Europäische Union Der Glyphosat-Showdown in Brüssel

Für eine neue Zulassung des Unkrautvernichters gibt es weiterhin keine Mehrheit unter den EU-Ländern – das liegt unter anderem an Deutschland, das sich innerhalb der Regierung auf keine Position einigen kann.

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Die Zulassung für das Mittel läuft Mitte Dezember aus. Quelle: dpa

Düsseldorf Die EU-Kommission ist mit dem nächsten Anlauf für eine weitere Zulassung des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat gescheitert. Der Vorschlag für eine neue Lizenz über fünf Jahre fand am Donnerstag keine Mehrheit im zuständigen Ausschuss der EU-Mitgliedsländer. Dabei war der Vorschlag der Kommission bereits ein Kompromiss. Sie hatte zunächst eine Zulassung über zunächst zehn Jahre ins Spiel gebracht, dafür aber keine Mehrheit gewinnen können.

Das Scheitern des Kommissionsvorschlags geht im Wesentlichen auf Frankreich und Deutschland zurück – beide haben als bevölkerungsreichste Mitgliedsländer den gewichtigsten Einfluss. Die Franzosen stimmten wie zuvor bereits mit Nein. Die Bundesregierung enthielt sich wie bisher ihrer Stimme, weil sie weiterhin keine einheitliche Position in dieser Frage hat.

Doch die EU-Kommission beharrt auf ihrem eingebrachten Vorschlag und lehnt eine Nachbesserung ab. Frankreich und Italien etwa hatten eine Verlängerung um nur drei Jahre ins Spiel gebracht. Dem will die Kommission nicht folgen – sie sucht nun die Entscheidung: Man werde nun im nächsten Verfahrensschritt in den Berufungsausschuss gehen, sagte ein Kommissionssprecher nach der Abstimmung. Das Gremium aus höherrangigen Vertretern der Mitgliedsstaaten und der Kommission kann angerufen werden, wenn sich die nationalen Experten nicht einigen konnten.

Dort wird allerdings kein neuer Plan ausgearbeitet. Die Kommission wird den gleichen Vorschlag zur Abstimmung stellen wie in dem Expertenausschuss am Donnerstag. Es kommt also in Brüssel zum Showdown. Findet sich auch im Berufungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit für die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung, kann die Kommission eigenmächtig  entscheiden.

Dieses Szenario wird nun wahrscheinlicher. Denn auch im Vermittlungsausschuss dürfte der grundlegende Dissens nicht aus der Welt zu schaffen sein. Die entscheidende Rolle dabei hat Deutschland: Die Regierung hat sich in dem Expertengremium in Brüssel bisher bei allen Entscheidungen enthalten, weil das SPD-geführte Umweltministerium gegen eine Neuzulassung und das CSU-Agrarministerium dafür war. Umweltministerin Barbara Hendricks rückt von ihrer Position nicht ab.

Der regierungsinterne Streit eskalierte am Donnerstag. Schmidt hatte der Kommission per Brief die Zustimmung Deutschlands für die Verlängerung der Zulassung um drei Jahre angeboten. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth kritisierte den Vorstoß scharf und stellte klar, dass die Initiative nicht innerhalb der Bundesregierung abgestimmt sei. „Gibt es noch irgendwelche Regeln, die in der Regierung eingehalten werden?“, fragte er bei Twitter. Und Hendricks warf Schmidt ein „Foulspiel“ vor. Der Brief an die EU-Kommission sei weder mit dem Bundesumweltministerium noch mit dem Bundeskanzleramt abgestimmt worden: „Einfach zu behaupten, dass die Bundesregierung für eine Verlängerung der Zulassung um weitere drei Jahre wäre, ist ein Foulspiel.“ Hendricks will bei ihrem Nein zu Glyphosat bleiben. „Die Kommission hat bis heute keinerlei Vorkehrungen gegen die katastrophalen Auswirkungen auf die Artenvielfalt vorgesehen.“

Längst ist das Thema Glyphosat auch in die Sondierungsgespräche der Jamaika-Parteien eingezogen. Die Grünen haben ihre Position deutlich gemacht: Sie lehnen die von der Kommission vorgeschlagene Neuzulassung von Glyphosat ab. Die bestehende Patt-Situation würde also auch in eine neue Regierung übertragen. Da der Vermittlungsausschuss der EU bis zum 22. November tagen soll, wird ohnehin die bisherige Regierung daran beteiligt sein.


