EU-Kritiker im Aufwind? Was der Wahl-Sonntag für Europas Populisten bedeutet

Die Mehrheit der Österreicher hat den Rechtspopulisten die kalte Schulter gezeigt. In Italien ist allerdings der europafreundliche Premier Renzi über ein Referendum gestolpert. Was bedeutet das für den Rest der EU?

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Marine Le Pen, French National Front (FN) political party leader, gestures during an FN political rally in Frejus, France, September 18, 2016. REUTERS/Jean-Paul Pelissier/File Photo Quelle: Reuters

Athen/London/Madrid/Moskau/Paris Der Wahlsieg von Alexander Van der Bellen in Österreich ließ europäische Spitzenpolitiker jubeln. Nach dem Brexit-Votum vom Juni und der Wahl des US-Milliardärs Donald Trump im November ist nun zumindest klar, dass Populismus und Nationalismus nicht überall Selbstläufer sind.

Doch in der Nacht zum Montag folgte die bittere Pille: Der EU-Freund Matteo Renzi hat sein Verfassungsreferendum verloren und will zurücktreten. Das politische Beben des EU-Gründerstaats beunruhigt die Gemeinschaft, und das nicht nur, weil nun die Euro-Krise wieder aufzuflammen droht. Renzis Gegner machten klar Stimmung gegen Brüssel – und konnten damit punkten. Und 2017 muss die EU weitere Nackenschläge fürchten.

Griechenland: Rückschlag für Tsipras

Als der Wahlsieg Alexander Van der Bellens bei der Präsidentenwahl in Österreich feststand, twitterte der griechische Premier Alexis Tsipras: „Glückwunsch an Präsident Van der Bellen – frischer Wind in einer Zeit, da Europa durch den Aufstieg der extremen Rechten bedroht wird.“

Aber die Freude währte nicht lang. Den Ausgang des Referendums in Italien kommentierte Tsipras zunächst nicht. Aber mit dem Rücktritt von Matteo Renzi verliert der griechische Links-Premier einen der wenigen Sympathisanten, die er im Kreis der europäischen Staats- und Regierungschefs hatte. Mit dem Plan, eine Allianz der Euro-Südstaaten gegen Berlin zu schmieden, war Tsipras zwar schon frühzeitig gescheitert. Wirklich verbünden wollte sich auch Renzi nicht mit dem exzentrischen Griechen. Bei seinen Bemühungen um eine Lockerung des Sparkurses hatte Tsipras aber in dem italienischen Kollegen einen Mitstreiter.

Renzis Abgang ist für Tsipras umso schmerzlicher, als im nächsten Jahr auch Francois Hollande abtreten wird. Zu keinem anderen europäischen Spitzenpolitiker unterhält Tsipras so enge Kontakte wie zu dem französischen Präsidenten, der in Athen als eine Art Gegengewicht zu Angela Merkel und Wolfgang Schäuble gesehen wird.

Doch folgenschwerer als diese Personalien könnten die politischen Konsequenzen sein. Nach Renzis Niederlage drohen nicht nur Italien, sondern der ganzen EU neue Turbulenzen. Das sind keine guten Vorzeichen für die Bemühungen des griechischen Premiers um Schuldenerleichterungen und flexiblere fiskalische Vorgaben. Bricht die Eurokrise wieder auf, wäre Griechenland besonders gefährdet. Denn von allen Problemländern steckt es immer noch am tiefsten im Schuldensumpf.

Gerd Höhler


Frankreich: Die Front National wird nervös

Für Frankreichs Rechtspopulisten von der Front National war das vergangene Wochenende insgesamt eine Enttäuschung. Sicher, sie jubeln über die Niederlage von Renzi beim Verfassungsreferendum. „Das ist ein Nein zur Politik der Ultra-Austerität von Renzi, die Italien von der Europäischen Union aufgezwungen wird“, freut sich FN-Chefin Marine Le Pen in einer Stellungnahme. Die Ablehnung der Verfassungsänderung sei „ein Zeichen der Hoffnung“ und auch ein „Signal für Frankreich“ mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im kommenden Mai, so die Rechtspopulistin weiter.

Doch die FN weiß, dass Renzis Niederlage nicht einfach ein Sieg der italienischen Anti-Europäer ist. Schließlich haben auch viele Pro-Europäer wie Mario Monti die Verfassungsänderung abgelehnt, und das Verhältnis zur EU stand nicht zur Abstimmung, auch wenn es im Wahlkampf eine Rolle spielte.

