Euro-Krise Die Sache mit den Schulden

Manche sagen: Deutschland kann sich die Rettung anderer Länder gar nicht leisten. Das stimmt so nicht ganz. Denn die entscheidende Frage dabei ist: Wie lange schwelt die Krise noch weiter?

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Der Bund ist mit insgesamt 1.059 Milliarden Euro verschuldet, dazu kommen noch die Verbindlichkeiten der Länder, der Kommunen und der Sozialversicherungen. Das ergibt alles in allem nach ersten Schätzungen in diesem Jahr 2.193 Milliarden. Das wären 82,7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Quelle: dpa

Wenn Wolfgang Schäuble über Deutschland in Europa spricht, dann fällt oft das Wort vom „Stabilitätsanker“. Der Haushalt solide, die Finanzen im Griff - aus Sicht der Bundesregierung ist die wirtschaftliche Lage des Landes unerschütterlich.

Aber wie lange noch, da Milliarden für das Betreuungsgeld ausgegeben werden, die Konjunktur sich abschwächt und neue Hilfszahlungen an die Griechen anstehen? Oder anders gesagt: Wie viele Schulden haben wir eigentlich?

In normalen Zeiten ist die Antwort auf diese Frage nicht schwierig. Der Bund ist mit insgesamt 1.059 Milliarden Euro verschuldet, dazu kommen noch die Verbindlichkeiten der Länder, der Kommunen und der Sozialversicherungen. Das ergibt alles in allem nach ersten Schätzungen in diesem Jahr 2.193 Milliarden. Das wären 82,7 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Die Zeiten sind allerdings nicht normal - und das liegt an der Krise. Denn sobald die Rettungsgelder mit eingerechnet werden, geht es nicht mehr nur um Fakten, sondern um Prognosen und um Weltanschauungen.

Zum Beispiel im Fall der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie hat 1.124 Milliarden Euro an die Banken in der Euro-Zone verliehen. Ein großer Teil des Geldes floss ebenfalls in die Schuldenstaaten Südeuropas. Für ein Drittel aller Ausfälle muss die Bundesbank aufkommen. Das sind bis zu 375 Milliarden Euro.

Wenn einzelne Länder die Währungsunion verlassen, steigt der maximale Verlust für Deutschland. Scheiden die Krisenländer aus - also Italien, Spanien, Griechenland, Zypern, Irland und Portugal -, liegt er bei 389 Milliarden Euro. Zerbricht der Geldclub komplett, schlagen sogar 719 Milliarden Euro zu Buche. Zudem hat die EZB für 209 Milliarden Euro Staatsanleihen aus den Krisenländern aufgekauft, auch hier trägt die Bundesbank ein Drittel aller Verluste. Damit lägen die Staatsschulden bei bis zu 2.981 Milliarden Euro.


Raffelhüschen geht von derzeitiger Rechtslage aus

Nach Ansicht von Bernd Raffelhüschen ist auch das noch nicht alles. Raffelhüschen ist Professor für Finanzwissenschaft in Freiburg, und er glaubt, dass die amtlichen Zahlen die Lage beschönigen. Denn der Staat habe eine Reihe von Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft, die bei der Berechnung des Schuldenstands berücksichtigt werden müssten. Pensionen für die Beamten etwa, Renten oder Gesundheitsausgaben.

Raffelhüschen hat ausgerechnet, dass die künftigen Steuereinnahmen nicht ausreichen, um die künftigen Zahlungen zu decken. Diese impliziten Schulden taxiert er auf 3.600 Milliarden Euro. Es ist sein Thema, seit Jahren zieht er durch das Land und warnt vor den Lasten, um den Staat zum Sparen zu bringen. Lange hatte sich dafür kaum mehr jemand interessiert. Doch weil die Zeiten unsicher werden, sind seine Analysen wieder gefragt. Macht 6.581 Milliarden Euro.

Das ist fast das Dreifache der jährlichen Wirtschaftsleistung. Nimmt man diese Zahl ernst, ist Deutschland pleite - und es wirkt einigermaßen verwegen, wenn der Minister von soliden Finanzen spricht. Sofern die Zahlen selbst solide sind.

