
Gut eine Woche nach dem aufsehenerregenden Mord am Kremlkritiker Boris Nemzow hat ein erster Verdächtiger eine Beteiligung an der Bluttat gestanden. Ein Moskauer Gericht nahm am Sonntag insgesamt fünf Männer aus dem islamisch geprägten Nordkaukasus in Untersuchungshaft. Ihnen wird vorgeworfen, an der Organisation und Ausführung der Bluttat beteiligt gewesen zu sein.
Am Sonntag hatte eine Richterin Haftbefehle gegen zwei von fünf inhaftierten Verdächtigen erlassen. Nach Gerichtsangaben ist einer der beiden Hauptverdächtigen geständig. Dabei handelt es sich nach Angaben der Ermittler um Saur Dadajew, ein Ex-Polizeioffizier aus Tschetschenien.
Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow lenkte den Verdacht auf Islamisten, indem er im sozialen Netzwerk Instagram erklärte: "Alle, die Saur kennen, werden bestätigen, dass er ein tiefgläubiger Mensch ist und dass er - wie alle Muslime - über die Veröffentlichungen von Charlie und der Unterstützung des Drucks von Karikaturen schockiert war."
Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg
Der Kreml droht damit, den Import westlicher Pkw nach Russland einzuschränken. Der russische Markt ist aber schon länger in der Krise. 2013 exportierten deutsche Hersteller 132 000 Fahrzeuge nach Russland - im Jahr davor waren es noch knapp 157 000. Bei Volkswagen liegt der Konzernabsatz in Russland nach zwei Dritteln des Jahres 12 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Unabhängig von den Sanktionen sagt ein VW-Insider: „Der Markt fliegt uns ganz schön um die Ohren.“ Die Sanktionen könnten jene Hersteller teils schonen, die in Russland in eigenen Fabriken produzieren. Der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält Importverbote deshalb für verkraftbar: „Nahezu alle wichtigen deutschen Autobauer wie VW, Opel-Chevrolet, Ford, BMW, Daimler Nutzfahrzeuge sind mit Werken in Russland vertreten.“ Der Präsident des Branchenverbands VDA, Matthias Wissmann, aber rät zum Blick über den Tellerrand: Das Thema drücke auf die Psychologie der internationalen Märkte.
Macht Moskau ernst und den Luftraum für westliche Airlines über Sibirien dicht, wäre das ein harter Schlag. Genau das hat Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew im Sinn: „Wenn westliche Gesellschaften unseren Luftraum meiden müssen, kann das zum Bankrott vieler Fluggesellschaften führen, die schon jetzt ums Überleben kämpfen.“ Beispielsweise müssten die großen europäischen Airlines Air France-KLM, British Airways oder Lufthansa, die über Sibirien nach Asien fliegen, auf längere Routen ausweichen. Das kostet Treibstoff, Besatzungen müssen länger arbeiten. Experten gehen von etwa 10 000 Euro Mehrkosten pro Flug aus. Dies dürfte nicht ohne Folgen auf die Ticketpreise bleiben, von längeren Flugzeiten für die Kunden ganz zu schweigen. Aber: Bisher päppelte Moskau mit den Einnahmen von über 200 Millionen Euro pro Jahr aus den Überflugrechten die Staatsairline Aeroflot auf. Lachender Dritter wären wohl die Chinesen. Sie könnten dank des Sibirien-Kostenvorteils die Europäer im lukrativen Asiengeschäft noch mehr ärgern.
Bei Lebensmitteln machte Putin bereits ernst und verhängte Anfang August einen Importstopp, weil ihm erste EU-Sanktionen nicht schmeckten. Die 28 EU-Staaten, die USA, Australien, Kanada und Norwegen dürfen für ein Jahr Fleisch, Fisch, Milch, Obst und Gemüse nicht mehr einführen. Einzelne Agrarländer wie Griechenland trifft das hart. Für die deutsche Agrarbranche sind die Folgen überschaubar, sagt Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU). Um Verwerfungen im EU-Markt wegen des Überangebots zu verhindern, rief Schmidt die Verbraucher auf, mehr heimisches Obst und Gemüse zu essen: „One apple a day keeps Putin away“ (Ein Apfel am Tag hält Putin fern). Nun kündigt Moskau an, auch Produkte der Textilindustrie auf den Index zu setzen. Details sind aber unklar.