Wichtiger mit Blick auf die eigenen französischen Wahlen im Mai ist für die FN der Ausgang der Wahl in Österreich. Er ist für die Rechtspopulisten eine riesige Enttäuschung. Sie hatten darauf gehofft, dass Österreich den ersten Rechtsradikalen in ein wichtiges staatliches Amt innerhalb der EU wählt und damit einen Dammbruch auslösen würde. Die französische extreme Rechte lebt mit dem Fluch zwar gute Wahlergebnisse einfahren zu können, im entscheidenden Moment aber immer wieder zu versagen. So war es bei den Regionalwahlen im vergangenen Dezember, als die FN einen Durchbruch erhoffte, aber am Ende keine einzige Region gewann. So könnte es auch im Mai wieder geschehen. Das Scheitern des FPÖ-Kandidaten Hofer ist für die FN ein Menetekel. Es wirkt wie ein Fingerzeig, dass auch Le Pen bestenfalls in die Stichwahl kommen, dann aber geschlagen werden wird. Grotesk wirken die Versuche von Le Pen, Hofers Scheitern in ein „Zeichen kommender Wahlsiege“ umzudeuten.

Bei der extremen Rechten macht sich kurz vor dem Start der heißen Wahlkampfphase Nervosität breit. Man weiß nicht, wie man mit den anderen Kandidaten umgehen soll, vor allem mit dem konservativen François Fillon. Le Pen-Vize Florian Philippot würde ihn gerne als Kandidaten der globalisierten Eliten angreifen, der eine Wirtschaftspolitik gegen die ärmeren Franzosen betreibe. Doch Wahlkampfleiter David Rachline und die Le Pen-Nichte Marion versuchen auf absurde Weise, Fillon als einen verkappten Linken hinzustellen, der nur zum Schein Abtreibung und die Ehe für Homosexuelle kritisiere. Hofers Niederlage dürfte den Linienstreit innerhalb der FN noch weiter anheizen.

Thomas Hanke


Spanien: Rajoy ist ein leichtes Opfer

Spanische Politiker hielten sich am Montagmorgen zunächst mit Kommentaren zum Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi zurück. Der spanische Premier Mariano Rajoy und Pablo Iglesias, Chef der linkspopulistischen Partei Unidos Podemos, gratulierten via Twitter dagegen noch am Sonntagabend dem neuen österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen. „Meinen Glückwunsch an @vanderbellen für seinen Wahlsieg und an das österreichische Volk dafür, dass es sich für die Moderation und ein vereintes Europa entschieden hat“, twitterte Rajoy. „Das Ergebnis in Österreich ist eine gute Nachricht, auch wenn die Kraft der Ultrarechten weiter besorgniserregend ist“, twitterte Pablo Iglesias. „Europa sollte innehalten und nachdenken.“

In Spanien gibt es trotz der schweren Wirtschaftskrise und den harten Sparmaßnahmen der Regierung Rajoy keine rechtsradikale Partei. Als Erklärung nennen viele die jüngere Geschichte Spaniens mit der Franco-Diktatur, die Anfang der 70er Jahre endete und immer noch dafür sorgt, dass rechte Parolen in der Bevölkerung keine Resonanz finden.

Gleichwohl sind in Spanien die Linkspopulisten von Unidos Podemos auf dem Vormarsch und besitzen 21 Prozent der Stimmen im spanischen Parlament. Sie positionieren sich als Stimme des Volkes im Kampf gegen die Elite und sind als junge Partei bei den Wahlen im vergangenen Dezember aus dem Stand heraus mit Macht ins Parlament eingezogen.

Doch nachdem es dem charismatischen Iglesias in den Neuwahlen im Juni nicht gelungen war, die sozialistische Traditionspartei PSOE an Stimmen zu überholen und sich zur zweistärksten Partei des Landes aufzuschwingen, ist Unidos Podemos in eine Sinnkrise gestürzt. Die junge Partei reibt sich derzeit in internen Grabenkämpfen über die richtige Strategie auf und hat deshalb in Spanien etwas von ihrem Drohpotential als Systemumstürzler verloren.

Vom Tisch ist die Gefahr allerdings nicht, denn auch die PSOE zerfleischt sich gerade selbst. Laut Umfragen würde Unidos Podemos an der PSOE vorbei ziehen, wenn Spanien jetzt noch einmal wählen würde. Und auch das ist durchaus möglich: Zwar gibt es seit einigen Wochen eine neue Regierung. Doch die führt der konservative Rajoy mit einer Minderheit an, die für jedes Gesetz auf die Zustimmung der Opposition angewiesen ist. Zahlreiche Beobachter gehen deshalb davon aus, dass sie keine vier Jahre halten wird.

