
Niemand ist mächtiger als der Markt. Diese Einsicht ist derzeit das Einzige, was die 17 Mitglieder im Rat der europäischen Zentralbank (EZB) eint. Als sich die europäischen Politiker nach dem jüngsten Euro-Gipfel in den Urlaub verabschiedeten, statt die vagen Beschlüsse akkurat auszuarbeiten und durch die Parlamente zu boxen, brodelte es an den Kapitalmärkten. Kommt der Haircut, kommt er nicht? Bleibt es bei Griechenland oder sind als Nächstes Irland und Portugal dran? Es lag an der Politik, Fakten zu schaffen und die Märkte zu beruhigen. Als dies ausblieb, schrillten im Frankfurter Eurotower die Alarmglocken. Zu Recht, wie sich schnell zeigte, der gefürchtete Flächenbrand an den Finanzmärkten wurde Realität.
Neue Anleihekäufe
Jetzt steckt die EZB mittendrin im Schlamassel. Nach viereinhalb Monaten Pause kauft die Zentralbank wieder Anleihen von Krisenländern – und beschränkt sich dabei nicht nur auf Bonds aus Griechenland, Irland und Portugal, sondern greift nun auch bei italienischen und spanischen Papieren zu. Analysten schätzen, dass die EZB allein am schwarzen Montag in der vergangenen Woche Staatsschuldentitel über mehr als zehn Milliarden Euro gekauft hat. An den darauffolgenden Tagen lag das Volumen nochmals bei schätzungsweise zwei Milliarden Euro. Es gilt als sicher, dass auch die Deutsche Bundesbank in der vergangenen Woche spanische und italienische Titel kaufte. Schon vor der neuerlichen Eskalation der Schuldenkrise hatte die EZB rund 74 Milliarden Euro für Anleihen von Krisenstaaten ausgegeben und sich damit hohe Risiken in ihre Bilanz geholt.
Vier Widerständler
Dass die EZB zunehmend vom geldpolitischen Steuermann zum fiskalpolitischen Handlanger mutiert, sorgt aber nicht nur Ökonomen, sondern auch viele Notenbanker. Der Riss, der durch die EZB geht, wird immer tiefer. Schon 2010 lehnte der damalige Bundesbank-Chef Axel Weber den Kauf von Anleihen pleitebedrohter Staaten ab. Sie gefährde die Stabilität des Euro. Webers Nachfolger Jens Weidmann stimmte nun im EZB-Rat gegen die Ausweitung der Anleihekäufe; gleiches taten dem Vernehmen nach Weidmanns deutscher Kollege Jürgen Stark, der niederländische Notenbanker Klaas Knot und Yves Mersch, Chef der Banque centrale du Luxembourg. Die Falken befürchten, die EZB habe nun endgültig die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik durchbrochen und alle Tore geöffnet, um Staatsschulden über die Notenbankpresse zu finanzieren. Für Ordnungspolitiker wie Weidmann gibt es fast nichts Schlimmeres. Die Mehrheit im EZB-Rat fürchtet jedoch etwas anderes viel mehr: die Macht der Märkte.
Tatsächlich hat die EZB auch ein Mandat für die Stabilität des Finanzsystems. Sie muss in Krisensituationen eingreifen – doch darf sie dafür niemals ihre Unabhängigkeit aufs Spiel setzen.