Flüchtlinge auf der Balkanroute Wenn umkehren keine Option ist

Der Flüchtlingsstrom auf der Balkanroute reißt nicht ab – trotz Kälte und strengerer Grenzkontrollen. Seit Jahresbeginn kamen in Italien und Griechenland fast viermal so viele Menschen an wie zuvor im gesamten Januar.

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Ein Vater trägt seinen Sohn an der mazedonischen Grenze zu Serbien. Quelle: ap

Sid Samim Nawabi will nicht umkehren - trotz Gefahren, Kälte und der großen Ungewissheit über den Empfang. Denn der Traum von einem Leben in Deutschland gibt ihm etwas, das sein Heimatland nicht mehr bieten konnte: Hoffnung. Vor etwa einem Monat verließ der 24-jährige Computerexperte mit seiner Familie Afghanistan und schloss sich der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg nach Europa an - mit mehr als einer Million Menschen im vergangenen Jahr.

„Wir haben die Hoffnung verloren, wissen Sie“, sagt Nawabi. „Es fällt sehr schwer zu leben, wenn man keine Zukunft sieht.“ Nach der Reise durch den Iran, die Türkei, Griechenland und Mazedonien erreichte er zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern in dieser Woche Serbien. Die Familie verbrachte einen Tag nahe der Grenzstadt Sid, bis sie einen Zug ins EU-Mitgliedsland Kroatien besteigen konnte. Von dort wollen sie weiter nach Deutschland.

Noch immer machen sich täglich Tausende auf den Weg, obwohl der Winter und verschärfte Kontrollen an den Grenzen die Zahl in den vergangenen Wochen sinken ließ. Zudem machen Gerüchte die Runde, Europa könnte nach den Pariser Terroranschlägen und den Kölner Übergriffen auf Frauen seine Tore für Flüchtlinge schließen. Nach Zahlen der Internationalen Organisation für Migration kamen seit Jahresbeginn in Italien und Griechenland bereits mehr als 23.000 Menschen an. Zum Vergleich: In den beiden Jahren zuvor waren es im gesamten Januar jeweils etwa 6000 Zuwanderer.

In einem Flüchtlingslager in Sid freuten sich Dutzende Menschen in dieser Woche nach wochenlanger Kälte und Schnee an milderen Temperaturen. In der Sonne spielten Kinder auf der schlammigen Straße mit Seifenblasen. „Jetzt sind wir glücklich, jetzt habe ich Hoffnung, etwas Neues anzufangen in meinem Leben“, sagt Nawabi.


Anstieg der Atemwegserkrankungen

Der Winter sorgte nach Angaben der Ärzte und Helfer im Camp für einen Anstieg bei Atemwegserkrankungen, vor allem bei Kindern und Älteren. Ausruhen wollten sich die Migranten nicht: Sie wollen die Medikamente nehmen und ihre Reise fortsetzen.

„Erfrierungen oder Ähnliches hatten wir bisher nicht“, so die Ärztin Maja Saponja. „Wir hatten Kinder mit hohem Fieber, was sehr dramatisch für sie ist.“ Die meisten Flüchtlinge sind den europäischen Winter nicht gewöhnt, viele haben keine warme Kleidung. Ihre Organisation arbeite rund um die Uhr an der Beschaffung von Winterstiefeln und Jacken, erklärt Tanja Menicanin vom Dänischen Flüchtlingsrat.

Für manche jedoch ist das gelobte Land unerreichbar geworden. Um den Zustrom einzudämmen, lassen einige Länder auf der Balkanroute seit Ende 2015 nur noch Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan passieren, die die größten Aussichten auf Asyl haben. Beobachter befürchten zunehmende Spannungen auf dem Balkan, wenn Migranten zu südlichen Nachbarn zurück geschickt werden.

In Slowenien und Kroatien wurden die Kontrollen verstärkt: Anhand von Listen wird genau überprüft, wer den Zug Richtung Norden besteigt. Bei der Überwachung des Flüchtlingsstroms arbeiteten seine Beamten mit kroatischen Kollegen zusammen, betont Mico Djukic von der Grenzpolizei in Sid. Dennoch versuchten Migranten aus anderen Ländern, sich unter die Flüchtlinge zu schmuggeln.

„Wenn wir es versäumen, eine solche Person zu identifizieren, und sie am Zug erscheint, verwehren die Kollegen in Kroatien ihnen den Zutritt und übergeben sie an uns“, sagt Lukic. Die Migranten würden dann zu Flüchtlingslagern gebracht, wo sie offiziell Asyl beantragen und das Verfahren abwarten könnten.

Die Syrerin Bajan Al Saho will es so schnell wie möglich nach Deutschland schaffen. Sie sei beschämt von den Attacken auf Frauen in dem Land, das bisher die größte Zahl von Flüchtlingen aufnahm, erklärt Al Saho, die in Deutschland Politikwissenschaften studieren will. „Wir machen so etwas nicht. Ich denke, das sind schlechte Leute. Wir alle wollen Frieden und hoffen darauf, in Frieden zu leben.“

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