Flüchtlinge aus Maghreb-Staaten Diskriminierung, Gefängnis, Folter – und sonst?

Der Bundestag stuft Maghreb-Länder als sichere Staaten ein. Damit können Asylbewerber aus Marokko, Algerien und Tunesien schneller abgeschoben haben. Was die Flüchtlinge in ihren Heimatländern erwartet.

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Die Wut richtet sich gegen die Willkür von Behörden. Auf den Bildern ist eine Straßenhändlerin zu sehen, die sich in Brand setzte, nachdem Behörden Eigentum von ihr konfisziert hatten. Quelle: AFP

Madrid Der Bundestag hat nach langen Diskussionen entschieden: Die drei Maghreb-Staaten Marokko, Tunesien und Algerien sind sicher. Folgt der Bundesrat der Entscheidung, dann können Asylbewerber aus diesen drei Staaten künftig deutlich schneller abgeschoben werden. Die Debatte sorgt für Kritik von Kirchen und Menschenrechtsverbänden. Tatsächlich ist die Lage in den Ländern alles andere als eindeutig.

Marokko gilt als das Land, in dem der arabische Frühling zwar nicht für einen Systemsturz gesorgt hat, das aber mit Reformen den Weg in eine neue Zukunft sucht. So hat die Verfassung aus dem Jahr 2011 die Menschenrechte gestärkt. Dennoch existieren weiterhin Gesetze, die etwa Homosexualität oder Ehebruch unter Strafe stellen.

Vor allem ist derzeit unklar, was in Marokko mit denjenigen passiert, die jetzt von Deutschland aus zurückgeschickt werden. Auch illegale Auswanderung steht unter Strafe. Viele junge Marokkaner aber, die Ende vergangenen Jahres nach Deutschland gekommen sind, dürften genau das getan haben. Sie haben die Gelegenheit genutzt, dass in Deutschland die Grenzen für Flüchtlinge offen waren. Die Behörden gehen davon aus, dass viele sich als Syrer ausgegeben haben.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Einstufung der Maghreb-Länder als sichere Herkunftsstaaten. Zwar sei ein Bürger in Marokko per se nicht gefährdet, sagte Sirine Rached von Amnesty International dem Handelsblatt. „Bestimmte Berufsgruppen wie Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten laufen aber Gefahr, ohne Grund verhaftet und in den Gefängnissen auch gefoltert zu werden, wenn ein Terrorverdacht gegen sie vorliegt.“

Der 26-Jährige Youssef etwa, ein Aktivist gegen Jugendarbeitslosigkeit, ist laut Amnesty von drei Polizisten mit verbundenen Augen abgeführt, geschlagen und zu acht Monaten Haft verurteilt worden. Hinter vorgehaltener Hand bezeichnen Aktivisten in Marokko ihr Land als Polizeistaat, der potentiell verdächtige Personengruppen auf Schritt und Tritt beobachte.

Auch alleinstehende Mütter haben es in Marokko schwer: Nicht-eheliche Beziehungen stehen ebenfalls unter Strafe und führen teilweise dazu, dass unverheiratete Mütter von ihren Familien verstoßen werden.

Hinzu kommen wirtschaftliche Probleme: 20 Prozent der marokkanischen Jugendlichen sind arbeitslos und suchen deshalb in Industrienationen wie Deutschland ein besseres Leben. Zwar hat der marokkanische König ein ehrgeiziges Programm aufgelegt, um das Wirtschaftswachstum mit staatlicher Hilfe anzukurbeln. Doch noch hält sich der Erfolg in Grenzen. Die wenigen Jobs, die es für junge Marokkaner gibt, werden gerne an die Kinder einflussreicher Familien vergeben.

In Tunesien und Algerien ist die wirtschaftliche Lage nicht viel besser. Das Öl-Land Algerien leidet unter den niedrigen Preisen des Rohstoffes und der für Tunesien wichtige Strom von Touristen versiegt nach zahlreichen Terrorattentaten.


Folter und Diskriminierung von Homosexuellen

Nicht nur in Marokko, auch in Algerien drohen Journalisten und Aktivisten Gefängnisstrafen. Die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sind in dem Land, das seit 17 Jahren von Präsident Abdelaziz Bouteflika regiert wird, eingeschränkt. Friedliche Demonstranten, Aktivisten und Journalisten wurden laut dem Jahresbericht von Amnesty International inhaftiert und zu Freiheitsstrafen verurteilt. Gerichte verhängten auch die Todesstrafe etwa für Mord, sie wurde 2015 jedoch nicht angewandt.

Seit kurzem sind Gewalt in der Ehe und sexuelle Belästigung von Frauen in der Öffentlichkeit strafbar. Doch können laut Amnesty Männer, die eine Minderjährige vergewaltigt haben, nach wie vor straffrei bleiben, wenn sie diese heiraten.
Durch Verfassungsänderungen wurde die Zahl der umstrittenen Präsidentschaftsmandate zwar auf zwei beschränkt und die Presse- und Versammlungsfreiheit anerkannt. Kritiker sprechen allerdings von kosmetischen Reformen, mit denen der große Einfluss der Eliten in Armee und Politik kaum beschnitten werde.

Tunesien, das Ursprungsland des Arabischen Frühlings, gilt in mancher Hinsicht als Vorbild in der Region für eine Entwicklung hin zu mehr Demokratie. So erhielt das sogenannte Dialog-Quartett im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis. Doch die in der Verfassung von 2014 garantierten „fundamentalen Freiheiten“ werden politischen Aktivisten zufolge bis heute nicht umgesetzt. Auch gebe es keine Gleichheit vor dem Gesetz und kein entschiedenes Vorgehen gegen Korruption.

Vor allem die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit sind eingeschränkt. Medien unterliegen laut Amnesty der Zensur. Mehrere Demonstrationen wurden 2015 dem Jahresbericht zufolge mit „exzessiver Gewalt“ aufgelöst. Das neue Antiterrorgesetz wird von Menschenrechtlern kritisiert, weil es das Risiko von Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte erhöhe. Festgenommene Verdächtige berichteten von Foltermethoden wie „Waterboarding“.

Als Fortschritt betrachtet dagegen Human Rights Watch eine Justizreform, die unter anderem Verdächtigen in Gewahrsam das Recht auf einen Anwalt zugesteht. Frauen werden laut Amnesty nur unzureichend gegen sexuelle Gewalt geschützt. Wie in Algerien können Männer, die Minderjährige vergewaltigen, einer Strafe entgehen, wenn sie ihr Opfer heiraten. Homosexuelle, aber auch Bisexuelle und Transgender werden diskriminiert. Gleichgeschlechtliche Beziehungen können mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Todesurteile wurden 2015 nach Angaben von Amnesty nicht vollstreckt.

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