An diesem Dienstag war es endlich so weit: Japan und die EU besiegelten in Tokio ein umfassendes Wirtschaftsabkommen, dessen Kernstück ein Freihandelsdeal ist. Im Grundsatz hatten sich beide Seiten schon vor einem Jahr auf den neuen Rahmen geeinigt. Im Juli 2017 musste es ganz schnell gehen, weil die EU-Kommission rechtzeitig vor dem G7-Gipfel in Hamburg ein Zeichen für den Freihandel setzen wollten. Noch bevor US-Präsident Donald Trump Zölle auf europäischen Stahl und Aluminium eingeführt hatte und Europa als Feind bezeichnete, war es den Europäern wichtig, ein Symbol gegen den aufkommenden Protektionismus zu setzen.
Das Abkommen illustriert nun aber nicht nur, dass es immer noch Nationen gibt, die auf den freien Austausch von Waren setzen. Der Deal zwischen zwei Partnern, die gemeinsam rund ein Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften, wird beiden Seiten erhebliche Vorteile bringen. Weil sich Japan und die EU in ihrer Wirtschaftsstruktur unterscheiden, versprechen sich Ökonomen von dem EU-Japan-Freihandelsabkommen höhere Wohlfahrtsgewinne als sie bei einem transatlantischen Handelsdeal (TTIP) zu erwarten gewesen wären.
„Das Abkommen dürfte das BIP in der EU um zehn Prozent mehr wachsen lassen als es bei TTIP der Fall gewesen wäre“, sagte Hosuk Lee-Makiyama, Senior Fellow in the Department of International Relations at the London School of Economics der WirtschaftsWoche. Lee-Makiyama ist Autor einer Studie zum Abkommen und hatte zuvor schon für die EU-Kommission die Folgen der Vereinbarung abgeschätzt. Konkrete absolute Zahlen zum BIP-Plus will Lee-Makiyama nicht nennen, da die zu sehr von den Annahmen des Modells abhängen.
Das Handelsabkommen der EU mit Japan
Die Verhandlungen über die Handels-Partnerschaft dauerten über vier Jahre. Sie wurden am 25. März 2013 aufgenommen und am 8. Dezember 2017 abgeschlossen. Nach der Unterzeichnung muss das Abkommen jetzt von beiden Seiten ratifiziert werden.
Bei der Vereinbarung handelt es sich nach Angaben der EU um das bislang größte bilaterale Freihandelsabkommen, das die Union jemals geschlossen hat. Es umfasst Länder, die zusammen für ein Viertel bis ein Drittel der Weltwirtschaftsleistung stehen und einen Markt von zusammen 600 Millionen Einwohner darstellen. Die EU nimmt für sich in Anspruch, der weltweit größte Wirtschaftsraum zu sein. Japan ist weltweit die Nummer drei.
Angesichts des von US-Präsident Donald Trump befeuerten Handelsstreits betrachten die EU und Japan ihr Abkommen als ein Signal für einen freien Welthandel und offene Märkte.
Bei vollständiger Umsetzung sollen zwischen der EU und Japan 99 Prozent aller Zölle fallen. Die Palette der davon betroffenen Güter geht von Käse und Wein bis hin zu Autos. Die EU erhofft sich dadurch Kosteneinsparungen für ihre Unternehmen von rund einer Milliarde Euro jährlich. Öffnen wollen beide Seiten füreinander auch ihre Dienstleistungsmärkte. Die EU-Unternehmen erhoffen sich dadurch, künftig auch bei öffentlichen Ausschreibungen in Japan zum Zuge kommen zu können.
Japan ist nach China der zweitwichtigste Handelspartner der EU in Asien. Europas Importe aus Japan werden durch Maschinen, Anlagen, Autos sowie optische und medizinische Instrumente bestimmt, der Export der Europäer nach Japan hat ähnliche Schwerpunkte.
Die EU-Importe aus Japan beliefen sich 2017 auf knapp 69 Milliarden Euro, die Exporte in das Land auf 60,5 Milliarden Euro. Damit bleibt ein Handelsdefizit der EU von etwa acht Milliarden Euro. Beim Austausch von Dienstleistungen dagegen weist die EU für sich einen Überschuss von 13 Milliarden Euro aus. Die Investitionen der EU-Wirtschaft in Japan erreichten 2017 einen Bestand von knapp 83 Milliarden Euro, umgekehrt verweist Japan auf einen Bestand in der EU von 206 Milliarden Euro.
Noch nicht abschließend geeinigt haben sich die EU und Japan über Standards zum Investorenschutz und über eine System zur Beilegung von Streits bei diesem Thema. Eine Einigung wird so bald wie möglich angestrebt.
„Europa und die USA ähneln sich in ihrer Wirtschaft sehr stark“, so Lee-Makiyama. „Europa und Japan ergänzen sich mehr.“ Er sieht in Japan eine große Nachfrage nach Luxusgütern. Davon werden Hersteller in Italien und Frankreich profitieren und deutsche Autohersteller im oberen Segment. Im unteren und mittleren Segment erwartet er keine große Nachfrage nach europäischen Pkw, denn japanische Hersteller deckten diesen Markt bereits sehr gut ab. „Ihre Modelle richten sich auch an ältere Verbraucher und berücksichtigen die Parkprobleme in japanischen Städten.“
Zugang zum japanischen Billionen-Konsum
Lee-Makiyama unterstreicht die Bedeutung der privaten Nachfrage in Japan, die sich aktuell auf 3,6 Billionen Euro im Jahr beläuft. „Der japanische Markt für Verbrauchsgüter ist genauso groß wie der chinesische, mit dem Unterschied, dass die Wirtschaftsleistung pro Kopf in Japan vier Mal schneller wächst als in China.“
Der Handelsdeal, einer der größten, der weltweit je abgeschlossen wurde, streicht annähernd alle Zölle und schafft gemeinsame Standards in Schlüsselsektoren wie Automobil, Life Science, Lebensmittel, Kleidung und IT. Japan hat sich außerdem dazu verpflichtet, die Beschaffung von Eisenbahnen zu öffnen, wovon Siemens erheblich profitieren dürfte.
Verglichen mit US-Unternehmen haben europäische Unternehmen noch relativ wenig in Japan investiert. Lee-Makiyama geht davon aus, dass sich dies in den kommenden Jahren ändern wird. Europäische Investoren sind in Japan bisher schon sehr gut gefahren. Ihre Renditen auf Direktinvestitionen belaufen sich im Durchschnitt auf 6,6 Prozent – weit mehr als die durchschnittliche Rate von europäischen Direktinvestitionen im Ausland von 3,9 Prozent.
Im Gegensatz zu anderen asiatischen Staaten bietet Japan ein verlässliches Umfeld für Investoren ohne staatliche Willkür. Aktuell ist keine einzige Klage eines Investoren gegen Japan anhängig. Und im Gegensatz zu China zwingt Japan Investoren auch nicht zu Joint Ventures mit einheimischen Unternehmen. „TTIP hätte Verbrauchern genützt, weil die Preise dank stärkeren Wettbewerbs gefallen wären“, sagt Lee-Makiyama zu dem umstrittenen transatlantischen Handelsdeal, der nicht mehr auf der politischen Agenda steht. „Der Handelsdeal mit Japan eröffnet dagegen vor allem europäischen Unternehmen neue Möglichkeiten.“