Ex-Irak-Botschafter Ekkehard Brose „Deutschland darf den Irak nicht allein lassen, auch militärisch“

Der Irak hat einen Vergeltungsschlag auf irakische Militärstützpunkte vollzogen. Deutschland sollte den Irak nicht im Stich lassen, sagt Ekkehard Brose, der bis 2016 Botschafter im Irak war. Quelle: dpa

Nach der Exekution von General Suleimani auf irakischem Boden stehe der Irak innenpolitisch am Abgrund, sagt Ekkehard Brose, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und deutscher Botschafter im Irak bis 2016. Im Interview erklärt er, warum Soldaten und Unternehmen aus Deutschland für das Land wichtig bleiben.

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Herr Brose, nach der Tötung von Irans Top-General Ghassem Soleimani hat das irakische Parlament den Rückzug aller ausländischen Truppen aus seinem Land gefordert. Die Bundeswehr unterstützt Irak im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit Tornado-Aufklärungsjets und bildet Militärs im Irak aus. Einen Teil der Bundeswehrsoldaten im Irak will die Bundesregierung nun nach Jordanien und Kuwait verlegen. Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
Angesichts der gegenwärtig unübersichtlichen Lage im Irak ist dies eine gebotene Vorsichtsmaßnahme. Sie lässt die Möglichkeit einer Rückverlegung bewusst offen. Das halte ich für richtig, denn die von der Bundeswehr geleistete Ausbildungsunterstützung dient dem zentralen Ziel, die Institution Armee im Irak zu stärken. Das ist notwendig einerseits für die erfolgreiche Fortführung des Kampfes gegen ein Wiedererstarken des IS. Es ist aber ebenso unabdingbar auf Grund der gegebenen Konkurrenz der Armee mit den Kräften der sogenannten Volksmobilisierung bzw. den Milizen im Lande.

Muss angesichts der Lage der gesamte Bundeswehreinsatz im Krisenland Irak hinterfragt werden? Außenminister Heiko Maas sagte, die Bundewehr werde nicht gegen den Willen der irakischen Regierung im Land bleiben.
Richtig, die Bundeswehr ist auf Bitten der irakischen Regierung im Land. Das irakische Parlament hat am Montag dieser Woche einen Entschluss gefasst, mit dem ausländische Streitkräfte zum Verlassen des Irak aufgefordert werden. Das können wir nicht ignorieren; der Beschluss reflektiert die aufgebrachte Stimmung der gesamten Öffentlichkeit unmittelbar nach dem tödlichen Angriff der USA gegen den iranischen General Suleimani mitten in Bagdad. Auch der irakische stellvertretende Vorsitzende der Volksmobilisierung, al-Muhandis, ist dabei ums Leben gekommen. Der Parlamentsbeschluss wird jedoch nicht das Ende der Geschichte sein, zumal die sunnitischen und kurdischen Abgeordneten sich daran nicht beteiligt haben. Es war eher ein Auftakt zur genauen Bestimmung der irakischen Position. Verbindlich formuliert wird diese letztlich von der Regierung des Irak.
Irakische Zustimmung vorausgesetzt, bleibt der Einsatz der Bundeswehr in Irak meines Erachtens sinnvoll, weil er fest eingebunden ist in das politische Ziel, die Unabhängigkeit und Stabilität des Landes inmitten vieler destabilisierender Kräfte im Innern wie von außen aufrecht zu erhalten. In dieselbe Richtung wirken die viel umfangreicheren deutschen zivilen Maßnahmen. Die Bereiche ergänzen sich.

Botschafter Ekkehard Brose ist Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Zuvor war er Beauftragter für Zivile Krisenprävention und Stabilisierung des Auswärtigen Amt. Quelle: PR

Deutschland und Irak hatten noch im März vergangenen Jahres auf einem Treffen des Iraqi-German Business Forum in Berlin versichert, vor allem ihre wirtschaftliche Kooperation auszubauen. Der Wiederaufbau in Irak biete große Chancen für deutsche Unternehmen, hieß es. Ist es damit nun vorbei?
Die Wirtschaft scheut nun einmal Rechtsunsicherheit und Gewalt. Deshalb ist es bislang nicht gelungen, das wirtschaftliche Potenzial zu heben. Die beträchtlichen irakischen Öleinnahmen werden nicht für bitter nötige Investitionen genutzt, sondern fließen in staatliche Löhne bzw. versickern im Land. Reformen braucht der Irak, und Frieden, dann werden auch Wirtschaft und Handel blühen.

Wie instabil ist die Lage in Irak? Wie gefährlich ist es für deutsche Unternehmen im Land zu bleiben?
Nach der Exekution von General Suleimani auf irakischem Boden steht der Irak innenpolitisch am Abgrund. Wirtschaftlich ist das Zweistromland kein Terrain für unerfahrene Neueinsteiger. Die deutschen Unternehmen haben sich über viele Jahre an die spezifisch irakischen Bedingungen gewöhnt und sind gut angepasst. So unterhalten die Unternehmen von wenigen Ausnahmen abgesehen keine permanente Präsenz im Land.

