Ein Schwächeanfall mit Folgen: Hillary Clinton verließ die Gedenkveranstaltung für die Opfer der Terrorattacke von 9/11 frühzeitig und brach kurz darauf im Van erschöpft zusammen. Wenige Stunden später trat sie vor die Öffentlichkeit. Sie fühle sich „großartig“, sagte sie, und es sei „ein wunderschöner Tag in New York.“ Clinton tat so, als sei nichts geschehen.
Clintons Schwächeanfall und ihr seltsames Statement im Nachgang heizen den Wahlkampf um das Präsidentenamt in den USA an. Die Demokraten begründeten den Schwächeanfall mit einer Lungenentzündung, unter der Clinton leide. Die Wahlkampfveranstaltungen für Montag wurden abgesagt.
Tatsächlich kann die Frage, wie fit ein Präsidentschaftskandidat ist, über den Ausgang der Wahl mitentscheiden.
Für Donald Trump kommt der Schwächeanfall daher wie gerufen. Der Republikaner äußert schon seit Monaten Zweifel an Clintons Fitness. 2012 erlitt sie als Außenministerin eine Gehirnerschütterung. Sie nahm Medikamente gegen die Bildung eines Blutgerinnsels. Bislang war dieser Unfall für Republikaner vor allem Stoff für Verschwörungstheorien. Doch nun zeigen die Bilder des Schwächeanfalls tatsächlich eine labile Politikerin. Und die Republikaner fühlen sich bestätigt.
Clinton setzt das weiter unter Druck. Der Vorsprung in den Umfragen ist in den vergangenen zwei Wochen deutlich geschmolzen. In der E-Mail-Affäre wird ihr vorgeworfen, als Außenministerin Dienstgeheimnisse über ihren privaten E-Mail-Account verschickt zu haben. Sie gilt als Kandidatin des in Amerika mehr und mehr verhassten Establishments. Jüngst verhöhnte sie Wähler, die den Republikanern nahe stehen, als „erbärmlich“, was sie Wählerunterstützung gekostet hat. Und jetzt zeigt sie physische Schwäche.
Clintons wirtschaftspolitische Pläne
Clinton will in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit das umfassendste Investitionsprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg in Infrastruktur, Industrie, Forschung und Entwicklung, Klimaschutz und Mittelstandförderung anstoßen. Sie will über fünf Jahre aus staatlichen und privaten Quellen 275 Milliarden Dollar mobilisieren, um die Verkehrs- und Netz-Infrastruktur zu verbessern. Damit und mit anderen Mitteln will sie über zehn Millionen neue Jobs schaffen. Die Industrie soll stärker werden. Gelingen soll das mit einer Partnerschaft von Wirtschaft, Arbeitnehmern, der Regierung und Verwaltungen sowie der Wissenschaft. Firmen sollen sich verpflichten, Jobs und Investitionen statt in Übersee in den USA zu halten. Dafür sollen sie finanzielle Vorteile genießen. Besonders gefördert werden sollen strukturschwache Regionen. Die Position der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften will Clinton stärken. Der Mindestlohn soll von 7,25 Dollar je Stunde auf zwölf, zuletzt war gar von 15 Dollar die Rede, erhöht werden.
Clinton verspricht ein gerechteres und einfacheres Steuersystem. Multi-Millionäre und Milliardäre sollen einen Steueraufschlag zahlen, Arbeitnehmerhaushalte und Familien entlastet werden. Steuerschlupflöcher für Firmen und Privatpersonen will Clinton schließen. Unternehmen, die ihre Gewinne in Steueroasen transferieren, sollen eine Extra-Steuer zahlen. Investitionen von Unternehmen in den USA selbst will sie begünstigen und dabei kleine Firmen besonders entlasten. Gleiches gilt für Familien, die Sonderlasten tragen, weil sie beispielsweise ältere und erkrankte Familienangehörige pflegen.
Die US-Finanzindustrie will Clinton enger an die Leine legen. Wall-Street-Riesen sollen einen Extra-Zuschlag zahlen, der sich nach ihrer Größe und ihrem Risikogewicht für die Branche richtet. Bestehende Möglichkeiten für Großbanken, Kundengelder in Hochrisikofeldern zu investieren, will sie beschneiden. Top-Banker sollen bei Verlusten ihrer Institute mit Bonus-Einbußen rechnen. Der Hochfrequenzhandel soll besteuert werden. Riesige und undurchschaubare Finanzriesen sollen stärker kontrolliert und im Zweifel aufgespalten werden. Clinton will Finanzmanager auch stärker in Mithaftung nehmen, wenn in ihren Instituten gegen geltendes Recht verstoßen wird.
