WirtschaftsWoche: Ist US-Präsident Donald Trump eine Bedrohung für den Welthandel?
Pascal Lamy: Das hängt davon ab, wieviel er von seinen Ankündigungen tatsächlich umsetzt. Er hat einen protektionistischen Wahlkampf gemacht und setzt auf Merkantilismus. Seine Vorstellungen zur Handelspolitik sind rudimentär. Trump ist niemand, der eine moderne Wirtschaft versteht. Für ihn ist ein Handelsdefizit eine Schwäche, Handelsüberschuss dagegen ein Zeichen von Stärke. Seine Denkweise ist primitiv.
Zur Person
Pascal Lamy ist der ehemalige Generaldirektor der WTO.
Wird sein Team eine Eskalation vermeiden können?
Er umgibt sich mit Leuten, von denen zwei Drittel seine Einschätzung teilt. Aber ein Drittel ist anderer Meinung. Handelsminister Wilbur Ross beispielsweise ist moderner als Peter Navarro, der an der Spitze des neuen Handelsrats im Weißen Haus steht. Navarro betreibt klassische anti-China-Rhetorik. Robert Lightizer ist ein Handelsjurist, der sich sein ganzes Leben mit Handelsschutz beschäftigt hat. Er kennt Branchen wie Textilien und Stahl, aber weniger das Silicon Valley.
Trump hat sich sehr deutlich gegen die Welthandelsorganisation (WTO) und den regelgebundenen Handel positioniert. Ist das ernst zu nehmen?
A priori ist seine Haltung gegenüber der WTO aggressiv und negativ. Er hat offen gesagt, dass es sich um ein schlechtes System handelt. Er hat angekündigt, dass er sich nicht an die Entscheidungen der WTO gebunden fühlt. Er will sie nur anwenden, wenn sie ihm recht sind. Das ist natürlich eine halbe Provokation für die WTO. Will er die WTO destabilisieren? Es gibt dafür Anzeichen. Es ist aber wichtig im Hinterkopf zu behalten: Schon die Vorgängerregierung war nicht sehr zart im Umgang mit der WTO.
Inwiefern?
Die USA haben schon unter Obama die Verhandlungen bei der WTO gebremst. Sie Sie haben das Streitbeilegungssystem behindert, vor allem als sie die Nominierung eines koreanischen Richters blockiert haben. Das hatte es zuvor nie gegeben. Die Obama-Regierung war deutlich weniger kooperativ als die Vorgänger-Regierung.
Wird Trump den Kurs jetzt weiter verschärfen?
Es gibt sowohl Anzeichen, dass er auf einen harten Kurs setzt - als auch für das Gegenteil. Ein harter Kurs könnte im Extremfall dazu führen, dass die USA die WTO verlässt, mit allen Konsequenzen für die Ausfuhren der USA. Die wären dann nämlich auch nicht mehr geschützt. Bei einem weicheren Kurs würde Trump die WTO einfach weiter laufen lassen und auf bilaterale Abkommen setzen. Wenn Trump denkt, dass bilaterale Abkommen leichter sind, zeigt das übrigens, wie naiv er ist.
Wann wird Trump Farbe bekennen?
Bei der Border-Adjustment-Tax wird sich herauskristallisieren, welchen Weg Trump geht. Die Reform ist übrigens schon lang überfällig. Das bisherige US-Unternehmenssteuersystem ist absurd, weil es Unternehmen einen Anreiz bietet, die Gewinne im Ausland zu lassen, statt sie zurückzuholen. Die Amerikaner denken ja schon lange über das Thema nach, es wird höchste Zeit, dass sie handeln.
Wie beurteilen sie die beiden Optionen, die auf dem Tisch liegen?
Eine der Optionen würde den Regeln der WTO entsprechen, die andere wäre ein klarer Verstoß gegen die WTO-Regeln, denn sie würde Importeure benachteiligen und Exporteure bevorzugen. De facto würde Trump eine Subvention für Exporte einführen. Wenn er das macht, weiß er, dass er Ärger mit der WTO bekommt, weil es ihm alle sagen.