Die spanische Tageszeitung El País bewertete das Nein gegen die Verfassungsreform in Italien als „Stinkefinger für Matteo Renzi. Die Eitelkeit und Mehrdeutigkeit des Referendums besiegen den persönlichen Volksentscheid des Ministerpräsidenten.“

Sandra Louven


Großbritannien: Populisten sind mit sich selbst beschäftigt

„Austria says NEIN to far-right“ titelt die britische Tageszeitung Metro am Montag. Die Schlagzeile, dass die Österreicher den Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen zum neuen Regierungschef gewählt haben, verdrängt sogar Nachrichten über „Brexit Boris“ auf die hinteren Seiten.

Auch in anderen Zeitungen nehmen die Nachrichten aus Österreich und Italien einen prominenten Platz ein. „Kommt jetzt der Italexit?“ spekuliert die „Daily Mail“. Die Möglichkeit, dass die Italiener die Eurozone und die EU verlassen, rücke näher. Und der Guardian schreibt, dass es deutlich zu spüren sei, dass „die alte Ordnung in weiten Teilen Europas in ernsthafter Gefahr ist“. Großbritannien selbst habe „auf die harte Tour“ lernen müssen, dass ein Referendum in schwierigen Zeiten mehr Probleme schaffen als lösen könne.

Denn auf der Insel hat sich seit Mitte Juni, als die Briten über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union abstimmte, viel geändert. Zwar ist mit Theresa May noch immer eine Politikerin aus der konservativen Partei an der Regierungsspitze, doch um sie herum tobt ein politischer Sturm. Zahlreiche Amtsinhaber haben ihre Posten verloren, die beiden etablierten Parteien Tory und Labour sind zerstritten und die EU-kritische Ukip-Partei, die den überraschenden Ausgang des Referendums als ihren Erfolg verbucht, zeigt sich selbstbewusst wie lange nicht. „Wut ist eine starke politische Macht“, erklärte der neue Parteivorsitzende Paul Nuttall mit fast drohender Stimme an diesem Montag im Frühstücksfernsehen.
Seine Partei ist jedoch nicht so mächtig, wie er es gern hätte: Zwar erreicht die rechtspopulistische Partei in aktuellen Wahlumfragen 14 Prozent – doch Wahlen stehen vorerst nicht auf der Agenda. Und derzeit stellt Ukip mit Douglas Carswell gerade einmal einen der insgesamt 650 Abgeordneten im britischen Parlament. Zudem hat Ukip – bei allem Drohgebärden in Richtung der etablierten Parteien – viel mit sich selbst zu tun. Interne Machtkämpfe führten so dazu, dass Nuttall der dritte Parteichef in diesem Jahr ist. Seine Vorgängerin Diane James war nach gerade einmal 18 Tagen zurückgetreten. Noch spielt Ukip keine große Rolle in der britischen Politik. Aber sollten sich Brexit-Befürworter – die nicht nur in den Reihen rechtspopulistischer Briten zu finden sind – von der aktuellen Regierung enttäuscht fühlen, könnte sich das ändern.

Kerstin Leitel


Russland: Van der Bellens Sieg ist nur ein „Trostpreis“

Der Kreml schweigt: Wladimir Putin hat sich bislang weder zum Ausgang des Referendums in Italien noch zur Bundespräsidentenwahl in Österreich geäußert – auch Glückwünsche an den dortigen Sieger Alexander van der Bellen gibt es noch nicht. Freilich sparte sich die russische Führung auch in der Vergangenheit lautstarke Kommentare nach dem Brexit-Votum oder dem Wahlerfolg von Donald Trump in den USA, die allgemein als günstig für Moskau interpretiert wurden.

Das heißt nicht, dass es im russischen Establishment keine Meinung zu den Ereignissen im Westen gibt. Doch diese wird in brisanten Fragen dann zumeist von Politikern aus der zweiten Reihe vorgetragen, wie dem russischen Senator und bekannten Außenpolitiker Alexej Puschkow, der nach dem Scheitern der Verfassungsreform in Rom einen „Italexit“ oder zumindest einen Austritt Italiens aus der Euro-Zone prognostiziert.

Der Chef des Außenausschusses im Föderationsrat Konstantin Kossatschow stößt ins gleiche Horn und sieht nicht nur eine „gründliche Regierungskrise“ in Rom voraus, sondern auch die gesamte EU in Schwierigkeiten: „Auch wenn sie in Brüssel versuchen, mit allen Mitteln zu betonen, dass der Vorfall in Italien eine zutiefst innere Angelegenheit des Landes ist, wird es natürlich Folgen geben“.

