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Euro-Gipfelbeschlüsse Fünf Fallen für die Euro-Retter

Mit mehr Haushaltsdisziplin und Schuldenbremsen will die EU zur Stabilitätsunion werden. Doch guter Wille allein kann den Euro nicht retten: Handelsblatt Online zeigt, wo die Fallstricke des neuen Euro-Vertrags liegen.

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Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Gipfel in Brüssel. Quelle: dapd

Die Euro-Retter hatten die Latte hoch gelegt: „Wenn es am Freitag keine Einigung gibt, wird es keine zweite Chance geben“, schwor Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die EU-Regierungschefs vor dem Euro-Rettungsgipfel ein. Angela Merkel hatte schon zuvor verbreiten lassen: „Wir werden in Brüssel keine faulen Kompromisse machen.“

Nachdem die Erweiterung des Rettungsschirms mithilfe von Finanztricks Ende November am Streik der Investoren gescheitert war, blieb den Euro-Rettern nur noch die Flucht nach vorn: Die Eurozone soll zur Stabilitätsunion umgebaut, Schuldenländer durch härtere Haushaltsregeln, Schuldenbremsen und andere Maßnahmen künftig zum Sparen gezwungen werden.

Gemessen an ihren eigenen Worten haben Merkel und Sarkozy auf diesem Gipfel deutlich mehr erreicht als auf den bisherigen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs. Sie nehmen mit den Beschlüssen Anlauf für einen größeren Wurf, um den Euro zu retten. Nicht allein neue Rettungsschirme, sondern auch ein neuer Vertrag aller 17 Euro-Länder und weiterer EU-Mitglieder über mehr Haushaltsdisziplin soll den Euro retten. Europa beschränkt sich nicht mehr nur darauf an den Symptomen der Krise herumzudoktern, sondern beginnt damit die Strukturen zu ändern, die in die Krise geführt haben. Das ist die gute Nachricht.

Und dennoch: Der neue Stabilitätsvertrag, den die EU-Staaten in mühsamen Verhandlungen bis spät in die Nacht ausgearbeitet haben, lässt mehr Fragen offen, als er beantwortet. Die Börsen reagieren deswegen eher zurückhaltend: Sie wissen nicht recht, was sie von den Plänen halten sollen. Die Unsicherheit, wie die Beschlüsse zu werten sind, belastet den Handel an den Aktienmärkten in Europa. Handelsblatt Online analysiert, welche Probleme auch nach den weitreichenden Beschlüssen bleiben.


Die Schuldenbremsen bremsen vorerst keine Schulden

Kernstück der neuen Stabilitätsunion sind verbindliche Schuldengrenzen für die Eurostaaten und EU-Länder, die sich an dem neuen Vertrag beteiligen wollen. Grundsätzlich sollen die Euro-Staaten den Staatshaushalt ausgleichen. Das strukturelle - also um Konjunktureffekte bereinigte - Defizit darf nach dem Willen der Euro-Retter künftig nicht mehr als 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des jeweiligen Landes betragen. Alle Euro-Staaten sollen eine solche Schuldenbremse in ihren Verfassungen verankern. Der Europäische Gerichtshof soll über die Umsetzung in nationales Recht wachen.

Die Regel soll bei den Investoren Vertrauen schaffen, weil alle Staaten künftig nicht nur versprechen, dass sie Schulden abbauen wollen, sondern durch ihre Verfassungen daran gebunden sind. Politische Versprechen kann man leicht brechen, Verfassungen dagegen nicht, so die Hoffnung der soliden Staaten, die die Schuldenländer mit der Regel verbindlich zum Schuldenabbau und zum Sparen zwingen wollen.

Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese Hoffnung als Wunschtraum: Die Schuldenbremse enthält nach jetzigem Verhandlungsstand noch eine Reihe von Hintertüren. Denn die Euro-Staaten wollen sich Regeln für das sogenannte strukturelle Defizit setzen - bei außergewöhnlichen Umständen oder schlechter Konjunktur sind weiterhin größere Defizite bis zur Höhe der Höchstgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung erlaubt. Die Euro-Staaten legen sich also auf eine verbindliche Schuldengrenze fest - und haben schon eine Ausnahme eingebaut, mit der sie sie im Zweifelsfall umgehen können.

