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EU-Russlandgipfel Russland muss ein Teil Europas werden

Für viele EU-Politiker ist Russland seit Jahren ein schwieriger Nachbar. Krisen wie der Gasstreit mit der Ukraine brachten den gesamteuropäischen Frieden in Schieflage. Neuerdings bemühen sich die Russen aufrichtig um Entspannung. Die EU sollte den neuen Westkurs der Russen ernst nehmen - und ihnen die EU-Assoziierung anbieten, meint Korrespondent Florian Willershausen.

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Russlands Präsident Dmitri Quelle: dpa

Herrje, schon wieder ein EU-Russlandgipfel! Unter russischen Diplomaten zählt dieser Termin zu den unangenehmeren Pflichten. Unterhändler schieben sich Papiere hin und her, produzieren heiße Luft, bestenfalls kommt Unverbindliches wie ein Memorandum heraus. Im letzten Jahr lud der russische Außenminister die EU-Delegierten gar ins fernöstliche Chabarowsk ein – auf dass sie mit Jetlag landen und im folgenden Jahr zu Hause bleiben, so die insgeheime Hoffnung.

Doch die EU-Diplomaten sind wieder da: Heute und morgen tagen sie in Rostow am Don, anderthalb Flugstunden südlich von Moskau. Und plötzlich ist die Stimmung ganz anders. Russen und EU-Europäer wollen die gemeinsamen Beziehungen auf neue Säulen stellen. Der russische Präsident Dmitri Medwedew bereitet eine außenpolitische Doktrin vor, wonach Russland einen Westkurs einschlagen und die EU-Länder bei der Modernisierung seines Landes einbinden will.

Langsame Öffnung eines gewaltigen Markts

Russland rüstet ab – zumindest rhetorisch. Diesem Beispiel sollten auch EU-Politiker folgen, denn bislang wurde der imaginäre Partner an der Ostgrenze behandelt wie ein böswilliger Nachbar, der sonntags Rasen mäht und nachts laut Musik hört. Dabei ist längst Gras über Konflikte wie den Gasstreit mit der Ukraine oder den Georgienkrieg gewachsen. Dagegen böte eine echte Partnerschaft zwischen der EU und Russland Chancen – vor allem für die Wirtschaft.

Die jüngste Krise hat schlagartig deutlich gemacht: Mit der rohstofflastigen Wirtschaftsstruktur landet Russland in der Sackgasse. Das Land muss Branchen wie die Chemie-, Auto- und Maschinenproduktion modernisieren, den Dienstleistungssektor stärken. Im schlechtesten Fall profitieren EU-Unternehmen, indem sie mehr Anlagen nach Russland verkaufen. Im besten Fall bedeutet Medwedews Modernisierung die langsame Öffnung eines gewaltigen Markts mit hohen Zöllen und Investitionsrisiken. In jedem Fall würden besonders deutsche Unternehmen profitieren, deren Land der wichtigste Handelspartner Russlands ist.

Russlands Tür nach Westen steht weit offen

Klar, in Rostow am Don ist nichts Konkretes zu erwarten: Ein visafreier Reiseverkehr – die Maximalforderung der Russen – ist wünschenswert, aber angesichts strenger Einreiseregeln auf beiden Seiten vorerst nicht realisierbar. Beim Partnerschaftsabkommen stecken die Verhandlungen fest, vor allem wegen hoher russischen Zölle, an denen sich insbesondere direkte Nachbarn wie Polen, Finnland und Schweden stören.

In Rostow wäre ein neuer Tonfall ein großer Erfolg: Die EU sollte den Russen signalisieren, dass das Land ein willkommener und ernst zu nehmender Partner des Westens ist. Um dies zu zementieren, darf ein neues Partnerschaftsabkommen nicht zum wertlosen Memorandum verkommen, das in Aktenschränken vergilbt. Europa muss den Russen die Assoziierung an die EU anbieten und messbare Anreize wie ein Freihandelsabkommen vorschlagen.

Momentan steht Russlands Tür nach Westen so weit offen wie selten zuvor. Die EU-Unterhändler sollten sie aufstoßen, indem sie den Russen mit Respekt entgegenkommen. Schließlich hat Moskau eine Alternative zum Westkurs: Die Partnerschaft mit China, die Peking derzeit mit allen Mitteln forciert. Wenn sich China das große Russland als Partner einverleibt, werden Russlandgipfel wohl bald wieder im fernöstlichen Chabarowsk stattfinden – allerdings unter Ausschluss der Europäer.

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