Erneut sei ein „ultraliberales Projekt“ gescheitert. „Die Zeit, als die Wähler nur zwischen sich in Nuancen unterscheidenden liberalen Parteien entscheiden können, ist vorbei. Es beginnt eine Epoche politischer Turbulenzen und das italienische Referendum ist nur der erste Akt dieses – möglichen – Dramas“, so der Politiker, der den Sieg van der Bellens allenfalls als „Trostpreis für die Eurooptimisten“ abqualifiziert.

André Ballin


Schweden, Finnland und Dänemark: Aufatmen in Skandinavien

Mit Erleichterung haben nordeuropäische Politiker auf den Sieg des ehemaligen Grünen-Chefs Alexander Van der Bellen bei den österreichischen Bundespräsidentenwahlen reagiert. „Ich beglückwünsche van der Bellen. Sein Wahlkampf baute auf europäischen Werten auf. Das wird in diesen Zeiten sehr gebraucht“, twitterte Schwedens sozialdemokratische Außenministerin Margot Wallström. Einer ihrer Vorgänger, der konservative Carl Bildt, schrieb: „Es ist ermunternd, dass Österreich Europa nicht den Rücken kehrt. Nur zusammen haben wir Erfolg“.

Der Ausgang der Präsidentenwahlen in Österreich war in Nordeuropa mit Spannung verfolgt worden. Denn in allen nordischen Ländern sitzen rechtspopulistische Parteien bereits seit Jahren in den Parlamenten. Ein Sieg des Rechtspopulisten Norbert Hofer, so die Befürchtung, hätte den rechtspopulistischen Parteien im Norden neuen Auftrieb gegeben.

Derzeit kämpfen die Rechtspopulisten in Finnland, Schweden und auch Dänemark mit Gegenwind. In Finnland ist die Partei der Finnen Mitglied der Regierungskoalition und musste deshalb viele Kompromisse eingehen. Das ist bei einem Großteil der Wähler nicht gut angekommen. Die Partei hat rund die Hälfte der Stimmen verloren. Auch in Schweden und Dänemark büßten die rechtspopulistischen Parteien wegen diverser Skandale zuletzt Sympathien ein.

Zum Ausgang des italienischen Referendums und dem daraus folgenden Rücktritt des italienischen Premiers Matteo Renzi hielten sich Politiker in Nordeuropa mit Kommentaren bislang zurück. Ökonomen wie der Chefvolkswirt der Bank SEB, Robert Bergqvist, waren vom Wahlausgang in Italien nicht überrascht. Für Unruhe könnten Neuwahlen sorgen sowie neue Belastungen für den bereits unter Druck stehenden italienischen Bankensektor. Sein Kollege Joakim Bornold vom Aktienmakler Nordnet sieht in dem angekündigten Rücktritt von Renzi vor allem Probleme für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie verliere nun einen ihrer wichtigsten Verbündeten. „Das wirkt sich auf die ganze EU-Zusammenarbeit aus“, erklärte er gegenüber der Zeitung „Svenska Dagbladet“.

Helmut Steuer


Schweiz: An Populismus längst gewöhnt

Die Schweiz ist neben Slowenien das einzige Land, welches sowohl an Italien als auch Österreich grenzt. Trotz der Nähe gehen die Eidgenossen weniger zimperlich mit der Politik jenseits der Landesgrenzen um.

Regierungschef Renzi, der die veraltete Politik des Landes verschrotten wollte, finde sich nach dem gescheiterten Referendum nun selbst auf dem Schrottplatz wieder, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung am Montag. Die Präsidentenwahl in Österreich wiederum werde Wien nur eine Atempause verschaffen – bis zur nächsten Wahl.

In der Schweiz selbst ist mit der SVP eine stark rechtskonservative Partei schon lange Teil des Politikbetriebs in Bern. Seit 1999 stellt sie im Schweizer Nationalrat die stärkste Fraktion. Von Populisten reden die Bewohner des Alpenlandes dabei allerdings selten. Andererseits könnte man behaupten, die Schweiz sei den Populismus längst gewohnt.

Denn schließlich war es die SVP, die durch Gesetzesinitiativen wie dem Minarett-Verbot, einer Begrenzung der „Masseneinwanderung“ oder einer Verschärfung des Asylrechts vorwegnahm, womit Populisten im Rest Europas derzeit Stimmung machen.

Ozan Demircan

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