EU-Gipfel Weichen für Reformagenda sind das Ziel

FDP-Chef Lindner warnte die Bundeskanzlerin vor Vorfestlegungen in der EU-Politik. Beim kommenden Gipfel stehen aber ohnehin keine strukturellen Entscheidungen an. Dennoch gilt er als alles andere als unwichtig.

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Für den österreichischen Bundeskanzler Christian Kern (M.) ist es wohl der letzte Gipfel. Quelle: dpa

Berlin Wenn sich die 28 EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel treffen, dann wird der Blick auf zwei Teilnehmer etwas anders ausfallen als sonst. Der noch amtierende österreichische Kanzler Christian Kern dürfte nach der Wahl am Sonntag einen seiner letzten Gipfel absolvieren. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde wegen der Jamaika-Sondierungsgespräche in Berlin vom möglichen Koalitionspartner FDP schon vor Vorfestlegungen in der EU-Politik gewarnt.

Aber EU-Ratspräsident Donald Tusk verweist in seiner Einladung darauf, dass ohnehin keine strukturellen Entscheidungen anstünden: Eine ernsthafte Diskussion über die Stärkung der EU etwa durch eine Verteidigungsunion kündigte er erst für den Dezember-Gipfel an. Und die Schlacht über die von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geforderten Euro-Zonen-Reformen wird erst 2018 wirklich geschlagen. Dies habe auch FDP-Chef Christian Lindner „natürlich schon vor seiner Warnung“ gewusst, heißt es in der CDU-Spitze.

Dennoch gilt dieser EU-Gipfel als alles andere als unwichtig. Zum einen soll er außenpolitisch eine klare Botschaft an die USA senden, dass die Europäer am Atomabkommen mit dem Iran festhalten wollen. Damit wird eine entsprechende Warnung der EU-Außenminister an die Regierung in Washington auf die Chefebene gehoben. Zum anderen soll entschieden werden, wie die EU weiter mit der Türkei umgehen sollen. Im Zentrum steht dabei weniger der von SPD-Chef Martin Schulz im Wahlkampf geforderte Stopp der Beitrittsverhandlungen, sondern die Frage, ob die 4,45 Milliarden Euro Vorbeitrittshilfen noch ausgezahlt werden sollen. Bis September sind nach Angaben der EU-Kommission erst rund 260 Millionen Euro abgeflossen.

Trotz aller britischer Hoffnungen werden die 27 übrigen EU-Regierungschefs Premierministerin Theresa May nur sagen, dass es bei den Brexit-Verhandlungen noch keine ausreichenden Fortschritte gibt. Die wären aber nötig, um in die von London geforderte zweite Phase einzutreten, in der dann auch über die Zeit nach einem Austritt gesprochen werden kann. Auch Konsultationen von May mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montag und ein Telefonat mit Merkel am Sonntag konnten daran nichts ändern. In freundlichen Worten sollten aber Fortschritte in den Gesprächen gelobt und indirekt die Möglichkeit einer positiven Entscheidung auf dem Gipfel im Dezember erwähnt werden, hieß es in der Bundesregierung. Tusk erklärte am Mittwoch, man werde den Beginn interner Vorbereitungen für die nächste Phase empfehlen.

Der für die Wirtschaft entscheidende Teil dürfte der Versuch der EU sein, die Vollendung des digitalen Binnenmarktes zu beschleunigen. Es sei entscheidend, diesen Markt bis Ende 2018 vollkommen umzusetzen, heißt es in einem Reuters vorliegenden Entwurf für die Gipfel-Erklärung. Geplant sei, dass sich die Unterhändler bis Ende des Jahres etwa bei Themen wie audiovisuellen Diensten oder Geo-Blocking einigen. Bislang enden Streaming-Übertragungen im vereinten Europa meist an der Staatsgrenze, da Fernsehsender und Dienste wie Netflix sich die Rechte für Filme und Fußballübertragungen für jedes Land einzeln sichern müssen. „Von 24 Initiativen der Kommission in diesem Bereich hängen noch 18“, heißt es in EU-Kommissionskreisen. „Eines der Ziele des Gipfels ist Dinge loszutreten, die festhängen“, heißt es. So will die EU etwa die Cybersicherheit, die Besteuerung von IT-Firmen und das Urheberrecht im Digitalbereich vorantreiben.

Während es beim Thema Migration um eine Bestandsaufnahme geht, wo man im Kampf gegen illegale Zuwanderung steht, wird in Brüssel der Grundstein für die anstehenden Reformdebatten im Kreis der EU-27 gelegt – mehr aber auch nicht. Schon auf dem Digitalgipfel in Tallinn hatte es einen ersten, kontroversen Gedankenaustausch über die Vorschläge von Macron und Juncker etwa zur Stärkung der Euro-Zone gegeben.

Als wichtig gilt aus Sicht der EU-Kommission, dass man ein gemeinsames Bewusstsein entwickelt, dass 2018 und 2019 in der EU weitreichende Entscheidungen fallen müssten. Denn danach stehen die Wahl zum Europäischen Parlament, die Bildung einer EU-Kommission und auch der Brexit an. Bis dahin sollte aber auch eine Jamaika-Koalition – so sie denn zustande kommt – stehen.

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