Clinton verspricht, schärfer gegen Länder wie China vorzugehen, wenn diese internationale Freihandelsregeln verletzen und damit amerikanischen Arbeitsplätzen schaden. Sie will Nein sagen zu Handelsabkommen, wie der Trans-Pazifischen Partnerschaft (TPP), die nicht den US-Standards genügen, etwa mit Blick auf die Bezahlung von Arbeitnehmern. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will sie neu verhandeln. Zum US-EU-Freihandelsabkommen TTIP, das derzeit verhandelt wird, äußerte sie sich in jüngster Zeit zwar nicht direkt, doch war sie schon früher auch dazu auf Distanz gegangen und will in Freihandelsabkommen generell die amerikanischen Interessen besser zum Tragen kommen lassen. „Amerika fürchtet den Wettbewerb nicht“, gibt sie sich insgesamt kämpferisch.
In Umwelt- und Energiepolitik will Clinton Zeichen setzen. Sie will Amerika zur weltweiten „Supermacht“ des 21. Jahrhunderts in Sachen saubere Energie machen.
Clinton will Schluss damit machen damit, dass sich US-Bürger wegen einer College- oder Universitätsausbildung hoch verschulden. Sie will für eine bessere Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen sorgen. Bei Krankheit und im Alter soll es mehr soziale Sicherheit geben.
Die Fitness-Frage wird in den USA von den Kandidaten fast wie ein religiöses Mantra vor sich her getragen. Es gibt zwar kein Gesetz, das die Politiker verpflichtet, ihren Gesundheitszustand öffentlich zu machen. Doch im Wahlkampf wird es als selbstverständlich erwartet. Kein Report war so ausführlich wie der von Ex-Bewerber John McCain, der 2008 gegen Barack Obama antrat: Für einige Stunden konnten Beobachter Einsicht in ausgewählte Krankenakten des Republikaners nehmen.
18 von 37 Präsidenten litten unter psychischen Problemen
Der Gesundheits-Wahn der Amerikaner hat historische Gründe. In der Geschichte der USA gab es zahlreiche Präsidenten, die ihren wahren Gesundheitszustand verschwiegen:
Grover Cleveland, der 22. und 24. Präsident der USA, ließ sich 1893 heimlich auf der Yacht eines Freundes einen Tumor im Mund entfernen. Das Wahlvolk erfuhr nie davon. Offiziell kehrte Cleveland eine Woche später von einem „Fischer-Ausflug“ zurück.
Woodrow Wilson, von 1913 bis 1921 der 28. US-Präsident, verschwieg mehrere Schlaganfälle in der Zeit vor seiner Präsidentschaft.
Die Termine bei der US-Wahl 2016
In den ersten Bundesstaaten beginnt die Briefwahl. Bei der Abstimmung 2012 gab fast ein Drittel der Wähler ihre Stimme vor dem eigentlichen Wahltag ab.
Erste Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten in Dayton, Ohio.
Fernsehdebatte der Kandidaten für das Amt des Vize-Präsidenten in Farmville, Virginia.
Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten in St. Louis, Missouri.
Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten in Las Vegas, Nevada.
Wahltag: Landesweite Abstimmung über den Präsidenten, das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats; dazu Landeswahlen und Volksabstimmungen in zahlreichen Bundesstaaten und Kommunen.
Vereidigung des neuen Staatsoberhaupts.
Noch prominenter waren die Erkrankungen der Kandidaten, die noch folgen sollten. Zwar wussten die Wähler, dass Franklin D. Roosevelt wegen Kinderlähmung an den Rollstuhl gebunden war. Doch als er 1945 zur vierten Amtszeit antrat, litt er bereits unter Herzproblemen und Bluthochdruck. Davon erfuhren die Wähler nichts. 1945 verstarb Roosevelt im Amt.
Selbst der joviale John F. Kennedy, der mit 43 Jahren zum 35. Präsidenten der USA gewählt wurde, verschwieg den wahren Zustand seiner Gesundheit. Er litt unter einer Schilddrüsenunterfunktion, Rückenschmerzen und der Addisonschen Krankheit, also Problemen mit den Nebennieren. Kennedy bekam während seiner Zeit als Präsident mehrfach Schmerzmittel injiziert.
2006 kam eine Studie der Duke-Universität sogar zu dem Ergebnis, dass von den ersten 37 Präsidenten 18 an psychischen Problemen litten, die meisten unter Depression und Angstzuständen. Teddy Roosevelt (1901 bis 1909) und Lyndon Johnson (1963 bis 1969) litten sogar unter einer bipolaren Störung.
Für Clinton bedeutet das Wochenende daher einen gewaltigen Rückschritt. Republikaner Trump wird den Gesundheitszustand zum Politikum erheben. Er selbst sei schließlich kerngesund. Der Arzt Harold Bornstein attestierte dem Republikaner exzellente Labortests und Blutdruckwerte. Trump habe 15 Kilogramm abgenommen. Sollte Trump der 45. Präsident der Vereinigten Staaten werden, wäre er „der gesündeste Mensch, der sich jemals habe zum Präsident wählen lassen“.