
Tunis versinkt im Terror, in Frankfurt brennen Anti-EZB-Barrikaden, Israel steuert nach der Wahl auf die ultimative friedenspolitische Sackgasse zu, die Kamikaze-Griechen machen munter neue Schulden und Opel muss aus Putins sanktionierter „Musterdemokratie“ fliehen – wer Chaos mag, war am gestrigen Mittwoch gut bedient. Da war die Pressekonferenz der immer so gemütlich wirkenden US-Notenbankchefin Janet Yellen in Washington ein wohltuender Kontrapunkt. Und das war kein Zufall. Die USA entpuppt sich in der von Terror, Kriegen und wirtschaftlichen Verwerfungen gepeinigten Welt zunehmend als sicherer Hafen.
Zügig und konstant erholt sich die US-Wirtschaft von den Folgen der Finanzkrise, Bedrohungen des Dollar durch griechenlandähnliche US-Bundesstaaten gibt es nicht und Kriege zeichnen sich auf dem amerikanischen Kontinent auch nicht ab. Als Verkünderin des ständigen Aufwärtstrends wird Yellen immer mehr zum Inbegriff dieser Entwicklung. Sie hat gute Chancen, den Amerikanern das zu werden, was Bundeskanzlerin Angela Merkel den Deutschen ist: Mutti.
Yellen bleibt friedfertig
Mancher Analyst hatte vor eher krawalligen Ankündigungen der Fed-Chefin gewarnt – sie könne nicht ewig so moderat und friedlich bleiben, wie sie sich bislang präsentiert hatte. Vielleicht habe sie wegen des hohen Dollar-Kurses, der die US-Exporte belastet, auch üble Neuigkeiten im Gepäck, mutmaßten andere. Doch nichts von alledem: Yellen war am Mittwoch friedfertig und entspannt wie immer und ihre Botschaften alles andere als alarmierend. „Ihr moderater Ton hat uns total überrascht“, bilanzierte Paul Edelstein vom Analyse-Dienstleister IHS Global Insight nach Yellens Auftritt.
Das sind die Gewinner und Verlierer der Währungsschwäche
Die Geldflut der Europäischen Zentralbank (EZB) hat den Euro auf Talfahrt geschickt. Nach Einschätzung von Analysten könnte ein Euro schon bald weniger als ein US-Dollar kosten - erstmals seit mehr als zwölf Jahren. Ein schwacher Euro hilft Firmen aus der Eurozone, die Waren außerhalb des Währungsraums verkaufen wollen. Denn ihre Autos oder Maschinen werden auf den Weltmärkten günstiger - etwa in wichtigen Märkten wie Asien oder Amerika. Die Nachfrage nach Produkten „Made in Germany“ oder anderen Euro-Staaten dürfte anziehen. Schon 2014 verkaufte Deutschland so viele Waren ins Ausland wie nie zuvor. Allerdings: Immerhin 37 Prozent der deutschen Exporte gehen in die Eurozone. Dort spielt der Wechselkurs keine Rolle.
Mehr Exporte = mehr Produktion = mehr Arbeitsplätze. Ganz so einfach geht es in der Praxis nicht, aber der EZB-Kurs mit Nullzins und Geldschwemme zielt auch in diese Richtung. Allein über den Preis werden Unternehmen aus dem Euroraum dank des niedrigen Eurokurses wettbewerbsfähiger. Somit stehen die Chancen gut, dass sie mehr verkaufen und ihre Fabriken besser ausgelastet sind. Das könnte mittelfristig auch neue Arbeitsplätze schaffen. All das bringt die heimische Wirtschaft voran.
„Das Milliarden-Geschenk“ titelte das „Handelsblatt“ am 22. Januar, als die EZB ihr gigantisches Anleihenkaufprogramm beschloss. Die lockere Geldpolitik der Notenbank könnte exportstarken deutschen Konzernen nach Berechnungen der Commerzbank im laufenden Jahr zwölf Milliarden Euro zusätzlich an Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) in die Kassen spülen - allein weil der Euro gegenüber dem Dollar an Wert verliert. Vom Euroverfall profitieren demnach vor allem jene Firmen, die Rechnungen und Löhne in Euro bezahlen, aber in Dollar abrechnen.
