EU-Gipfel Die großen Brocken kommen noch

Die Staats- und Regierungschefs wollen strittige Themen selbst angehen. Beim EU-Gipfel in Brüssel war das Thema Digitalisierung im Fokus. Es stehen aber noch andere große Aufgaben für die kommenden Monate bevor.

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EU-Gipfel: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk während einer Pressekonferenz. Quelle: AP

Brüssel Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten in Brüssel treffen, dann sprechen sie über Europas Verteidigung, Nordkoreas Atomprogramm, die Beziehungen zur Türkei – die großen politischen Fragen eben. Und sie sprechen über Mobilfunkspektren, Ko-Investmentmodelle, Geoblocking. Themen, die normalerweise Technik-Nerds beschäftigen, nicht Regierungschefs.

Bei ihrem jüngsten Treffen in der estnischen Hauptstadt Tallinn hatten die Regierungschefs verabredet, strittige Themen öfter selbst in die Hand zu nehmen und nicht allein ihren Ministern und Technokraten zu überlassen. In Brüssel war es jetzt das Thema Digitalisierung, das sie sich vorgenommen hatten. Von den mehr als 40 Gesetzesvorschlägen, die die EU-Kommission vorgelegt hatte, um den freien Datenfluss in der EU zu ermöglichen, wurde bislang nur eine Handvoll verabschiedet. Die übrigen hängen im Ministerrat, im Europaparlament oder zwischen den beiden Institutionen fest.

Es ist richtig, dass die Staaten diese Themen auf höchster politischer Ebene angehen, um den gordischen Knoten eines vielschichtigen Interessensgeflechts zu durchschlagen. Der Aufbau eines lückenlosen, ultraschnellen 5G-Mobilfunknetzes etwa ist „extrem wichtig für das autonome Fahren, für die Telemedizin“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfel betonte.

Die Europäische Union muss greifbare Ergebnisse liefern, die das Leben der Bürger und die Bedingungen für die Wirtschaft verbessern. Sie darf sich nicht nur in Diskussionen über luftige Zukunftsvisionen verlieren, wie sie besonders Frankreichs Präsident Emmanuel Macron derzeit gerne formuliert. EU-Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben deshalb in einer Arbeitsagenda aufgeschrieben, welche Themen sie in den kommenden Monaten angehen sollen.

Die dicken Brocken kommen erst noch: Bis März sollen sie über neue Wege der Besteuerung der Digitalkonzerne entscheiden - Irland, Luxemburg und Malta wehrten sich auch jetzt wieder mit Händen und Füßen dagegen, den in einem Land erzielten Umsatz zu besteuern. Um neue Steuerregeln auf EU-Ebene einzuführen, wäre aber ein einstimmiger Beschluss der Mitgliedsstaaten nötig.

Im Mai oder Juni sollen die Regierungschefs dann den endlosen Streit um die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU beilegen. Die Regierungen in Ungarn und Polen haben sich derart tief eingegraben in ihre Verweigerungshaltung, dass schwer vorstellbar ist, wie sie aus den Gräben wieder herausfinden könnten. Den anderen bliebe dann nur eine undankbare Wahl: die beiden Staaten zu überstimmen und damit den Streit eskalieren zu lassen; oder widerwillig zu akzeptieren, dass sich nicht alle Mitgliedsstaaten an der Lastenteilung beteiligen. Interessant wird die Frage, wie sich der wahrscheinliche neue Bundeskanzler Österreichs, Sebastian Kurz, verhalten wird, der mit harten Tönen zur Migration die Wahl gewonnen hatte.

Kaum einfacher wird das dritte Streitthema: die Reform der Währungsunion. Bis Ende Juni sollen die Regierungschefs konkrete Beschlüsse fassen, noch liegen die Positionen Frankreichs und Deutschlands weit auseinander, etwa zu einem eigenen Budget für die Euro-Zone.

Derzeit haben die EU-Anhänger „Wind in ihren Segeln“, wie es Juncker formulierte. Wie weit dieser trägt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen: Dann wird es darum gehen, auch schmerzhafte Kompromisse einzugehen. Bei den großen Themen und bei den kleinen.

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