"Die amerikanischen Verbraucher wollen das nicht"
Es ist absehbar, dass die WTO dann ein Streitpanel zu dem Thema einrichten wird…
… das drei Jahre dauern wird. Das kann die WTO destabilisieren.
Welche Option halten Sie für wahrscheinlicher?
Trumps Entscheidung wird davon abhängen, welche Lobby sich durchsetzt. Handelskonzerne wie Walmart sind total gegen die Variante, die Importe verteuern würde. Meine persönliche Meinung ist die softere Variante - aus rationalen Gründen. Wenn Trump die Importe behindert, schießt er sich in den Fuß. Er schützt vielleicht ein paar Jobs im Stahlsektor, aber in Silicon Valley würden sehr viele Jobs verloren gehen, sodass es keinen Sinn ergibt. Die amerikanischen Verbraucher wollen das nicht.
Und Trumps Kurs gegenüber der WTO, wie wird der aussehen?
Trump wird viel schreien, er wird viel Lärm machen, aber ich gehe nicht davon aus, dass die USA aus der WTO austreten wird.
Was kann die WTO machen, um stark zu sein?
Wenn die USA einen Rückzug signalisieren sollten, dann werden die Mitglieder reagieren. Die Europäer, die Lateinamerikaner, die Asiaten, allen voran die Chinesen, konsultieren sich ja bereits – wenn auch auf sehr diskrete Weise. Es gibt Kontakte, aber niemand will die Amerikaner provozieren. Die anderen Länder spielen mögliche Szenarien durch. Wenn man nach Asien, Afrika und Lateinamerika sieht - alle die sich öffentlich äußern oder mit denen ich gesprochen habe, pochen darauf, dass eine multilaterale, regelbasierte Organisation bestehen bleibt. Ich wäre überrascht, wenn ein anderes Land den USA folgen würde. Bei einem Exodus wären die USA ganz allein. Und das wäre wirklich bemerkenswert, denn historisch waren die Amerikaner seit 50 Jahren Pilot oder Ko-Pilot der WTO, gemeinsam mit den Europäern.
Aktuell gerieren sich die Chinesen als Retter des Welthandels. Ist das glaubwürdig?
Wenn die USA in Richtung Protektionismus abdriften, dann wird China den frei werdenden Platz nutzen, um seine geopolitischen Vorteile zu nutzen. China deswegen als Verteidiger des Freihandels zu sehen und auf seine Führungsrolle zu setzen, wäre stark übertrieben. China hat seine Wirtschaft praktisch nicht geöffnet seit seinem WTO-Beitritt 2001, und der Staat interveniert laufend, indem er die unterschiedlichsten Einschränkungen erlässt, etwa bei ausländischen Investitionen. Dies zeigt der aktuelle Bericht der EU-Handelskammer in China. Die Europäer müssen nun Initiativen nehmen, um einen offenen multilateralen Handel zu erhalten.
Worum streiten die USA und China?
Die USA und China sind Rivalen. Die beiden größten Volkswirtschaften sind aber auch wirtschaftlich voneinander abhängig. Zudem kann kaum ein Problem in der Welt ohne die Kooperation der beiden Vetomächte im Weltsicherheitsrat gelöst werden.
Quelle: dpa
Stand: April 2017
US-Präsident Donald Trump kritisiert wie die Europäer mangelnden Marktzugang und Protektionismus in China. China zerstöre Industrien und „stehle“ Jobs in den USA.
Peking argumentiert, das Handelsdefizit der USA von 347 Milliarden US-Dollar (2016) sei Ergebnis der weltweiten industriellen Arbeitsteilung. Bei Dienstleistungen hätten die USA einen Überschuss.
Trump beschuldigt China, seine Währung zu manipulieren, um seine Exporte billiger zu machen.
Es stimmt zwar, dass China trotz aller Liberalisierung den Kurs des chinesischen Yuan weiter lenkt. Doch Peking versucht genau das Gegenteil - nämlich den Kurs nach oben zu treiben, um die Kapitalflucht in den Griff zu bekommen.
Die USA wollen, dass China mehr Druck auf Nordkorea ausübt, sein Atomwaffenprogramm zu beenden.
