Experte zur Wahl in Russland „Putin entzieht sich dem Wahlkampf“

Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation Quelle: imago images

Putin gefällt sich als unangreifbarer Staatsmann. Seine Gegenkandidaten dienen der Show, bleiben aber chancenlos. Warum die Russen Putin auch wirtschaftliche Probleme nachsehen, erklärt Russland-Experte Peter Kaiser.

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In England liegt der Doppelagent Sergei Skripal im Krankenhaus, der vermutlich vom russischen Geheimdienst vergiftet wurde. In den USA wird seit Monaten wegen russischer Einmischung in den Wahlkampf ermittelt. In Deutschland gab es offenbar mehrfach russische Hackerattacken auf öffentliche Infrastrukturen. Mindern diese Affären Putins Attraktivität bei den Russen?
Die russischen Medien berichten durchaus darüber, vor allem über die Vergiftung von Sergei Skripal. Wenn dies aber überhaupt mit den Wahlen in Verbindung gebracht wird, dann nur als Versuch des Westens, Russland zu diskreditieren. Die russische Regierung weist in allen drei Fällen jegliche Verantwortung weit von sich. Sie unterstellt den amerikanischen „Eliten“, sie wollten Trumps Annäherung an Russland torpedieren. Die urbanen Eliten haben natürlich auch die Sprachkenntnisse, sich darüber in westlichen Medien im Internet zu informieren. Aber für die Masse der Bevölkerung in der Provinz, für Putins Machtbasis gilt das kaum. Und selbst wenn sie sich in westlichen Medien informierten, würde das an der Wahrnehmung vermutlich wenig ändern. Skripal gilt als Verräter. Und Putin hat öffentlich gesagt, dass Verräter ihre gerechte Strafe bekommen werden. Die Mehrheit der Russen sieht das wohl genauso.

Sind die Meinungsumfragen, die Putin mit rund 70 Prozent vorne sehen, glaubwürdig? Oder wird da vom Kreml nachgeholfen?
Ich kann mir gut vorstellen, dass da etwas nachgeholfen wird. Aber man muss nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass Putins Regime wohl wirklich mindestens 60 Prozent Zustimmung genießt. Die Wahlen werden nicht in den Metropolen Moskau und Petersburg entscheiden, sondern auf dem Land und da hat Putin wirklich sehr hohe Popularitätswerte.

Genügten die vergangenen Präsidentschaftswahlen demokratischen Kriterien?
Die vergangenen Präsidentschaftswahlen 2012 wurden von internationalen Beobachtern als frei aber unfair bezeichnet. In der Wahlkabine sind die Bürger frei. Aber der Zugang oppositioneller Kandidaten zu Medien wird beschnitten. Eine ganz große Rolle spielt natürlich die Vorauswahl der Kandidaten.

Dr. Peter Kaiser ist Historiker und Experte für Russland und die postsowjetischen Staaten an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Quelle: PR

Der prominente Blogger und Kreml-Kritiker Alexei Nawalny wurde nicht zugelassen. Hätte er denn eine Chance, Putin zu schlagen?
Nein. Er würde vielleicht sieben, höchstens zehn Prozent der Stimmen bekommen. Nawalny ist populär, aber nur für ein begrenztes Publikum in Russland attraktiv, für Studenten und junge urbane Menschen, die sich eher kosmopolitisch fühlen. Einem Arbeiter in Nowosibirsk ist Nawalny völlig egal. Die meisten Russen sagen sich: Putin kennen wir; wieso sollten wir jemanden wählen, dessen Politik wir nicht einschätzen können. 

Erstaunlich für westliche Beobachter ist, dass Putin keinen richtigen Wahlkampf führt und sich keiner öffentlichen Diskussion stellt. Seine chancenlosen Konkurrenten streiten sich in Fernsehsendungen – und Putin steht drüber. Wieso nehmen ihm die Russen das nicht übel?
Das kennt man nicht im Westen: Der wichtigste Kandidat entzieht sich dem Wahlkampf – und die Leute honorieren das. Diese Debatten, die oft in Krawalle ausarten, wenn Politiker wie Wladimir Schirinowski dabei sind, werden als Polit-Zirkus, als Volksbelustigung betrachtet. Die meisten Leute finden es richtig, dass Putin da drübersteht. Er tritt stattdessen als großer Staatsmann bei Veranstaltungen auf, wo nur er im Mittelpunkt steht. Ich glaube, dass seine Wähler genau das von ihm erwarten. Es entspricht der russischen Mentalität, dass sich der Staatschef nicht in die Niederungen begeben darf, weil er sonst sein Gesicht verliert. Wenn ihn rhetorisch geschickte Leute öffentlich in die Enge trieben, würde das sein Image stark beschädigen.

Ist Putin denn ein guter Redner?

Nicht besonders. Er ist kein geborener Volkstribun, der die Leute mitreißen kann. Er tritt daher fast nur in Veranstaltungen öffentlich auf, die orchestriert werden. Wenn er Reden hält, sind die gründlich einstudiert. Im Fernsehen werden oft Regierungssitzungen übertragen, wo er als Präsident zu den Ministern spricht. Er liest dann meist mehr oder weniger von Zetteln ab. Es gibt auch Fernsehsendungen mit ihm, wo Bürger anrufen können, um ihm ihre Anliegen vorzutragen. Da wirkt er meist sehr gut vorbereitet. Inwiefern diese Fragen wirklich spontan zugelassen oder vorher gefiltert werden, kann man nur spekulieren.