Das ist aber nicht ganz klar. Zum Beispiel die implizite Staatsverschuldung: Um auf seine Megazahlen zu kommen, muss Raffelhüschen die gegenwärtige Rechtslage fortschreiben. Wenn der Staat aber beispielsweise die Gesetze ändert - also die Steuern erhöht oder die Rentenansprüche kappt -, verschwindet die Verschuldung wieder. Dann würden sich die impliziten Staatsschulden also nie materialisieren, und man könnte sie auch gleich weglassen.

Ein anderes Beispiel: die EZB. Die Zentralbank vergibt nur Kredite, wenn die Banken Wertpapiere - häufig Staatsanleihen - zur Absicherung hinterlegen. Ausfälle drohen also erst, wenn sowohl die betreffende Bank als auch der Staat, der die als Kreditsicherheit verwendeten Anleihen herausgegeben hat, Bankrott anmelden.

In Griechenland könnte das passieren. Die EZB hat 130 Milliarden Euro an die griechischen Banken verliehen und Anleihen des Landes im Wert von 45 Milliarden Euro gekauft. Damit drohen bei der Bundesbank Ausfälle in Höhe von 58 Milliarden Euro. Aber ist eine solche Doppelpleite oder gar ein Austritt auch im Fall Italiens oder Spaniens realistisch? Wohl nicht.

Und selbst dann wäre das Geld wohl nicht komplett weg. In der Regel suchen Gläubiger und Schuldner einen Ausgleich. Sie würden sich wohl auf einen Teilverzicht einigen - und die Bundesbank würde die Verluste dann mithilfe von Bilanzkniffen über einen langen Zeitraum strecken, sodass jedes Jahr nur ein vergleichsweise geringer Betrag fällig würde, der die Gewinnausschüttungen der Notenbank reduzieren würde.

Die Kredite der EZB belasten die Staatsfinanzen also nur, wenn die Krise nicht eingedämmt werden kann - es wäre deshalb voreilig, sie wie Schulden des Staates zu behandeln. Bleiben 2193 Milliarden Euro.


Das Geld ist nicht zwingend verloren

Es könnten noch weniger werden - und das hat mit einer Besonderheit bei der statistischen Behandlung der Aufwendungen für die Rettung von Staaten und Banken zu tun. Die Altlasten der Finanzkrise wurden in gewaltige staatliche Abwicklungsanstalten ausgelagert.

Allein die Bad Bank der Hypo Real Estate verwaltet ein Portfolio von über 175 Milliarden Euro. Um diese Wertpapierportfolios zu finanzieren, müssen die Anstalten Kredite aufnehmen. Diese wurden der Staatsverschuldung zugeschlagen. Insgesamt belaufen sich die Belastungen nach Angaben des Finanzministeriums derzeit auf rund 330 Milliarden Euro.

Auch der deutsche Haftungsanteil an den bereits ausgereichten Hilfskrediten für Griechenland, Portugal und Irland - rund 70 Milliarden Euro - wurde schon berücksichtigt. Macht insgesamt rund 400 Milliarden Euro an bereits im Schuldenstand enthaltenen Krisenhilfen.

Die Besonderheit besteht nun darin, dass zunächst davon ausgegangen wird, dieses Geld sei unwiederbringlich verloren. Das schreiben die Regeln der EU vor. So muss es aber nicht kommen. Bei den Banken übernahm der Staat ja nicht nur Verbindlichkeiten, sondern auch Vermögenswerte. Wenn sie etwa durch einen Verkauf zu Geld gemacht werden, können die Abwicklungsanstalten ihre Kredite tilgen. Das reduziert dann die Staatsschulden. Sie sinken auch, wenn der Süden seine Kredite zurückbezahlt.