Europa folgt damit dem Vorbild Deutschlands: In Artikel 115 des Grundgesetzes ist die Schuldenbremse bereits verankert. Doch auch hier kann bei „einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung“ von der Obergrenze abgewichen werden. Keine Regel ohne Ausnahme also. Zudem bleibt die Euro-Schuldenbremse hinter den deutschen Vorgaben zurück: In Deutschland darf das strukturelle Defizit laut Grundgesetz nicht mehr als 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen, in Europa soll es nach dem neuen Vertrag nicht über 0,5 Prozent liegen. Ab wann die neuen Regeln gelten sollen, ist ebenfalls offen. Auch in Deutschland ist die Einhaltung der Schuldengrenze für den Bund erst ab 2016, für die Länder erst ab 2020 vorgesehen.

Wie genau die Regel umgesetzt wird, bleibt außerdem jedem Staat selbst überlassen. Die Regel muss in den Verfassungen oder „auf gleichwertiger Ebene“ eingeführt werden - den Staaten bleibt dabei also ein gewisser Spielraum, der die Glaubwürdigkeit der Regel weiter schwächt. Bei Überschreiten der Grenze von 0,5 Prozent soll zudem ein „automatischer Korrekturmechanismus“ greifen. Wie genau der aussehen soll, ist bislang offen. Nach den Plänen der Euro-Retter soll jeder Staat selbst das Verfahren für den Korrekturmechanismus festlegen, auch wenn die EU-Kommission dafür Vorgaben machen wird. Der Europäische Gerichtshof soll die Umsetzung zwar überwachen, aber im Prinzip darf damit jeder Staat selbst bestimmen, was passiert, wenn er die Schuldengrenze reißt. Zumindest muss er künftig aber ein verbindliches Programm mit der EU-Kommission abschließen, in dem die nötigen Strukturreformen genau festgelegt werden.

Da kommt das zweite Problem ins Spiel: Die neue Stabilitätsunion krankt nicht nur an weichen Regeln, sondern den halbherzigen Strafen, mit denen sie durchgesetzt werden sollen.


Sanktionen gegen die Schuldensünder bleiben halbherzig

Denn auch das zweite Element der geplanten neuen Haushaltsdisziplin hat empfindliche Schwachstellen. Bisher sieht der Stabilitätspakt vor, dass Staaten sich nicht mit mehr als drei Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung verschulden dürfen und ihr Gesamtschuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen darf. Diese Regeln stehen aber nur auf dem Papier. Kaum ein Staat hat sich daran gehalten, auch Deutschland hat den Pakt unter der rot-grünen Bundesregierung mehrfach selbst verletzt. Nur noch 6 von 17 Staaten der Eurozone haben überhaupt noch eine Verschuldung von weniger als 60 Prozent des BIP: Finnland (48,3 Prozent), die Slowakei (41 Prozent), Slowenien (38,8 Prozent), Luxemburg (19,1 Prozent) und Estland (6,7 Prozent).

„Dort, wo wir heute Referenzwerte haben, brauchen wir künftig rechtsverbindliche Grenzwerte“, sagte Angela Merkel daher am vergangenen Freitag in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag. Politischen Spielraum, wenn es darum gehe, festzustellen, ob diese Grenzwerte verletzt worden seien oder nicht, dürfe es nicht mehr geben: „Es muss wirkliche Automatismen geben. Nur so kann Vertrauen, das sechzigmal verletzt wurde, wiedergewonnen werden“.

Das Problem ist nur, dass es bei den neuen Stabilitätsregeln auch damit nicht weit her ist. Zwar soll die EU-Kommission bei Verstößen gegen den Stabilitätspakt künftig automatisch Sanktionen gegen Schuldensünder einleiten, anstatt wie bisher mit Zustimmung der Euro-Staaten. Die EU-Finanzminister können das Sanktionsverfahren aber mit einer qualifizierten Mehrheit, also mehr als 50 Prozent der möglichen 17 Stimmen, stoppen. Länder, gegen die ein Sanktionsverfahren wegen zu hoher Neuverschuldung läuft, sollen ein verbindliches Programm zu Reformen und Defizitabbau bei der Kommission und beim Rat abliefern.