Wer Waren oder Rohstoffe aus dem Ausland bezieht, muss sich auf höhere Kosten einstellen. Denn wichtige Rohstoffe wie etwa Öl werden international in Dollar gehandelt. Wenn der Euro im Vergleich zum Dollar an Wert verliert, werden solche Importe für Abnehmer im Euroraum tendenziell teurer. Deshalb sei ein schwacher Euro für die Exportnation Deutschland auch nur auf den ersten Blick erfreulich, kommentiert der Außenhandelsverband BGA: „Ohne die niedrigen Rohstoffpreise würde der schwache Euro tiefe Spuren in unserer Importrechnung hinterlassen und somit auch die Verkaufspreise im Export erhöhen.“ In Deutschland wäre der Preisrückgang bei Benzin und Heizöl in den vergangenen Monaten noch deutlicher ausgefallen, wenn der Eurokurs nicht so stark nachgegeben hätte.
Urlaube in der Schweiz oder in die USA werden teurer, wenn der Euro gegenüber anderen wichtigen Währungen an Wert verliert. Ende Januar rechnete der Bundesverband deutscher Banken (BdB) vor: Die Kaufkraft eines Euro in der Schweiz betrage nur noch etwa 55 Cent. Das heißt: Waren und Dienstleistungen waren dort zu diesem Zeitpunkt im Schnitt fast doppelt so teuer wie in Deutschland. Auch für Reisen in andere Nicht-Euroländer wie Großbritannien oder die Türkei müssen Verbraucher aus Euroländern tiefer in die Tasche greifen. Auf der anderen Seite wird für Amerikaner oder Chinesen ein Trip nach Berlin, Athen oder an die Côte d'Azur attraktiver.
Für den Ausbau ihrer Geschäfte außerhalb des Euroraums müssen Unternehmen aus dem Euroraum tendenziell mehr Geld in die Hand nehmen. Wer etwa eine Fabrik in China oder in den USA errichten will und dies in der jeweiligen Landeswährung bezahlt, legt in Euro gerechnet künftig drauf.
Während die US-Notenbank Fed ihre Geldschleusen absehbar wieder schließen will, fährt die EZB einen genau entgegengesetzten Kurs. Das erhöht die Gefahr, dass es zu einem „Währungskrieg“ kommt. Mit ihren milliardenschweren Anleihenkäufen habe die EZB „eine Tür geöffnet, hinter der die Gefahr eines Abwertungswettlaufes lauert“, kritisierte BGA-Präsident Anton F. Börner. Die Erfahrung zeigt, dass es in solchen Fällen nur Verlierer gibt.
Der hohe Dollarkurs belaste die US-Wirtschaft, räumte Yellen ein. Die Fed korrigierte, wohl als Konsequenz aus dem Währungshöhenflug, die Wachstumsziele für die USA leicht nach unten. Andererseits, so betonte Yellen, sei der starke Dollar auch ein Indiz für die Stärke der US-Wirtschaft. An dieser Situation dürfte sich so schnell nichts ändern. Angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Lage in Europa und Asien dürfte die US-Währung ein willkommener Zufluchtsort bleiben.
Mit dem Dollar-Kurs war auch das eigentliche Top-Thema von Yellens Auftritt – die anstehende Zinserhöhung in den USA – unmittelbar verbunden. Im Frühjahr wird die Fed wohl nicht den ersten Schritt aus dem Zinstief machen, wie etliche Beobachter erwartet hatten. Aber die grundsätzliche Wende hat Yellen nun eingeleitet. Dass es mit den Zinsen nach oben geht, ist jetzt offiziell. Aber es wird frühestens im Sommer so weit sein, eher wohl aber im September. Die Fed will erst einen deutlichen Anstieg der Inflationsrate sehen, bevor sie den Leitzins anhebt.
Und hier kommt wieder der Dollar ins Spiel: Bleibt der hoch, dann bleiben Amerikas größtenteils importierte Konsumgüter günstig und die Inflation wird kaum steigen. Bleibt auch der Ölpreis niedrig, wird es noch unwahrscheinlicher, dass die Inflation schnell steigt.
Kein Wunder also, dass Yellen keine allzu schnelle Zinserhöhung ankündigte. Das heißt aber nicht, dass die US-Wirtschaft nicht weiter auf Erholungskurs bleibt. Die Wirtschaft habe sich schneller erholt, als sie ursprünglich angenommen hatte, sagte Yellen. „Wir sehen eine Wirtschaft“, so Yellen, „die immer stärker wächst. Der Arbeitsmarkt verbessert sich weiter, und der Gegenwind, der lange die Wirtschaft ausgebremst hat, ebbt allmählich ab.“