Hier hält Putin die ultimative „Waffe“ in der Hand. Dreht er den Gashahn zu, hätte Europa ein Problem. Grund zur Panik besteht aber nicht. Die Gasspeicher sind randvoll (Deutschland: 91,5 Prozent, EU-weit: 90), die Vorräte dürften zumindest in Deutschland, das seinen Gasbedarf zu mehr als ein Drittel aus Russland deckt, bis zum Frühjahr reichen. Das Baltikum und Finnland sind aber zu 100 Prozent von russischen Gasimporten abhängig, viele südosteuropäische Länder hängen auch am Gazprom-Tropf. Die Bundesregierung geht davon aus, dass Putin liefertreu bleibt, nicht auf die Export-Milliarden verzichten kann. Die knallharte Entscheidung der EU, die russischen Energieriesen Gazprom Neft, Rosneft, Transneft sowie Rüstungsfirmen jetzt vom europäischen Kapitalmarkt abzuschneiden, dürfte Putin aber mächtig reizen. Polen meldet, Gazprom liefere weniger Gas als vereinbart - was der Monopolist von Putins Gnaden bestreitet.
Eine der Theorien der Ermittler zum Motiv für die Ermordung Nemzows ist ein islamistischer Hintergrund. Der Oppositionelle soll Drohungen aus diesem Milieu erhalten haben, weil er sich nach dem Anschlag auf die Pariser Satirezeitung „Charlie Hebdo“ im Januar solidarisch mit den Opfern gezeigt hatte.
"Nonsens-Theorie" nutzt Putin
Weggefährten des ermordeten russischen Regierungskritikers Boris Nemzow bezweifeln aber einen islamistischen Hintergrund des Attentats. "Die Nonsens-Theorie der Ermittler über islamistische Motive beim Mord an Nemzow nutzt dem Kreml und nimmt Putin aus der Schusslinie", erklärte Ilja Jaschin, neben Nemzow Co-Vorsitzender der kleinen oppositionellen Liberalen Partei in Russland, im Kurznachrichtendienst Twitter.
Der Verdächtige Saur D. „hat eine Beteiligung an der Ausführung des Verbrechens gestanden“, sagte die Richterin Natalja Muschnikowa. Welche Rolle dieser dabei spielte, war zunächst nicht bekannt. Saur D. war in der Teilrepublik Inguschetien im Nordkaukasus gefasst worden. In der Unruheregion kommt es immer wieder zu Anschlägen von Extremisten.
Dennoch könne noch nicht von einem Durchbruch in den Ermittlungen gesprochen werden, warnten Beobachter. „Wir hoffen, dass Menschen festgenommen wurden, die tatsächlich etwas mit dem Mord zu tun haben“, sagte der Oppositionelle Ilja Jaschin. Die Hintermänner der Tat müssten gefunden werden, forderte er.
Über Saur Dadajew berichteten Medien, er komme aus einer Spezialeinheit der Sicherheitskräfte der Nordkaukasusrepublik Tschetschenien. Der Verdächtige Ansor G. soll für eine private Sicherheitsfirma in Moskau gearbeitet haben. Später wurden auch dessen jüngerer Bruder Schagid G. sowie zwei Männer namens Ramsat B. und Tamerlan E. festgenommen. Über sie war zunächst nichts Näheres bekannt.
Der Oppositionspolitiker Nemzow war am 27. Februar von einem Unbekannten in der Nähe des Kremls hinterrücks erschossen worden. Die Behörden gingen von einem Auftragsmord aus, berichtete die Agentur Interfax. Von möglichen Hintermännern war zunächst keine Rede.
Kritiker vermuten die Hintermänner im Umfeld des Kremls, ohne Beweise vorzulegen. Nemzow galt als einer der wichtigsten Anführer der Opposition und entschiedener Gegner von Präsident Wladimir Putin.
Schanna Nemzowa, die Tochter des Mordopfers, warf dem Kreml eine direkte Verwicklung in den Fall vor. „Er wurde umgebracht, weil er gegen den Kreml war“, sagte sie der „Bild am Sonntag“. An eine Aufklärung des Falls glaubt sie nicht: „Irgendjemand wird bestraft werden, aber nicht der wirklich Schuldige.“ Präsident Putin hatte den Mord als Provokation verurteilt.