EU-Gipfel in Rom Immer in die gleiche Richtung

Bei der feierlichen Unterzeichnung der „Erklärung von Rom“ am 60. Geburtstag der Römischen Verträge gibt die Kanzlerin das Leitmotiv vor. Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU zeigen demonstrativ Geschlossenheit.

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Die hochrangigen EU-Vertreter begleiten den Akt von Kanzlerin Merkels Unterschrift unter die gemeinsame Erklärung aller Mitgliedsstaaten. Quelle: dpa

Rom Die Bundeskanzlerin war zufrieden. „Es ist sehr bewegend, vor dieser historischen Kulisse die Erklärung von Rom zu unterschreiben“, sagte Angela Merkel am Samstagmittag auf dem Kapitolsplatz neben der bronzenen Reiterstatue des Kaisers Marc Aurel. „Wir richten den Blick in die Zukunft, wir wollen ein sicheres Europa, die Außengrenzen schützen, ein wirtschaftlich starkes Europa, ein soziales Europa und eine engere Zusammenarbeit in der Verteidigung.“ Die Erklärung sei ein Arbeitsauftrag für die Entwicklung der EU in den kommenden zehn Jahren.

Die Laune war gut bei strahlendem Sonnenschein. Denn alle 27 Staats- und Regierungschef hatten am Ende die dreiseitige Erklärung unterschrieben, in der die EU offenbart, wie es in den kommenden Jahren weitergehen soll.

Lange war an einer Kompromiss-Formulierung gefeilt worden. Nach Polen hatte schließlich auch Griechenland der Formulierung zugestimmt, dass „wir zusammen handeln, in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Stärke wo notwendig“. Das war der Streitpunkt gewesen, bis zuletzt. Auch wenn Großbritannien nicht mehr dabei war, so war den Teilnehmern die Erleichterung anzumerken, konfliktfrei einen Tag lang feiern zu können.

Auch wenn es manchmal schwer sei und Widerstände gebe, die EU stehe zu ihrer Verpflichtung, erklärte die Kanzlerin. Denn „das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten bedeutet ja keinesfalls, dass es nicht ein gemeinsames Europa ist“. Der Binnenmarkt, die vier Grundfreiheiten – Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit und Religionsfreiheit – seien unveräußerlich, „da gibt es keinerlei Abstriche. Es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten, aber immer eine gemeinsame Richtung“.

Damit hatte sie das Leitmotiv des Tages vorgegeben. Von Kommissionschef Jean-Claude Juncker über Ratspräsident Donald Tusk bis zum neuen EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani und dem italienischen Premier Paolo Gentiloni: Alle Redner stellten die Begriffe Mut und Zukunft in den Mittelpunkt. „Wir sind stehengeblieben, es gab zu viele Verspätungen beim Thema Flüchtlinge oder Arbeitsplätze, wir brauchen Mut und müssen neu starten“, sagte Gentiloni.

Der eindringlichste und persönlichste Beitrag kam von Kommissionspräsident Juncker. Als wahrer Europäer wechselte er zwischen englisch, deutsch und französisch und plädierte dafür, die Vergangenheit nicht zu vergessen. Er erinnerte an die Gründungsväter, die vor 60 Jahren am gleichen Ort, im Saal der Horatier und Curatier im ersten Stock des Kuratorenpalastes, die Verträge über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) unterzeichnet hatten – die Geburtsstunde der EU. „Wir sollten stolz sein auf das Erreichte“, sagte er und unterzeichnete die Erklärung mit dem historischen Füllfederhalter, mit dem seinerzeit der Beitritt Luxemburgs besiegelt wurde – nicht ohne Tinte auf die Finger zu kleckern.


25.000 Demonstranten – für und gegen Europa

Als politische Botschaft bleibt von diesem Tag die Agenda für die kommenden Wochen: eine Verstärkung der gemeinsamen Verteidigungspolitik und mehr Engagement in der gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik. „Beginnende Aufbruchstimmung“, fasste Juncker zusammen. Es werde auch einen 100. Geburtstag der Römischen Verträge von 1957 geben. „Europa wird geeint sein oder nicht mehr bestehen“, sagte Ratspräsident Tusk.

Zwei Personen fehlten auf dem Kapitol – aus unterschiedlichen Gründen: Die britische Premierministerin Theresa May, die in der nächsten Woche den Brexit offiziell einleiten wird, und Matteo Renzi, seit Dezember nicht mehr Premier in Italien. Monatelang hatte er während seiner Amtszeit auf den Gipfel von Rom hingewiesen, jetzt fand er ohne ihn statt.

Bei einer Audienz in der prächtigen Sala Regia des Apostolischen Palastes im Vatikan hatte Papst Franziskus am Abend vor dem Gipfel die Staats- und Regierungschefs auf die Bedeutung des Treffens eingestimmt – wie auf dem Kapitol war der griechische Premier Alexis Tsipras der einzige im Saal im Hemdkragen.

Wenn die EU keine Vision für ihre Zukunft entwickele, drohe sie langfristig zu scheitern, sagte der Papst. Die Gründungsideale dürften nicht auf wirtschaftliche und finanzielle Erfordernisse reduziert werden. Europa sei mehr als die Summe einzuhaltender Regeln, „nicht ein Handbuch von zu befolgenden Protokollen und Verfahrensweisen“.

Nach einem Mittagessen im Quirinalspalast bei Staatspräsident Sergio Mattarella war für die Staats- und Regierungschefs die römische Feier vorbei. Nicht aber für die Demonstranten. Rund um das hermetisch abgeriegelte „centro storico“ wurde den gesamten Tag über demonstriert – erst die Pro-Europa-Verbände mit zwei friedlichen Märschen, dann am Nachmittag die Gegner der „No-Euro“.

Die Polizei fürchtete vor allem den Auftritt der gewalttätigen „black blocks“, die auch aus Deutschland, Frankreich und Griechenland nach Rom gereist waren. Insgesamt rechnete die Polizei mit 25.000 Demonstranten. Nach dem Attentat in London waren die Sicherheitsvorkehrungen noch zusätzlich erhöht worden.

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