Damit gibt es auch weiter keine harten Strafen, mit denen die Einhaltung der Schuldenregeln durchgesetzt werden kann. Die Sanktionen funktionieren nicht wirklich automatisch, sondern höchstens halbherzig. Denn wie groß die Mehrheit sein muss, mit der die Staaten ein Defizitverfahren abwenden können, haben die Euro-Retter offen gelassen. So besteht weiter die Möglichkeit, dass eine Koalition aus großen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Italien Strafen gegen Defizitsünder verhindert, obwohl diese doch künftig „automatisch“ und nicht vom politischen Willen der Regierungen abhängig sein sollen - so wie 2003, als die EU-Finanzminister das Verfahren gegen Deutschland aussetzten, obwohl es die Schuldengrenze überschritten hatte.


Europa hat weiter keine Wirtschaftsregierung - und riesige Ungleichgewichte

Der dritte Schwachpunkt der Euro-Beschlüsse betrifft die Zusammenarbeit der Euro-Länder in der Wirtschaftspolitik. Die hohen Schulden der meisten Euro-Staaten sind nicht das einzige Problem der Gemeinschaftswährung. Die Eurozone krankt nicht nur an zu wenig gemeinsamer Haushaltsdisziplin, sondern vor allem daran, dass es keine effektive gemeinsame Wirtschaftsregierung gibt. Zwar bekräftigen die Euro-Staaten ihr Bekenntnis zu einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. Dazu wollen sie mindestens zweimal jährlich Gipfel abhalten. Die EU-Kommission soll künftig die Haushaltsentwürfe der Mitgliedsstaaten vor der Verabschiedung genehmigen und verwerfen können, wenn sie dem Stabilitätspakt widersprechen. Eine wirkliche Antwort auf das größte Problem der Eurozone - die wirtschaftlichen Ungleichgewichte - ist das aber nicht.

Denn viele der Länder, die nun in Schwierigkeiten stecken, haben gar nicht gegen die Defizitkriterien verstoßen. Im Gegenteil: Spanien und Irland waren absolute Musterschüler der Haushaltsdisziplin. Geholfen hat ihnen das wenig. Defizitsünder Deutschland steht heute wirtschaftlich deutlich besser da.

Das liegt daran, dass sich die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone in punkto Wettbewerbsfähigkeit und Export nicht sofort und automatisch in den Staatshaushalten, sondern vielmehr in der Leistungsbilanz eines Landes widerspiegeln. Länder mit geringer Wettbewerbsfähigkeit wie Spanien häufen auf Dauer Schulden gegenüber dem Ausland an, weil sie mehr importieren als exportieren. Werden die Schulden zu groß, bedrohen sie die finanzielle Stabilität des Landes und damit des gesamten Euro-Raums. Diese Entwicklung zeigt sich nicht unbedingt im Staatshaushalt: Hohe Auslandsschulden kann auch die private Wirtschaft anhäufen und damit am Ende den Staat destabilisieren, wenn er zur Rettung der Wirtschaft einspringen muss.

Die Beispiele Spanien und Irland zeigen das eindrucksvoll. In beiden Ländern hatte sich zunächst der Privatsektor durch einen beispiellosen Immobilienboom verschuldet. Durch die Finanzkrise und die Bankenrettungen wurden die Schulden des Privatsektors dann zu Staatsschulden. Wenn sich die Euro-Länder bei ihren Rettungsbemühungen bloß auf die Haushaltsdisziplin der Staaten beschränken, gehen sie das Problem der Ungleichgewichte nicht direkt an sondern über einen Umweg. Es stellt sich die Frage, ob der direkte Weg nicht effektiver wäre.


Ob die EZB Feuerwehr spielt, bleibt unklar

Härtere Stabilitätsregeln sind schön und gut – aber auf kurze Sicht helfen sie wenig, um den Euro vor dem Untergang zu schützen. Italien und Spanien müssen in den kommenden Monaten Milliarden an neuen Anleihen ausgeben um ihre Staatsausgaben zu refinanzieren. Gelingt das nicht, droht ihnen die Zahlungsunfähigkeit. Nach dem jetzigen Zeitplan sollen die Euro-Länder bis März dem neuen Euro-Vertrag zustimmen. Dafür brauchen sie die Mehrheit in ihren nationalen Parlamenten. In einigen Ländern könnten sogar Volksabstimmungen nötig sein.

