Ex-Irak-Botschafter Ekkehard Brose „Deutschland darf den Irak nicht allein lassen, auch militärisch“

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Stabilität im gesamten Mittleren Osten bedroht

Und was hat sich seitdem verändert?
Erste Erfolge im militärischen Kampf gegen den IS stellten sich ein, unter großen irakischen Verlusten, gerade bei der Volksmobilisierung. Von Anfang an hieß das Motto auf Seiten der Regierung Abadi, nach dem Sieg auf dem Schlachtfeld müsse der Kampf auch politisch gewonnen werden. Einen erheblicher Teil meiner Energie habe ich vor Ort diesem Ziel gewidmet: Gemeinsam mit den Vereinten Nationen und den irakischen und ausländischen Partnern die Rückkehr der Vertriebenen in die vom IS befreiten Gebiete ermöglichen. Inzwischen ist der IS in der Fläche besiegt und mehr als zwei Drittel – 4,5 von 6 Millionen Menschen – leben wieder in ihren alten Wohngegenden, aus denen sie der IS vertrieben hatte. Viele Probleme ziehen sich allerdings wie ein roter Faden durch die irakische Realität, bis heute. Die innere Schwäche aller staatlichen Strukturen, die Korruption, eine mutige, aber viel zu schwache Zivilgesellschaft.

Wie bedrohlich ist der Konflikt zwischen den USA und Iran für Europa?
Ich sehe die große Gefahr, dass der Irak zum ersten Opfer einer weiteren Zuspitzung im Verhältnis USA-Iran werden könnte. Irakisches Territorium ist ja bislang bereits der Schauplatz des Konfliktes. Darüber hinaus gehen von der Konfrontation zwischen Teheran und Washington Schockwellen aus, welche die Stabilität im gesamten Mittleren Osten bedrohen. Europäische Interessen sind gleich mehrfach berührt: Ein erneutes Erstarken des Terrorismus, Migrationswellen, eine Gefährdung der Erdöl- und Erdgasversorgung. Europa hat ein vitales Interesse an einer friedfertigen Entwicklung der Nachbarregion Mittlerer Osten.

Und wie kann sich Europa dazu verhalten?
Die unmittelbaren Reaktionen aus Europa und von deutscher Seite waren Apelle, die Lage zu entspannen. Das ist richtig, aber dazu müssen die Kraft der Argumente und Interessen sowie praktische Unterstützung, vor allem des Irak, treten. Je weiter die Lage eskaliert, umso stärker wird der Einfluss des Iran im Irak. Das ist das Gegenteil des amerikanischen und europäischen Interesses. Aber auch Iran kann kein Interesse an einem in die Länge gezogenen Schlagabtausch mit dem überlegenen Gegner USA und einer Fortführung der Wirtschaftssanktionen haben.
Deutschland ist ein besonders enger Partner des Irak, unbelastet von der US-geführten Invasion 2003 und ohne koloniale Vorgeschichte im Land. Vor allem unser stabilitätspolitisches Engagement während der Jahre des Kriegs gegen den IS hat im Irak Anerkennung gefunden.

Wie sollte die Bundesregierung auf die US-Politik reagieren?
Der Irak braucht zivile und militärische Hilfe für seine schwachen staatlichen Institutionen, einschließlich der Armee, um seinen Zusammenhalt und seine Unabhängigkeit überhaupt wahren zu können. Es ist deshalb wichtig, dass Deutschland den Irak nicht allein lässt und sich weiter engagiert, auch militärisch. Der Abzug eines Teils der deutschen Ausbildungsunterstützungskräfte der Bundeswehr ist als befristete Maßnahme erfolgt, das heißt er bleibt grundsätzlich reversibel.

Welche Entwicklung sehen Sie in der Region?
Geht es dem Irak gut, kann auch der Mittlere Osten Hoffnung schöpfen. Doch dieser Schluss gilt auch umgekehrt. Es wäre unseriös, eine gute Prognose für die Region auszustellen – die Zeichen stehen auf Krise. Über die aktuellen sicherheitspolitischen Problemzonen hinaus sehe ich mittelfristig vor allem das Thema Bildung als prioritär an. Das rührt an sehr viele Fragen, von der Stellung der Frau in der Gesellschaft und dem Verhältnis der Zivilgesellschaft zu den staatlichen Institutionen bis zur beruflichen Qualifikation. Wenn die fossilen Ressourcen ihre Bedeutung längerfristig verlieren, liegt dort der wahre Reichtum der Region.

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