Flüchtlinge „Es werden jegliche humanitäre Standards gebrochen“

Markus Koth, Koordinator für Südosteuropa der Diakonie Katastrophenhilfe in Athen, über die humanitär schwierige Situation der Flüchtlinge auf ihren Weg in die EU.

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„Seit Monate sitzen die Menschen hier fest und wissen nicht, ob sie weiterreisen dürfen oder nicht.“ Foto: Thomas Lohne/ Diakonie Katastrophenhilfe

Budapest/Belgrad Wie dicht ist die Balkanroute derzeit?
Offiziell ist die sogenannte Balkanroute geschlossen. Die Grenzen zwischen Serbien und Ungarn und Serbien und Kroatien sind mittlerweile nahezu komplett geschlossen und werden in Ungarn zudem stark gesichert und bewacht. Hier ist es für Flüchtlinge und Migranten kaum noch möglich, ihre Reise fortzusetzen.

Welche legalen Möglichkeiten gibt es für Flüchtlinge noch in die EU einzureisen?
Die einzige Möglichkeit, noch legal aus Serbien in die EU einzureisen ist, in Horgos und Röszke die Grenze zu übertreten. Dort dürfen täglich rund 30 Personen nach Ungarn einreisen. Allerdings sind die Auswahlkriterien nicht eindeutig und die von ungarischen Offiziellen durchgeführten Interviews sind laut Aussagen zum Beispiel vom Helsinki Komitee sehr oberflächlich. So werden Fälle von Folter, aber auch eine mögliche Schwangerschaft oftmals nicht festgestellt. Auch an der griechisch-mazedonischen Grenze gibt es an einigen Stellen Zäune und Sicherheitspersonal, das den illegalen Grenzübertritt verhindern soll. Allerdings treffe ich bei Besuchen in Serbien immer wieder Menschen, die mir berichten, dass sie aus Griechenland eingereist sind.

Kann die Balkanroute überhaupt komplett geschlossen werden?
Sicherlich kann die Bewegung von Flüchtlingen durch Zäune und Militär eingeschränkt werden. Gänzlich stoppen lässt sich dies jedoch sicherlich nicht. Die Menschen werden immer versuchen, ihr Ziel zu erreichen und sich dabei gegebenenfalls auch neue, gefährlichere Routen suchen. Daher ist es wichtig, legale Möglichkeiten zu schaffen, die es den Menschen erlauben, Asyl in der EU zu beantragen.

Welche Maßnahmen braucht es, um den Flüchtlingen, die sich im Rückstau befinden, zu helfen?
Wichtig ist in Anbetracht des nahenden Winters, ausreichende sichere und winterfeste Unterkünfte für die Flüchtlinge bereitzustellen. Hier gibt es immer noch einen großen Bedarf. Dies gilt besonders für den Norden Serbiens, wo noch immer einige hundert Menschen in informellen Camps an der Grenze zu Ungarn ausharren, um in das Land einzureisen. Ähnlich ist es auch auf den griechischen Inseln. Hier stehen offiziell 7500 Plätze für derzeit mehr als 13.000 Menschen zur Verfügung.

Wie groß ist die Unsicherheit unter den Flüchtlingen?
Seit Monate sitzen die Menschen hier fest und wissen nicht, ob sie weiterreisen dürfen oder nicht. