EU-Kanada-Gipfel abgesagt Ist das der Tod von Ceta?

So spät wie der EU-Kanada-Gipfel ist ein politisches Spitzentreffen selten abgeblasen worden. Doch ohne Belgien kann die EU ihre Unterschrift nicht unter den Ceta-Vertrag setzen. Ist das Abkommen damit gestorben?

  • Teilen per:
  • Teilen per:
ARCHIV - Mit einem brennenden Ceta-Symbol demonstrieren Greenpeace-Aktivisten am 07.09.2016 in Erfurt (Thüringen) vor dem Thüringer Landtag. Der für den 27.10.2016 angesetzte EU-Kanada-Gipfel ist in letzter Minute geplatzt. Foto: Martin Schutt/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Brüssel Es ist eine Blamage für die Europäische Union: Nach der Reiseabsage der kanadischen Regierung zum Ceta-Gipfel in Brüssel vertagt die EU das Spitzentreffen auf ungewisse Zeit. „Da nicht alle EU-Mitgliedstaaten bereit sind, Ceta zu unterzeichnen, wird der EU-Kanada-Gipfel heute nicht wie geplant beginnen“, hieß es am Donnerstagmorgen aus EU-Kreisen. Unterdessen hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärt, er hoffe, der Gipfel könne „bald“ abgehalten werden.

Kanada sei weiterhin bereit, das Abkommen zu unterzeichnen, wenn Europa soweit sei. Eigentlich hätten beide Seiten Ceta am Nachmittag gemeinsam in Brüssel unterzeichnen sollen, für Kanada wäre Premier Justin Trudeau angereist. Zuvor hatte sich die belgische Regierung bei den Verhandlungen mit den Regionen nicht auf eine Lösung einigen können und weitere Gespräche für Donnerstagvormittag angesetzt. Wie geht es nun weiter? Fragen und Antworten im Überblick.

Was steckt hinter Ceta? Und was sind die Probleme?
Die Abkürzung Ceta steht für „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (zu deutsch: Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). Mit dem geplanten Freihandelsabkommen wollen die EU und Kanada ihre Wirtschaftsbeziehungen auf eine neue Basis stellen. Durch den Wegfall von Zöllen und anderen Handelshemmnissen soll es auf beiden Seiten des Atlantiks mehr Wachstum geben. So ist unter anderem vorgesehen, Zugangsbeschränkungen bei öffentlichen Aufträgen zu beseitigen und Dienstleistungsmärkte zu öffnen. Die technischen Verhandlungen über Ceta liefen von 2009 bis 2014. Am 27. Oktober sollte das Abkommen eigentlich unterzeichnet werden. Doch die Unterzeichnung musste vertagt werden, weil die französischsprachigen Belgier Vorbehalte gegen das Abkommen haben. Ohne die Zustimmung Belgiens kann die EU Ceta nicht unterschreiben.

Das Platzen des EU-Kanada-Gipfels ist für die EU eine riesige Blamage. Ist Ceta damit für ein für alle Mal gestorben?
Auch wenn sich dies viele Gegner wünschen würden: Das ist äußerst unwahrscheinlich. Hinter Ceta stehen weiter alle 28 EU-Regierungen. Sie halten das Abkommen für das fortschrittlichste und beste, das die EU je ausgehandelt hat. Die Gemeinschaft dürfte deswegen weiter versuchen, den Widerstand der Ceta-Kritiker in Belgien zu brechen. Auf der anderen Seite des Atlantiks wird genau dies gefordert: „Kanada ist weiterhin bereit, dieses wichtige Abkommen zu unterzeichnen, sobald Europa bereit ist“, sagte Alex Lawrence, Sprecher der kanadischen Handelsministerin Chrystia Freeland, in der Nacht zum Donnerstag.

