Wäre in den vergangenen Monaten ein Außerirdischer in den USA gelandet, in einem Land, in dem der Leitzins bei null und die Inflation bei knapp acht Prozent liegt, wäre er wohl zu der Überzeugung gelangt, dass sich die Notenbanker dort im Dornröschenschlaf befinden. Nun aber scheinen sie aufgewacht zu sein. Auf der Sitzung des Offenmarktausschusses am Mittwoch entschlossen sich die US-Währungshüter unter Vorsitz von Jerome Powell, den Zielbereich für den Zins am Interbankenmarkt um 25 Basispunt auf 0,25 bis 0,5 Prozent anzuheben. Es war die erste Zinserhöhung seit mehr als drei Jahren. Anfang 2020 hatte die Notenbank Fed die Geldbeschaffungskosten wegen der Corona-Pandemie auf fast null Prozent gedrückt.
Die Wirtschaft sei mittlerweile stark genug, um ohne die Unterstützung der ultralockeren Geldpolitik auszukommen, begründete Powell den Zinsschritt. Auf dem Arbeitsmarkt herrsche ein extremes Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage. Die Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften, Arbeitswillige können sich die Jobs geradezu aussuchen. Auf jeden Arbeitslosen entfallen rechnerisch 1,7 offene Stellen. Die Arbeitskräfteknappheit treibt die Löhne in die Höhe und beschleunigt die Inflation.
Auch wenn Powell in der Pressekonferenz den Begriff einer Lohn-Preis-Spirale mied, waren seine Ausführungen zum Arbeitsmarkt als Eingeständnis zu werten, dass diese Spirale bereits in Gang gekommen ist. Damit drohen sich die Inflationserwartungen zu beschleunigen.
Weniger Wachstum, mehr Inflation
Die Fed hat ihre Inflationsprognose für dieses Jahr (gemessen an der Kernrate des Deflators für die persönlichen Konsumausgaben) daher von 2,7 auf 4,1 Prozent angehoben. Zugleich hat sie die Wachstumsprognose, nicht zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs und der anhaltenden Lieferengpässe, von 4,0 auf 2,8 Prozent reduziert. Allerdings liegt die Rate damit noch immer deutlich über dem Wert von 1,8 Prozent, der nach Ansicht der Notenbank mit einem spannungsfreien Wachstum der Wirtschaft verbunden ist. Der Boom setzt sich also fort.
Powell stellte daher weitere Leitzinserhöhungen in Aussicht. Einschätzungen der Notenbanker zufolge dürfte der Leitzins bis Ende dieses Jahres auf 1,9 Prozent steigen. Bei Zinsschritten von jeweils 25 Basispunkten wäre dies einschließlich der gestrigen Zinserhöhung mit insgesamt sieben Zinsschritten in diesem Jahr verbunden. Nächstes Jahr dürften vier weitere Zinsschritte folgen und den Leitzins auf 2,8 Prozent heben. Powell wies auf der Pressekonferenz mehrfach darauf hin, dass die Notenbank die Zinsen durchaus schneller anheben könnte, falls die Lage an der Preisfront dies erfordere.
Die Notenbank habe große Fortschritte bei der Ausarbeitung ihres Plans zur Reduktion der Bilanzsumme gemacht, sagte Powell. Die Fed will dazu Anleihen in ihrem Bestand, die zur Tilgung anstehen, nicht durch den Erwerb neuer Anleihen ersetzen. Der Modus der Bilanzverkleinerung werde ähnlich demjenigen sein, den die Fed nach der Finanzkrise zum Abbau ihrer Anleihebestände angewendet hatte. Allerdings werde der Bilanzabbau diesmal zügiger erfolgen als damals. Die Entscheidung dazu werde auf einer der nächsten Sitzungen fallen.
Realzinsen bleiben negativ
Powell betonte wiederholt, dass die Fed alles in ihrer Macht tun werde, die Inflation wieder auf den Zielwert von zwei Prozent zu drücken. Preisstabilität sei die Voraussetzung für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und somit auch für einen hohen Beschäftigungsstand, erklärte der Fed-Chef. Recht hat er. Doch ist das Inflationsproblem der Fed hausgemacht. Die Notenbanker um Powell haben die Zügel in der Geldpolitik zu Beginn der Pandemie viel zu stark gelockert und dann zu lange schleifen lassen, als dass sie die Inflation jetzt mit Trippelschritten bei den Zinsen problemlos wieder einfangen könnten. Der Tritt auf die Bremse kommt spät, vielleicht zu spät. Und er fällt zu zaghaft aus.
Selbst wenn die Notenbanker den Leitzins bis Ende dieses Jahres wie geplant auf 1,9 Prozent anheben, wird er wohl weiterhin deutlich unter der Inflationsrate liegen. Der Realzins verharrt also weiterhin tief im negativen Bereich und kurbelt die Wirtschaft an, statt sie zu bremsen. Zwar strebt die Fed an, den Leitzins bis Ende des nächsten Jahres auf 2,8 Prozent zu hieven. Damit läge er über der erwarteten Inflation von dann 2,7 Prozent. Der Realzins kehrte nächstes Jahr in den positiven Bereich zurück.
Doch ob das Manöver gelingt, ist keineswegs sicher. Denn die Fed setzt bei ihrer Inflationsprognose darauf, dass im nächsten Jahr Basiseffekte die Teuerungsrate deutlich nach unten drücken. Das dürfte nur dann der Fall sein, wenn die Preise für Energie, Nahrungsmittel und andere Güter in den nächsten Monaten kaum mehr steigen. Der Vergleich mit den hohen Preisindizes aus diesem Jahr ließe die Zuwachsraten im Vorjahresvergleich dann sinken.
Gefahr einer Stabilisierungsrezession
Doch die zähen Lieferengpässe, die Knappheiten auf den Rohstoffmärkten und die sich beschleunigende Lohn-Preis-Spirale drohen der Fed einen Strich durch die Rechnung zu machen. Mit der Geldflut der vergangenen Jahre hat die Notenbank den Geldmantel für die Wirtschaft viel zu weit geschnitten. Weil sich das Arbeitskräfteangebot als knapper erweist als die Notenbank erwartet hat, kann die Güterproduktion den Geldmantel nicht ausfüllen. Der Geldüberhang dürfte sich daher in höheren Preisen niederschlagen.
Die Fed sollte daher kräftiger auf die geldpolitische Bremse treten als geplant. So wäre es zielführend, den Straffungszyklus mit Zinsschritten von 0,5 Prozentpunkten einzuleiten. Später kann die Notenbank das Tempo dann immer noch drosseln, falls sich die Inflation als weniger hartnäckig erweisen sollte. Mit Trippelschritten von 0,25 Prozentpunkten droht die Fed hingegen weit hinter die Kurve zurückzufallen.
Der Preis für das zögerliches Vorgehen könnte hoch ausfallen: Entweder die Notenbanker reißen die Zinsen später kräftig nach oben und stürzen die Wirtschaft in eine Stabilisierungsrezession. Oder sie lassen die Inflation laufen und riskieren, das Vertrauen der Geldnutzer in das Papiergeld zu verspielen.
Lesen Sie auch: Was Ökonomen für Deutschland fürchten, hat in den USA längst begonnen