Krisensitzung im Weißen Haus: US-Präsident Barack Obama hat am Freitag mit führenden Kongressmitgliedern beraten, um doch noch einen Kompromiss im Haushaltsstreit mit den Republikanern zu erreichen. Sein Ziel bei dem gegen 21.00 Uhr deutscher Zeit begonnenen Treffen war eine Übergangsvereinbarung, mit der zumindest die drohenden Steuererhöhungen für die Mittelschicht ab 1. Januar verhindert werden könnten. Allerdings haben Politiker wie Finanzexperten Hoffnungen auch nur auf eine solche kleine Lösung noch rechtzeitig zum Jahresende gedämpft.
Gelingt es nicht, bis zur Silvesternacht zumindest eine Rahmenvereinbarung zu erzielen, droht der Sturz von der sogenannten Fiskalklippe. Das heißt, Anfang des Jahres würden automatisch Steuererhöhungen sowie massive Ausgabenkürzungen im Umfang von 600 Milliarden Dollar (454 Milliarden Euro) in Kraft treten. Sollten sich Demokraten und Republikaner dann nicht bald einigen, könnte dies möglicherweise schwerwiegende Folgen für die US- und die globale Wirtschaft haben.
Zum Treffen mit Obama im Oval Office des Weißen Hauses kamen die Führer der Republikaner und Demokraten im Abgeordnetenhaus, John Boehner und Nancy Pelosi, sowie die Senatsfraktionschefs beider Seiten, Mitch McConnell und Harry Reid. Nachdem sich in den vergangenen Tagen keinerlei Annäherung abgezeichnet hatte, galt die Sitzung als wahrscheinlich letzte Chance, noch in diesem Jahr noch irgendeine Übereinkunft zu erreichen. Der Demokrat Reid hatte am Donnerstag düster prophezeit: „Wir stürzen von der Fiskalklippe.“
Die USA zittern vor der „Fiskalklippe“
Durch die "Fiskalklippe" könnten der US-Wirtschaft im kommenden Jahr mehr als 500 Milliarden Dollar entzogen werden. Das überparteiliche Haushaltsbüro im Kongress befürchtet, dass das Bruttosozialprodukt um 0,5 Prozent schrumpfen würde. Die Arbeitslosenquote würde bis Ende 2013 von derzeit 7,7 auf 9,1 Prozent steigen. Nach Einschätzungen des Internationalen Währungsfonds dürfte sich ein Einbruch der US-Konjunktur auf die gesamte Weltwirtschaft auswirken, die ohnehin schon gebannt die Schuldenkrise in der Eurozone verfolgt.
Die Steuererhöhungen betreffen die Einkommenssteuer, die Erbschaftssteuer, Abgaben auf Kapitalerträge sowie eine Reihe von Abschreibungsmöglichkeiten, die wegfallen würden. Die Beiträge zur staatlichen Rentenversicherung sollen dem Szenario entsprechend auch steigen. Obama warnt, dass eine typische Familie der Mittelschicht im Schnitt 2200 Dollar mehr Steuern zahlen müsste. Auch Konjunkturmaßnahmen wie die Verlängerung der Arbeitslosenhilfe würden Ende des Jahres auslaufen.
Das im August 2011 verabschiedete Haushaltskontrollgesetz verpflichtet die US-Regierung, die Ausgaben über zehn Jahre um 1,2 Billionen Dollar (gut 900 Milliarden Euro) zu kürzen. Allein im kommenden Jahr würden pauschal 55 Milliarden Dollar im Verteidigungshaushalt und weitere 55 Milliarden Dollar in anderen Bereichen gestrichen.
Zum Jahreswechsel laufen eine Reihe von Steuererleichterungen aus der Zeit von Obamas Vorgänger George W. Bush aus. Die meisten der Vergünstigungen wollen auch die Demokraten wie zuletzt im Dezember 2010 verlängern - nur bei den Topverdienern verlangen sie, dass die Steuersätze steigen. Weil sich die Republikaner dagegen stemmen, wirft Obama ihnen vor, die breite Bevölkerung als "Geisel" zu nehmen, um den Reichen ihre Steuerprivilegien zu erhalten.
Die ab Januar drohenden Kürzungen gehen auf den Haushaltskompromiss vom Sommer 2011 zurück, als der Streit um die Anhebung der Schuldenobergrenze die USA an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht hatte. Die damals vereinbarten drakonischen Einschnitte waren eigentlich als eine Art Drohkulisse gedacht, damit sich Republikaner und Demokraten auf einen ausgewogenen Plan zum Abbau des Haushaltsdefizits verständigen. Doch ohne Lösung bis Jahresende wird die Sparbombe automatisch gezündet.
Die "Fiskalklippe" ist der jüngste Ausdruck des seit Jahren schwelenden Streits zwischen Demokraten und Republikanern im Kongress über die Sanierung der Staatsfinanzen. Während die Demokraten von Präsident Barack Obama die Reichen stärker belasten wollen, lehnen die Republikaner höhere Steuern als Gefahr für Wirtschaft und Jobs ab. Stattdessen wollen sie vor allem bei den Sozialprogrammen stärker kürzen.
Allerdings halten Insider in Washington auch eine Lösung einige Tage nach Neujahr für möglich. Höhere Abgaben und die meisten Kürzungen würden erst im Laufe des Jahres richtig spürbar werden, meinen sie. Eine mögliche Lösung könnte so aussehen, dass die zum Jahresanfang in Kraft tretenden Steuererhöhungen für die Mittelschicht wieder rückgängig gemacht und die Ausgabenkürzungen ausgesetzt werden, bis ein detailliertes Sparprogramm ausgearbeitet worden ist.