Die deutschen Schulden werden in den kommenden Jahren also von selbst schrumpfen. Wenn alle Banken und alle Krisenländer ihre Rechnung bezahlen, lösen sich bis zu 400 Milliarden Euro Schulden in Luft auf. Dieses Verfahren wird auch auf den deutschen Haftungsanteil an den 86,5 Milliarden Euro Krisenhilfe, inklusive der 100 Milliarden Euro für Spanien, angewendet, die bereits zugesagt, aber noch nicht abgerufen sind. Nur die Überweisungen an den neuen Rettungsfonds ESM - bislang 8,6 Milliarden von insgesamt 21,7 Milliarden Euro - erhöhen die Verschuldung dauerhaft, weil der Fonds für die Ewigkeit gedacht ist. Bleiben rund 1.800 Milliarden Euro.


Spätestens 2014 könnte es einen Schuldenschnitt geben

Das wären knapp 68 Prozent der Wirtschaftsleistung - und nach Berechnungen von Heinz Gebhardt, Finanzexperte am Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, könnte die Schuldenquote damit bereits im Jahr 2016 wieder unter die Brüsseler Obergrenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung sinken, wenn der Etat wie geplant von 2016 an ausgeglichen wird.

Wie viel Geld tatsächlich zurückfließt, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Bei der WestLB wurden bereits Positionen im Wert von 32 Milliarden Euro abgewickelt. Allerdings wird es mehr als zehn Jahre dauern, bis die Schlussbilanz steht. Und nicht alles lässt sich zu Geld machen. Mit ihren Griechenlandanleihen etwa machten die Institute Verluste.

Die drohen früher oder später auch dem deutschen Staat. Die Geberländer wollen zwar zunächst nur auf Zinsgewinne verzichten, die entstehen, weil sie das Geld, das sie den Griechen leihen, selber günstig aufnehmen können. Doch spätestens im Jahr 2014 könnte ein Schuldenschnitt für die Griechen vereinbart werden. Dann müsste auch Deutschland verzichten. Die Ausfälle würden im Haushalt verbucht - und der Schuldenstand würde weniger stark zurückgehen als bislang geplant.

Aktuell haftet Deutschland für Griechen-Kredite in Höhe von rund 40 Milliarden, im nächsten Jahr kommen noch einmal 20 Milliarden hinzu. Wenn die Deutschen den Griechen nach der Bundestagswahl ein Drittel der Forderungen erlassen, schlüge das mit 20 Milliarden zu Buche. Das ist zwar viel Geld, aber verkraftbar. Nimmt man diese Zahlen ernst, dann steht Deutschland recht gut da.

Die Antwort auf die Frage, wie viele Schulden wir haben, hängt also davon ab, wie es mit der Krise weitergeht. Und solange sie nicht eskaliert, muss sich Schäuble für seine Reden nichts Neues einfallen lassen.

Die griechischen Schulden sind zu hoch, aber ein Schuldenschnitt ist politisch nicht durchsetzbar - was also tun? Die Euro-Finanzminister glauben, einen Ausweg gefunden zu haben. Die Griechen können sich demnach mit der Tilgung ihrer Kredite mehr Zeit lassen, und sie müssen weniger Zinsen bezahlen. Das entlastet ihren Haushalt.

Dem Bund entgehen allein 2013 Einnahmen von rund 130 Millionen Euro. Zudem wird die Europäische Zentralbank die Gewinne in Höhe von rund 10 Milliarden Euro , die sie mit ihren Griechenlandanleihen macht, bis zum Jahr 2030 nach Athen überweisen.

In Deutschland verzichtet der Bund dazu auf den entsprechenden Anteil am Bundesbankgewinn. Zudem will Griechenland ausstehende Staatsanleihen in Privatbesitz zu rund einem Drittel ihres Nominalwerts zurückkaufen. Auch das senkt die Schulden.

Ob das reicht, um die Schulden auf ein tragfähiges Niveau zu senken, ist fraglich. Schon 2014 könnte über neue Initiativen zur Schuldensenkung beraten werden, inklusive eines Schuldenschnitts . Zudem brauchen die Griechen wohl noch einmal frisches Geld - dann endet das aktuelle Programm, und sie müssten sich wieder am Markt finanzieren. Das dürfte ihnen nicht gelingen.

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