Peking trägt zwar Sanktionen mit, aber argumentiert, dass sein Einfluss auf Pjöngjang begrenzt sei. Es fürchtet einen Kollaps des Regimes und eine koreanische Wiedervereinigung mit US-Truppen an seiner Grenze.
Die USA haben mit der Stationierung eines Raketenabwehrsystems (THAAD) in Südkorea begonnen. Es zielt auf die Bedrohung durch Nordkorea.
Peking ist empört, weil das weitreichende Frühwarnsystem auch Chinas Raketenpotenzial erfassen und seine Strategie beeinträchtigen könnte, Militärschläge gegen US-Streitkräfte im Pazifik auszuführen.
China ist überzeugt, dass die USA die aufstrebende Macht kleinhalten wollen.
Von dem „Schwenk“ seines Vorgängers in die asiatisch-pazifische Region spricht Trump zwar nicht. Er will aber das US-Militär massiv ausbauen, um China einzudämmen, wo es im Pazifischen Raum und im Südchinesischen Meer „zu weit geht“.
China beansprucht große Seegebiete mit bedeutenden Fischgründen, Rohstoffvorkommen und Schifffahrtsstraßen. Es baut Militäranlagen auf Inseln und Riffen. Der internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag wies im Juli die Gebietsansprüche zurück. China ignoriert das Urteil. US-Marineschiffe zeigen Flagge.
Peking betrachtet Taiwan als untrennbaren Teil der Volksrepublik und droht mit einer gewaltsamen Wiedervereinigung.
Die USA haben sich der Verteidigungsfähigkeit der heute demokratischen Insel verpflichtet und liefern Waffen. Nach ersten Irritationen über seinen Kurs hat Trump die chinesische „Ein-China-Doktrin“ akzeptiert.
Kritiker bemängelnd, dass die Regeln der WTO nicht streng genug sind, um den unfairen Wettbewerb der Chinesen zu kontrollieren. Was ist da dran?
Die WTO-Regeln gegenüber den Chinesen sind in der Tat nicht streng genug. Aber die Amerikaner hätten das beim Beitritt Chinas zu ihrer Priorität machen müssen. Sie haben sich darauf konzentriert, dass der Zoll für chemische Produkte 3,5 Prozent beträgt, statt ausreichend Druck zu machen bei den Regeln für Subventionen oder dem Zugang zu öffentlichen Aufträgen. Das ist ihr Fehler. Das war übrigens auch der Fehler der Europäer und Japaner, die allesamt die Chinesen unterschätzt haben. Sie haben falsche Maßstäbe angelegt, als sie die Risiken bewertet haben.
Die Chinesen haben gezeigt, dass sie schnell lernen. Sie verklagen die Europäer vor der WTO, weil sie den Chinesen nicht den Status einer Marktwirtschaft zugestehen. Wie beurteilen Sie das?
Die Europäer verhalten sich juristisch korrekt. Sie haben eine schlaue Lösung gefunden, indem sie ihr ganzes System für Handelsschutz reformieren. Die Amerikaner sind nicht so clever, sie sagen einfach „njet“ bei der WTO. Das wird einen Streitfall geben, der vielleicht sogar entscheidender wird als der Fall zur Border-Adjustment-Tax. Es ist wahrscheinlich, dass die Amerikaner das verlieren werden. Wenn Trump sich nicht an das Urteil der WTO hält, dann haben die Chinesen ein Recht auf Kompensation. Angesichts Trump Anti-China-Haltung. Dann wird es spannend.
Braucht die WTO eine Reform?
Nein, meiner Ansicht nach funktioniert die WTO. Die Karosserie ist in Ordnung, aber das System hängt von den Mitgliedsstaaten ab. Die WTO läuft, so lange die USA, China, Europa und die Brasilianer einer Meinung sind. Die Afrikaner sehen übrigens, dass sie ein extremes Interesse am Multilateralismus haben. Länder wie Nigeria und Senegal merken, dass sie bilateral kein Gewicht haben, als afrikanische Truppe in der WTO aber schon.