Was war der Stand der Dinge, bevor aus Kanada die Nachricht kam, dass der Gipfel ausfällt?
Die Krisengespräche mit Vertretern der belgischen Regionen und Sprachengemeinschaften waren am Mittwochabend erneut ohne Ergebnis unterbrochen worden. Damit war Ceta weiter blockiert. Denn es gilt: Ohne die Zustimmung der belgischen Regionen und Sprachgemeinschaften darf der belgische Premierminister Charles Michel Ceta nicht zustimmen - und ohne Zustimmung aller 28 EU-Regierungen kann Ceta nicht unterzeichnet werden.

Muss nun jemand die politische Verantwortung für das Debakel übernehmen?
Letztlich wäre dies wohl am ehesten die Sache des belgischen Premierministers Charles Michel. Er hat es weder rechtzeitig geschafft, die Kritiker in der Region Wallonie zu überzeugen, noch hat er offensichtlich klar genug davor gewarnt, dass er dem Abkommen gegebenenfalls nicht zustimmen kann.


Ist das Veto der Wallonie bloß ein Vorwand?

Auch der EU-Kommission und Mitgliedstaaten wie Deutschland wird immer wieder einen Mitschuld an dem Debakel gegeben...
Beide Seiten zeigen derzeit gegenseitig mit dem Finger aufeinander. Die EU-Kommission weist darauf hin, dass sie von Deutschland und etlichen anderen Staaten gezwungen wurde, Ceta als Vertrag einzustufen, dem nicht nur das Europaparlament, sondern auch der Bundestag und andere nationale und regionale Parlamente zustimmen müssen. Dies führt dazu, dass nun zum Beispiel die Wallonen das Abkommen blockieren können. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) wirft der EU-Kommission hingegen eine Präferenz für das „technokratische Durchpauken von Handelsverträgen“ vor. Er argumentiert, er und andere Mitgliedstaaten hätten damals nur auf die „Fragen und Kritik ihrer Bevölkerung“ reagiert.

Wer hat recht?
Vermutlich haben beide Seiten die Kritik an Freihandelsabkommen wie Ceta lange nicht ernst genug genommen. Gabriel muss sich zudem vorwerfen lassen, dass er zuletzt zweigleisig fuhr. Auf der einen Seite warb er für Ceta, auf der anderen machte er aber Stimmung gegen das mit den USA geplante Handelsabkommen TTIP. Für Ceta-Kritiker war das kaum verständlich.

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten - eingeschlossen Charles Michel, sind sich einig darüber, dass Ceta gut für Europa ist. Sie garantieren, dass Arbeitnehmerrechte und europäische Standards in Bereichen wie Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz uneingeschränkt gewahrt bleiben. Worum geht es den belgischen Ceta-Kritikern eigentlich?
Das ist bis heute nicht ganz klar. Offiziell fordern sie weitere Klarstellungen zu den Vertragsinhalten, Garantien für die Landwirtschaft und ein erneutes Aufschnüren der Vereinbarungen zur Streitschlichtung zwischen Unternehmen und Staaten. Manch ein Politiker und Diplomat vermutet allerdings, dass hinter dem Veto noch ganz andere Dinge stecken könnten. So hatte kurz vor Beginn des Ceta-Debakels der US-Baumaschinenhersteller Caterpillar den Plan angekündigt, eine in der belgischen Region Wallonie gelegene Produktionsstätte zu schließen und die Produktion nach Frankreich und in Werke außerhalb Europas zu verlagern.
Böse Zungen behaupten nun, der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette wolle über sein Ceta-Veto vor allem Unterstützung für seine von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelte Region erzwingen. Von der Schließung des Caterpillar-Werks in Gosselies wären rund 2.000 Mitarbeiter betroffen.

Welche Folgen könnten die Verzögerungen haben?
Der EU droht vor allem ein Verlust an Glaubwürdigkeit. Schon am Montag, als sich das Drama abzeichnete, zeigten sich Befürworter des Abkommens entsetzt. Mit dem vorläufigen Scheitern von Ceta verabschiede sich Europa vorerst aus dem Kreis der verlässlichen Verhandlungspartner, kommentierte beispielsweise der CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%