EU-Kommissionspräsident in Athen Tsipras-Versteher Juncker macht den Griechen Mut

EU-Kommissionspräsident Juncker lobt Griechenlands Fortschritte beim Reformprogramm. Aber noch ist Athen nicht am Ziel.

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Während Tsipras' Konfrontationspolitik 2015 war der Kommissionschef oftmals der einzige Mittler zwischen Athen und den anderen Euro-Staaten. Quelle: AP

Athen Alexis Tsipras weiß gar nicht, welche Backe er dem Gast zuerst hinhalten soll. Küsschen links, Küsschen rechts, Umarmung, Schulterklopfen – es ist die übliche, körperbetonte Juncker-Begrüßung, die dem griechischen Premier am Donnerstag vor der Villa Maximos, seinem Amtssitz an der Athener Herodes-Attikus-Straße zuteilwird.

Zielstrebig durchquert der EU-Kommissionspräsident den marmorgetäfelten Flur und steuert, gefolgt von Tsipras, das Amtszimmer des Regierungschefs an. Man merkt: Juncker ist hier nicht zum ersten Mal, er kennt sich aus mit den Räumlichkeiten, braucht keinen, der ihm den Weg zeigt.

Für Tsipras ist diese Visite aber alles andere als Routine. Griechenland und seine Regierung stehen vor einer entscheidenden Wegmarke. Tsipras‘ konservative und sozialdemokratische Amtsvorgänger haben dazu beigetragen, dass Griechenland immer tiefer in die Schuldenfalle rutschte und schließlich Ende 2009 am Rand der Staatspleite stand. Zwei Rettungsversuche scheiterten.

Tsipras will jener Regierungschef sein, der im dritten Anlauf die Fesseln der Troika sprengt und den Griechen nach mehr als acht Jahren Vormundschaft der Gläubiger ihre Souveränität zurückgibt. Schafft er das, ist sogar ein neuer Wahlsieg nicht ausgeschlossen – auch wenn in den Umfragen derzeit die konservative Opposition rund zehn Prozentpunkte vor dem Tsipras-Linksbündnis Syriza liegt. Es geht also um alles für Tsipras.

Aber noch ist er nicht am Ziel. Wenn Griechenland das Programm planmäßig im Sommer abschließen will, muss die Regierung noch 88 Vorgaben umsetzen. Davon ist bisher nicht einmal ein Fünftel abgehakt. Vor der Presse bescheinigte Juncker Griechenland dennoch „hervorragende Fortschritte“ bei der Umsetzung der Reformen. „Ich bin mit den erzielten Erfolgen vollauf zufrieden“, sagte der Kommissionspräsident. „Gemeinsam werden wir nach den schwierigen Jahren der Vergangenheit eine neue Seite aufschlagen“, sagte er. Vor dem Ende des Sommers werde Griechenland „wieder ein normales Land sein“.

Im kleinen Kreis habe Juncker aber noch einmal gemahnt, Griechenland müsse die vereinbarten Schritte komplett und zügig abarbeiten, berichten Gesprächsteilnehmer. Nur dann sei im August ein Ausstieg aus dem Hilfsprogramm möglich, ohne dass Griechenland eine vorsorgliche Kreditlinie benötige.

Juncker gab sich damit betont optimistisch. Interne Lageanalysen in Brüssel und Berlin klingen skeptischer. Griechenland habe zwar erste Schritte zur Rückkehr an den Kapitalmarkt unternommen, heißt es in einem Papier der EU-Kommission, das dem Handelsblatt vorliegt. Allerdings bleibe dieser Erfolg „zerbrechlich“ und „anfällig für Schocks“, so die Analyse. Eine vorsorgliche Kreditlinie nach dem Ende des Programms könne „nicht ausgeschlossen werden“. Tsipras will eine solche Kreditlinie auf alle Fälle vermeiden, denn sie wäre mit neuen Auflagen der Geldgeber verbunden.

Schon jetzt stoßen die Reformen und Sparmaßnahmen, die Tsipras vor dem Ende des Programms umsetzen muss, auf Widerstand. Am Vortag des Juncker-Besuchs protestierten Mitarbeiter staatlicher Krankenhäuser in Athen gegen den Sparkurs im Gesundheitswesen. Das Personal der staatlichen Elektrizitätswerke streikt seit Montag gegen die Privatisierung von Kraftwerken und Braunkohlegruben. Und für das nächste Jahr hat sich die Regierung bereits zu neuen Rentenkürzungen verpflichten müssen.

