Euro-Schuldenkrise Ja zur Wirtschaftsregierung

Die Gründung einer europäischen Wirtschaftsregierung hat eine scharfe Debatte losgetreten. Der frühere Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz, befürwortet eine stärkere politische Integration Europas.

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Eine Ein-Euro-Münze liegt über Europa auf einem beleuchteten Globus. Quelle: handelsblatt.com

Nun also doch: Die europäische "Wirtschaftsregierung" kommt. Nach mehr als zehn Jahren intensiven Drängens scheint die französische Regierung am Ziel ihrer Wünsche zu sein, die Währungspolitik und die unabhängige Zentralbank politisch an die Leine zu nehmen. Alle deutschen Regierungen haben sich seit der Einführung der Währungsunion erfolgreich dagegen gewehrt; in dieser Woche ist die deutsche Regierung auf den französischen Kurs eingeschwenkt.

Nun ändert sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 ohnehin täglich vieles. Der Ausspruch des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück, nach der Krise werde "nichts mehr so sein wie vor der Krise", hat sich Gott sei Dank nicht in ganzem Umfang bewahrheitet. In der Finanz- und Währungspolitik allerdings war die Prognose weitgehend richtig: Von der politischen Unabhängigkeit der Zentralbank bleibt genauso wenig übrig wie von dem Verbot, in der Währungsunion die Schulden anderer Länder zu übernehmen. Klare Regeln des EU-Vertrages und der Statuten der Zentralbank werden nicht mehr beachtet.

Aus der europäischen Rechtsgemeinschaft ist eine Ansammlung von Staaten einer Währungsunion geworden, die sich nur darin einig zu sein scheint, dass die einst feierlich versprochenen Regeln nicht mehr gelten sollen. Europa ist auf der Rutschbahn zur Transferunion. Es gibt kein Zurück mehr.

So widersprüchlich es klingt: Die Beschlüsse von Paris können gleichwohl richtig sein, wenn auch das Kleingedruckte beachtet wird, und wenn sie den Beginn einer tieferen europäischen Integration markieren und nicht allein den nächsten Rettungsversuch für den Euro.

Bei der Einführung des Euros war klar, dass eine Währungsunion auf Dauer nicht ohne Politische Union funktionieren kann. Diese Politische Union sollte dem Euro so schnell wie möglich folgen, der Euro sollte die "Lokomotive" der Integration sein. Alle Beteiligten wussten damals, dass der Anpassungsdruck auf die Arbeitsmärkte und auf die nationalen Haushalte in den Euro-Staaten signifikant steigen würde. Der Stabilitätspakt sollte wenigstens Haushaltsdisziplin erzwingen. Aber nachdem Deutschland und Frankreich im Jahr 2003 die Regeln nicht gegen sich gelten lassen wollten, haben sich auch andere nicht mehr daran gebunden gefühlt.

Weitere Schritte müssen folgen

Mit der "Wirtschaftsregierung" wird jetzt der Raum gefüllt, der für das dauerhafte Gelingen einer gemeinsamen Währung verschiedener Staaten zwingend notwendig ist. Die Wirtschaftspolitik wird angepasst. Vor allem aber: Die ungebremste Verschuldung der Mitgliedstaaten soll endlich eingedämmt werden. Hier setzen die beiden Regierungen an der richtigen Stelle an, an der Ursache der Krise. Natürlich haben Banken spekuliert und gezockt. Aber die Banken sind nicht der Auslöser. Die hemmungslose Staatsverschuldung in Amerika und Europa, die Abhängigkeit der Staatsfinanzierung von den Kapitalmärkten und langanhaltende, niedrige Zinsen haben den Teufelskreis in Gang gesetzt. Wie bei einem Alkoholiker sind erst Gewöhnungseffekte eingetreten, und dann musste Jahr für Jahr die Dosis erhöht werden. Jetzt muss der Patient auf Entzug gesetzt werden.

Ob das gelingt, ist alles andere als gewiss. Auf jeden Fall müssen weitere Schritte folgen. Warum muss die deutsche Bundesregierung auch im Jahr 2012 noch 27 Milliarden Euro neue Schulden machen? Welcher Teufel reitet einige Politiker der Koalition in dieser Lage, immer noch weitere Ausgaben - zum Beispiel für die Pflegeversicherung - auf Kosten des Staatshaushaltes zu verlangen? Und ist den Beteiligten, vor allem den nationalen Parlamenten, eigentlich klar, dass die Euro-Staaten vor dem vermutlich größten Kompetenztransfer auf die europäische Ebene stehen, den es je gegeben hat, größer noch als bei der Einführung des Euros selbst?

Europa ist eine Geschichte von großen Erfolgen und manchen Rückschlägen. Die größten Fortschritte gab es immer nach großen Krisen. Wenn aus dieser Krise für Europa eine Chance werden soll, dann stehen die Staats- und Regierungschefs neben allen tatsächlichen Schwierigkeiten vor allem vor einer großen kommunikativen Aufgabe. Bevölkerung und Parlamente müssen von einem extrem schwierigen Prozess überzeugt werden, der zugleich in einem Umfeld stark steigenden Wettbewerbsdrucks aus anderen Teilen der Welt steht.

Gelingen wird dies am Ende nur, wenn in einem parlamentarischen Prozess auch die notwendigen Rechtsgrundlagen dafür geschaffen werden, an die sich die Regierungen in Zukunft dann auch halten. Das war einmal der größte zivilisatorische Fortschritt in Europa.

Der Autor ist Anwalt und war Chef der Unionsfraktion im Bundestag. Sie erreichen ihn unter: gastautor@handelsblatt.com

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