Flüchtlinge Der Raub der Heimat

Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR schlägt Alarm: Niemals zuvor waren so viele Menschen auf der Flucht. Syrien bleibt die schlimmste Krise. UN-Generalsekretär António Guterres appelliert an die Regierungen zu helfen.

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Über fünf Millionen der Flüchtlinge kamen im vergangen Jahr aus Syrien. Darunter waren auch viele Kinder. Quelle: dpa

Genf Das Mädchen Issa musste vor den Terrormilizen der Boko Haram aus Nigeria fliehen. Von ihrer Familie getrennt, schlug sich Issa nach Kamerun durch. Die Achtjährige kehrte alleine nach Nigeria zurück und lebt seitdem in einem Lager für Vertriebene, wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR schreibt.

Das Mädchen Issa teilt ihr Flüchtlings-Schicksal mit Dutzenden Millionen anderen Menschen auf der Welt. Krieg, Gewalt und Unterdrückung zwangen sie, ihre Heimat zu verlassen. Nun hat die globale Vertriebenenkrise einen neuen tragischen Höhepunkt erreicht. Ende 2016 waren 65,6 Millionen Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht, es waren 300.000 mehr als Ende 2015, teilte das UNHCR am Montag in Genf mit. Niemals zuvor waren laut dem Hilfswerk so viele Menschen entwurzelt.

UN-Generalsekretär António Guterres appellierte an Regierungen und Völker, den Opfern weiter zu helfen. Der Schutz der Flüchtlinge sei eine „gemeinsame Verantwortung der Weltgemeinschaft“, betonte Guterres, der bis Ende 2015 als Hochkommissar das Hilfswerk UNHCR geleitet hatte. Der amtierende UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, forderte die Weltgemeinschaft dazu auf, sich stärker für die Vermeidung möglicher neuer Kriege und die Lösung bestehender Konflikte stark zu machen.

Nötig wäre das dringender denn je. Verheerende Kriege wie die 2011 ausgebrochenen bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien finden kein Ende und fast jedes Jahr kommen neue blutige Krisen hinzu, wie etwa in Burundi. Insgesamt hat sich die Zahl der Menschen auf der Flucht innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt. Im Jahr 2007 waren noch knapp 34 Millionen Männer, Frauen und Kinder betroffen. Die Menschheit, so stellt Hochkommissar Grandi resigniert fest, lebt in einer „Welt im Konflikt“.

Allein im letzten Jahr trieb die Gewalt mehr als zehn Millionen Menschen neu in die Flucht. Gleichzeitig kehrten Millionen ehedem geflohene Menschen in ihre Heimat zurück.

Nach wie vor nimmt Syrien in der Statistik des Schreckens den traurigen Spitzenplatz ein, insgesamt flohen zwölf Millionen Menschen vor Unterdrückung, Gemetzel und Terror. Syrien ist somit das Land, aus dem weltweit die meisten Menschen auf der Flucht stammen. Ein weiterer Brennpunkt der globalen Flüchtlingskrise findet sich in Afghanistan. Gefechte und Extremismus in dem Land am Hindukusch haben 4,7 Millionen Afghanen ihrer Heimat beraubt.

Auch im Irak gehören Terror, Kämpfe und Flucht zum Alltag. Rund 4,2 Millionen Iraker sind vertrieben. Vor dem Bürgerkrieg im Südsudan brachten sich dem UNHCR zufolge 3,3 Millionen Menschen in Sicherheit. Der Konflikt im Südsudan hat laut den UNHCR-Experten die am schnellsten eskalierende Flüchtlingskrise heraufbeschworen: Aus keinem anderen Land fliehen derzeit mehr Menschen.

Die Türkei beherbergte Ende 2016 laut UNHCR rund 2,9 Millionen Flüchtlinge und ist somit das größte Gastland für Vertriebene. Pakistan folgte auf Platz zwei mit 1,4 Millionen Flüchtlingen innerhalb seiner Grenzen. Im Libanon hielten sich Ende 2016 gut eine Million Flüchtlinge auf.

Nicht alle Menschen auf der Flucht gelten als Flüchtlinge im völkerrechtlichen Sinne. Flüchtlinge müssen wegen Gewalt und Verfolgung ihr Heimatland verlassen oder können nicht dorthin zurückkehren. Ende 2016 waren 22,5 Millionen Menschen von diesem Schicksal betroffen, zudem zählt das Hilfswerk 2,8 Millionen Asylbewerber. Und 40,3 Millionen Männer, Frauen und Kinder irrten Ende 2016 als Binnenflüchtlinge innerhalb ihres Heimatlandes umher.

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