Mit der Reformagenda und den Protesten muss Tsipras selbst fertig werden. Auf Junckers Hilfe setzt er vor allem in der Frage der Schuldenerleichterungen. Das Thema steht am Freitag auf der Tagesordnung der Euro-Gruppe in Sofia. Dass die Schuldenerleichterungen kommen, gilt mittlerweile als sicher. Aber wohl nur gegen strikte Bedingungen. So will man sicherstellen, dass Tsipras auch nach dem Ende des Programms auf Reform- und Sparkurs bleibt.

Im Haushalt mag die Athener Regierung inzwischen Rekord-Überschüsse erwirtschaften. Aber das Land kämpft immer noch mit einem Vertrauensdefizit. Keinem griechischen Politiker schlug anfangs in Europa so viel Argwohn entgegen wie Tsipras. Aber mit keinem hatten es die Gläubiger letztlich so leicht. Nachdem Tsipras mit seiner anfänglichen Konfliktstrategie innerhalb weniger Monaten scheiterte und Mitte 2015 vor den Gläubigern kapitulieren musste, setzt er die Spar- und Reformvorgaben folgsamer um als alle seine Vorgänger seit Beginn der Krise.

Keiner weiß das besser als Juncker. Er war von Anfang an eine der zentralen Figuren in der Griechenlandkrise, anfangs als Premierminister Luxemburgs und Vorsitzender der Euro-Gruppe und seit November 2014 als Präsident der Europäischen Kommission.

Aber während Kanzlerin Angela Merkel und ihr strenger Finanzminister Wolfgang Schäuble als Initiatoren des „Spar-Diktats“ verhasst waren, sahen viele Griechen in Juncker den „guten Europäer“. Gleich zweimal während der Krise, 2011 und erneut 2017, bekam Juncker Ehrendoktorwürden griechischer Universitäten verliehen. Man ehre Juncker als „Verteidiger des sozialen Zusammenhalts in Europa“, hieß es in einer Laudatio.

Griechenland sei seine „zweite Heimat“, sagte Juncker am Donnerstagmorgen im Gespräch mit Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos. „Sogar in den schwierigsten Stunden habe ich an das griechische Volk geglaubt.“ Juncker gilt seit jeher als Freund der Griechen, was ihn aber in der Vergangenheit nicht daran hinderte, deutlich zu werden.

Als sich im Oktober 2009 herausstellte, dass die konservative Athener Regierung Brüssel mit falschen Haushaltszahlen getäuscht hatte, donnerte Juncker: „Das Spiel ist aus!“ Nach dem Machtwechsel in Athen Anfang 2015 erwarb sich Juncker den Ruf eines Tsipras-Verstehers. Er verstand es, den Außenseiter einzubinden. Als Kommissionspräsident war der Luxemburger für den Neuling Tsipras so etwas wie ein väterlicher Freund.

In den dramatischen Monaten des Frühjahrs 2015, als Tsipras sich mit seiner Konfrontationspolitik in Europa immer mehr isolierte, war der Kommissionschef oftmals der einzige Mittler zwischen Athen und den anderen Euro-Staaten. Bei ihm liefen in der Griechenland-Krise alle Fäden zusammen. Dass Griechenland trotz des Harakiri-Kurses, den Tsipras und sein exzentrischer Finanzminister Yanis Varoufakis wählten, Mitte 2015 nicht aus der Gemeinschaftswährung Euro flog – es ist wesentlich Juncker zu verdanken.

Nun setzt Tsipras wieder auf den Brückenbauer Juncker, um das im Sommer 2015 geschnürte Rettungsprogramm zu einem guten Ende zu bringen und Schuldenerleichterungen für sein Land auszuhandeln. Juncker versprach Solidarität, mahnte in seiner Rede vor dem griechischen Parlament am Donnerstagnachmittag aber auch: „Pacta sunt servanda“, Vereinbarungen müssen eingehalten werden.

Tsipras saß auf der Regierungsbank und lauschte aufmerksam. Vielleicht gilt ja immer noch, was ein ranghoher EU-Diplomat in den Chaoswochen des Frühjahrs 2015 sagte: „Wenn der Tsipras auf jemanden hört, dann auf Juncker.“

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