien, die Slowakei, Rumänien, Griechenland und Zypern erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Und gerade Spanien beharrt enorm auf seine Position. So ist der spanische Ministerpräsident als einziger EU-Chef bei dem Gipfel nicht vertreten. Die vermutete Befürchtung der Spanier: Lenkt man bei der Anerkennung der kosovarische Unabhängigkeit ein, ist Katalonien nicht mehr zu halten.

Die deutsche Bundesregierung begrüßt dagegen eine EU-Erweiterung um die Länder, doch das anvisierte Ziel von 2025, das die EU-Kommission im März kommunizierte hatte, lehnt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) klar ab: „Ich halte nichts von dem Zieldatum“, sagte sie nach dem Gipfel. Es sollte darum gehen, was in den Verhandlungen erzielt wird – und nicht wieviel Zeit verstrichen ist.

Starke Befürworter der Erweiterung sind neben Bulgarien auch die westbalkanischen Nachbarländer Kroatien und Ungarn.

Wie geht es jetzt weiter?

„Für die Westbalkan-Länder gibt es keine andere Alternative als die EU“, sagte Ratspräsident Donald Tusk nach dem Gipfel. „Sie gehören zu Europa.“

Sieben Seiten umfasst die Erklärung, auf die sich der Gipfel geeignet hat. Entscheidungen über eine Erweiterung wurden bei diesem Gipfel jedoch nicht beschlossen.
Dafür wurde aber das sogenannte „Versprechen von Thessaloniki“ bestätigt: Die Länder des westlichen Balkans wird weiterhin eine mögliche EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Zudem erhalten sie verstärkt Hilfe von der EU, um ihre Länder zu reformieren und so die Aufnahmekriterien erfüllen können.

Im Gegenzug stellt die EU eine ganze Reihe von Bedingungen: Die Balkanländer müssen Korruption und organisierte Kriminalität bekämpfen, für einen funktionierenden Rechtsstaat sorgen, die Menschenrechte wahren und für Schutz der Minderheiten sorgen.

Abgesehen von den Beitrittsperspektiven ging es bei dem Gipfel aber vor allem darum, die westlichen Balkanländer stärker untereinander zu verbinden und die Infrastruktur zu fördern. „Wo Menschen sich begegnen können, können auch Konflikte beseitigt werden“, sagte Merkel dazu.

Im Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien seien zudem bedeutende Schritte erzielt worden. Eine Einigung gibt es jedoch noch immer nicht. Und solange muss der mazedonische Staatschef ohne einen konkreten Erfolg nach Hause fahren.

Auf einem guten Weg sei dagegen insbesondere Montenegro, hieß es nach der ersten Gesprächsrunde der Länderchefs.

Im nächsten Jahr werden die Briten aus der EU austreten. Dann wieder die EU-28 für einige Jahre wieder auf eine EU-27 schrumpfen – solange bis das erste Land des Westbalkans so weit ist. Am wahrscheinlichsten wird dies Montenegro sein. Vielleicht nicht im Jahr 2025, aber irgendwann danach.

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