Wie haben Sie in den Jahren, als sie Botschafter in Irak waren, die Situation wahrgenommen?
Meinen Posten in Bagdad habe ich im Sommer 2014 angetreten. Der IS stand damals circa 30 Kilometer vor Bagdad. Das war der Tiefpunkt. Wahlen hatten im Mai des Jahres stattgefunden, aber die Ablösung des korrupten Premierministers al-Maliki war noch strittig. Das Blatt wendete sich mit der Bildung der Volksmobilisierung durch einen Aufruf des obersten religiösen Würdenträgers Sistani, der Bestimmung von al-Abadi zum Nachfolger als Premierminister und der wirksamer werdenden Präsenz der internationalen Koalition zur Unterstützung des irakischen Kampfes gegen den IS.

Stabilität im gesamten Mittleren Osten bedroht

Und was hat sich seitdem verändert?
Erste Erfolge im militärischen Kampf gegen den IS stellten sich ein, unter großen irakischen Verlusten, gerade bei der Volksmobilisierung. Von Anfang an hieß das Motto auf Seiten der Regierung Abadi, nach dem Sieg auf dem Schlachtfeld müsse der Kampf auch politisch gewonnen werden. Einen erheblicher Teil meiner Energie habe ich vor Ort diesem Ziel gewidmet: Gemeinsam mit den Vereinten Nationen und den irakischen und ausländischen Partnern die Rückkehr der Vertriebenen in die vom IS befreiten Gebiete ermöglichen. Inzwischen ist der IS in der Fläche besiegt und mehr als zwei Drittel – 4,5 von 6 Millionen Menschen – leben wieder in ihren alten Wohngegenden, aus denen sie der IS vertrieben hatte. Viele Probleme ziehen sich allerdings wie ein roter Faden durch die irakische Realität, bis heute. Die innere Schwäche aller staatlichen Strukturen, die Korruption, eine mutige, aber viel zu schwache Zivilgesellschaft.

Wie bedrohlich ist der Konflikt zwischen den USA und Iran für Europa?
Ich sehe die große Gefahr, dass der Irak zum ersten Opfer einer weiteren Zuspitzung im Verhältnis USA-Iran werden könnte. Irakisches Territorium ist ja bislang bereits der Schauplatz des Konfliktes. Darüber hinaus gehen von der Konfrontation zwischen Teheran und Washington Schockwellen aus, welche die Stabilität im gesamten Mittleren Osten bedrohen. Europäische Interessen sind gleich mehrfach berührt: Ein erneutes Erstarken des Terrorismus, Migrationswellen, eine Gefährdung der Erdöl- und Erdgasversorgung. Europa hat ein vitales Interesse an einer friedfertigen Entwicklung der Nachbarregion Mittlerer Osten.

Und wie kann sich Europa dazu verhalten?
Die unmittelbaren Reaktionen aus Europa und von deutscher Seite waren Apelle, die Lage zu entspannen. Das ist richtig, aber dazu müssen die Kraft der Argumente und Interessen sowie praktische Unterstützung, vor allem des Irak, treten. Je weiter die Lage eskaliert, umso stärker wird der Einfluss des Iran im Irak. Das ist das Gegenteil des amerikanischen und europäischen Interesses. Aber auch Iran kann kein Interesse an einem in die Länge gezogenen Schlagabtausch mit dem überlegenen Gegner USA und einer Fortführung der Wirtschaftssanktionen haben.
Deutschland ist ein besonders enger Partner des Irak, unbelastet von der US-geführten Invasion 2003 und ohne koloniale Vorgeschichte im Land. Vor allem unser stabilitätspolitisches Engagement während der Jahre des Kriegs gegen den IS hat im Irak Anerkennung gefunden.

Wie sollte die Bundesregierung auf die US-Politik reagieren?
Der Irak braucht zivile und militärische Hilfe für seine schwachen staatlichen Institutionen, einschließlich der Armee, um seinen Zusammenhalt und seine Unabhängigkeit überhaupt wahren zu können. Es ist deshalb wichtig, dass Deutschland den Irak nicht allein lässt und sich weiter engagiert, auch militärisch. Der Abzug eines Teils der deutschen Ausbildungsunterstützungskräfte der Bundeswehr ist als befristete Maßnahme erfolgt, das heißt er bleibt grundsätzlich reversibel.

Welche Entwicklung sehen Sie in der Region?
Geht es dem Irak gut, kann auch der Mittlere Osten Hoffnung schöpfen. Doch dieser Schluss gilt auch umgekehrt. Es wäre unseriös, eine gute Prognose für die Region auszustellen – die Zeichen stehen auf Krise. Über die aktuellen sicherheitspolitischen Problemzonen hinaus sehe ich mittelfristig vor allem das Thema Bildung als prioritär an. Das rührt an sehr viele Fragen, von der Stellung der Frau in der Gesellschaft und dem Verhältnis der Zivilgesellschaft zu den staatlichen Institutionen bis zur beruflichen Qualifikation. Wenn die fossilen Ressourcen ihre Bedeutung längerfristig verlieren, liegt dort der wahre Reichtum der Region.

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