Die Hälfte der EU-Mitgliedsländer sind für die Wiedereinführung

Die EU-Kommission will dem seit nunmehr fünf Jahren dauernden Streit um Glyphosat ein Ende setzen. Sie sieht dringenden Entscheidungsbedarf: Die Zulassung für das Mittel  läuft Mitte Dezember aus, ohne eine Verlängerung drohten der EU Verfahren vor der Welthandelsorganisation WTO, warnte der Kommissionsvertreter in der Sitzung am Donnerstag.

Nun könnte es doch darauf hinauslaufen, dass die EU-Kommission allein eine neue Lizenz für Glyphosat erteilt. Der Sprecher der Brüsseler Behörde machte am Donnerstag deutlich, dass die Kommission ausreichend politische Unterstützung für die Verlängerung um fünf Jahre sieht. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten, die ihre Stimme abgegeben hätten, habe für diesen Vorschlag gestimmt. Auch im Europaparlament gebe es Rückhalt dafür. Die EU-Kommission verweist zugleich darauf, dass nach einer europäischen Zulassung auch jedes Mitgliedsland noch selbst entscheiden und bei ernsten Bedenken die Lizenz verweigern kann.

Tatsächlich haben 14 von 28 Mitgliedsländer für eine neue fünfjährige Lizenz für den Unkrautvernichter gestimmt, darunter Spanien, Irland, Großbritannien und Polen. Neun stimmten dagegen, fünf enthielten sich. Das Europa-Parlament wiederum hatte vor wenigen Wochen mehrheitlich einen eigenen Vorschlag angenommen, der wie die EU-Kommission eine weitere Zulassung um fünf Jahre vorsieht. Dennoch unterscheiden sich beide Vorschläge: Das EU-Parlament verlangt weitere deutliche Einschränkungen in der Nutzung des weitverbreiteten Unkrautvernichters. Im Kommissionsvorschlag tauchen so etwas nicht auf. 

Glyphosat ist das am meisten verwendete Herbizid in der Landwirtschaft, weil es hochwirksam und preiswert ist. Umweltschützer machen das Mittel und seinen massiven Einsatz für den Verlust von Artenvielfalt verantwortlich. Zudem steht es in Verdacht, potenziell Krebserregend zu sein. Dafür allerdings fehlen gesicherte wissenschaftliche Beweise. Die Industrie verweist darauf, dass die Zulassungsbehörden das Mittel bei sachgerechtem Einsatz als unbedenklich einstufen.

Aus Sicht der Grünen kommt der Entschluss des Europaparlaments einem Einstieg in den Ausstieg der Glyphosatnutzung gleich. „Die EU-Kommission darf das Votum des Europaparlaments für einen Glyphosat-Ausstieg nicht länger ignorieren“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag,  Katrin Göring-Eckardt, am Donnerstag. Die Bundesregierung müsse sich für ein Ende des Pflanzenkillers einsetzen, statt „insgeheim auf die EU-Zulassung ohne eigene Beteiligung zu hoffen“.

In dieser Aussage ist aber keine Forderung der Grünen versteckt, dass Glyphosat bereits zum Jahresende verboten werden soll. Davor warnen Experten aus Landwirtschaft und Politik ohnehin. „Ein kurzfristiges Verbot stellt die Landwirtschaft vor unlösbare Herausforderungen. Alternativen sind nicht nur teurerer, sondern vielleicht sogar schädlicher für Mensch und Umwelt“, sagt Peter Liese, Umweltpolitischer Sprecher der Christdemokraten im Europaparlament. „Daher braucht man Glyphosat mindestens für eine Übergangszeit. Bestimmte Anwendungen, wie die Behandlung vor der Ernte, sollten aber sofort verboten werden.“

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