Wenn alle Beschlüsse des Gipfels abgesegnet sind, könnte frühestens ab Juli 2012 der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) parallel zum Rettungsfonds EFSF seine Arbeit aufnehmen. Er soll mit einem Kapitalstock von 80 Milliarden Euro und einem Gesamtvolumen von 500 Milliarden Euro ausgestattet sein und für ein Jahr zunächst parallel zum bisherigen Rettungsfonds EFSF arbeiten. Dabei ist noch unklar, wie die Kompetenzen zwischen EFSF und ESM abgegrenzt werden sollen. Angesichts der hohen Hürden für die Zustimmung zu den Vertragsänderungen ist jedoch völlig unklar, ob der Zeitplan bis Juli 2012 eingehalten werden kann. Bis dahin dürfte die Unsicherheit an den Finanzmärkten weiter groß bleiben.

Deshalb ruht die Hoffnung auf der Europäischen Zentralbank (EZB). Merkozys Masterplan sieht vor, dass die Notenbank mit dem Ankauf von Anleihen der Schuldenländer quasi eine Art Brückenfinanzierung leistet, bis die neuen Stabilitätsmaßnahmen greifen. Das wird EZB-Präsident Mario Draghi allerdings nur tun, wenn er vom neuen Sparwillen der Euro-Regierungschefs wirklich überzeugt ist. Bei einem Auftritt im Europa-Parlament hat er bereits weitere EZB-Hilfen angedeutet. Dies knüpfte er jedoch an die Verabschiedung harter Stabilitätsregeln durch die Euro-Länder. Wenn es klare Schritte der EU-Regierungen gäbe, um das Vertrauen der Märkte wieder herzustellen, würden „andere Elemente“ folgen, sagte Draghi.

Mit den härteren Stabilitätskriterien sind die Euroländer nun in Vorleistung getreten. Die Frage ist, ob das ausreicht um Draghi die Blaupause für ein stärkeres Eingreifen der Notenbank zu liefern. Die ersten Signale sind zumindest positiv. Draghi lobte den gefundenen Kompromiss ausdrücklich .„Das ist ein sehr gutes Ergebnis für die Eurozone. Das kommt einem guten Haushaltspakt sehr nahe," sagte der EZB-Präsident.

Was daraus folgt, bleibt abzuwarten.


Zwei Rettungsschirme gleichzeitig könnten Investoren verunsichern

Die beiden Rettungsschirme EFSF und ESM sollen nach den Plänen der Euro-Regierungschefs ein Jahr lang parallel arbeiten. Der ESM soll ein Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro haben. Im März 2012 wollen die Euro-Länder aber nochmal überprüfen, ob diese Summe ausreicht. Anders als der EFSF soll er einen festen Haftungsstock in Höhe 80 Milliarden Euro haben – was es leichter macht, seine finanzielle Feuerkraft durch Hebelinstrumente zu erhöhen.

Der ESM soll außerdem leichtereinsatzfähig sein, als sein Vorgänger. Statt der nötigen Einstimmigkeit beim EFSF soll beim ESM im Notfall bereits eine qualifizierte Mehrheit von 85 Prozent ausreichen, um die Mittel des Fonds bei einer Rettungsaktion einzusetzen.. Die großen Euro-Länder Deutschland, Frankreich und Italien behalten damit aber faktisch ihr Vetorecht, weil sie mehr als 15 Prozent der ESM-Anteile halten.

Parallel zur Einführung des ESM sollen verbindliche Regeln für den Fall eines Forderungsverzichts der privaten Gläubiger festgeschrieben werden. Künftige Euro-Staatsanleihen werden die standardisierten Collective Action Clauses (CAC) enthalten, mit denen bei Zahlungsschwierigkeiten der Forderungsverzicht von Gläubigern geregelt werden kann.

Dadurch wird allerdings in der Übergangsphase ein neues Problem geschaffen. Die bisher ausgegebenen Anleihen enthalten keine Klauseln. Aus rechtlichen Gründen können sie nicht einfach umgestellt werden. Der Anteil der neuen Anleihen mit den Collective Action Clauses muss sukzessive über die Jahre hinweg aufgebaut werden. Damit entsteht de facto ein Zwei-Klassen-System bei europäischen Staatsanleihen. Auf der einen Seite stehen die neuen Anleihen mit Klauseln zum Schuldenschnitt, auf der anderen die alten Anleihen ohne Klauseln. Dies könnte zu unterschiedlichen Risikoaufschlägen führen - und könnte bei Investoren zu weiterer Unsicherheit führen.

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