Was sind für Putins Anhänger die entscheidenden Argumente, ihn wieder zu wählen?
Zuerst Stabilität. Die Russen haben Angst vor der Wiederholung der 1990er Jahre mit Raubtierkapitalismus, politischen Erschütterungen und der Gefahr, dass Russland auseinanderbricht. Das will niemand. Daher haben es Leute wie Nawalny auch so schwer, weil man sie als Unruhestifter sieht, die die Einheit Russlands gefährden. Und dann ist die Stärke nach Außen ein wichtiges Argument. Die hat die Regierung vor allem in Syrien demonstriert. Dieser neue Imperialismus schmeichelt vielen Russen. In seiner Rede an die Nation hat Putin kürzlich vierzig Minuten lang Darstellungen neuer Waffen präsentiert. Seine Anhänger haben gejubelt. Die Annexion der Krim und die Intervention im Osten der Ukraine wird von den meisten Russen als legitim angesehen. Auch Nawalny übrigens sieht die Krim als Teil Russlands, den er nie aufgeben würde.   

"Gürtel enger schnallen für ein starkes Russland"

Die von Putin immer wieder versprochene Diversifizierung der Wirtschaft findet allenfalls sehr schleppend statt. Noch immer ist der bescheidene Wohlstand weitgehend von der Rohstoffbranche abhängig. Warum lasten die Russen Putin nicht an, was im Westen als wirtschaftspolitisches Versagen betrachtet wird?
Die wirtschaftlichen Probleme im eigenen Land werden durchaus erkannt und auch kritisiert von vielen Russen. Auch die vom Kreml gelenkte Presse berichtet immer wieder darüber. Aber das wird als Versagen der Regierung dargestellt, nicht als Versagen Putins. Als 2008 bis 2012 Putin selbst Regierungschef war, hatte er das Problem, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten direkt konfrontiert zu sein. Als Präsident kann er diese mehr oder weniger auf die Regierung abwälzen. Wenn Kritik toleriert wird, dann an einzelnen Behörden, Ministern und sogar an Ministerpräsident Dmitri Medwedew. Aber nicht an Putin. Jetzt kommen die westlichen Sanktionen hinzu. Die werden von Putin als ungerechte Bestrafung dargestellt dafür, dass Russland eigene Interessen wahrnimmt. Man weist dann auf Jelzins Zeit hin: Damals machte Russland alles, was der Westen wollte, aber es ging ihm viel schlechter. Die vorgegebene Deutung ist: Selbst unter Sanktionen, geht es uns besser als damals. Viele Russen sind offenbar bereit, den Gürtel enger zu schnallen, wenn dafür Russland ein großes, starkes Land ist. Wie lange das so funktioniert, weiß ich nicht.

Putin sprach in seiner jüngsten großen Rede positiv von „unternehmerischen Freiheiten“ und Wettbewerb. Welchen Stellenwert hat Unternehmertum in der russischen Gesellschaft. Bewundert man Unternehmer oder wirken 70 Jahre Kommunismus immer noch nach?
Man muss differenzieren nach dem Typus des Unternehmers. Die berüchtigten Oligarchen, die mit Rohstoffen ein Vermögen machten und ihr Geld in Offshore-Steuerparadiesen bunkern, werden als „Parasiten“ beschimpft. Das macht sich Putin auch zunutze, indem er sich dafür lobt, dass ein Teil dieses Kapitals wieder nach Russland zurückfloss und in sozialen Projekten investiert wurde. Im Gegensatz zu Oligarchen werden aber kleinere Unternehmer sehr positiv betrachtet. Da hat seit dem Ende der Sowjetunion ein vollständiges Umdenken stattgefunden. Ein Unternehmer, der in seiner Gegend verankert ist und etwas Handfestes herstellt, ist heute in Russland sehr angesehen. Interessanterweise ist der kommunistische Präsidentschaftskandidat Pawel Grudinin ein sehr erfolgreicher Agrarunternehmer.

Das waren Putins Gegenkandidaten
Wladimir Putin Quelle: AP
Wladimir Schirinowski Quelle: imago images
Pawel Grudinin Quelle: imago images
Grigori Jawlinski Quelle: dpa
Xenia Sobtschak Quelle: imago images
Boris Titow Quelle: imago images
Sergej Baburin Quelle: imago images

Also wäre ein Unternehmer als politische Führungsfigur in Russland nach dem Ende der Putin-Ära denkbar?
Ich bezweifele, dass Putin einen Unternehmer als seinen Nachfolger auswählen wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir seinen Kronprinzen erst in den letzten zwei Jahren seiner Präsidentschaft kennenlernen werden. Und der wird vermutlich etwas mit dem Militär oder Geheimdienst zu tun haben. Vielleicht auch ein erfolgreicher Gouverneur.

Also jemand, wie er selbst.
Genau. Putin war bis 1999, als ihn Jelzin als Kandidat ins Rennen schickte, auch noch weitgehend unbekannt.

Dass Putin am Sonntag abgewählt wird, ist undenkbar. Aber könnte ein schwaches Ergebnis als Denkzettel irgendeine Politikänderung im Kreml bewirken?

Weniger als 60 Prozent würde er als einen Schlag ins Gesicht verstehen. Eine Stichwahl wäre eine Riesenkatastrophe für ihn. Wenn es wider Erwarten Spitz auf Knopf stehen sollte, dürfte das Regime dem Ergebnis etwas nachhelfen. Aber das wird wohl gar nicht nötig sein. Das entscheidendere Datum für seine Politik wird ohnehin das Ende der Fußballweltmeisterschaft in Russland sein. Der Albtraum Putins und vieler Funktionäre des Regimes wäre ein Boykott der Weltmeisterschaft. Auch die Annexion der Krim und die Intervention in der Ostukraine ging erst richtig los, nachdem die Olympischen Winterspiele in Sotschi vorbei waren.

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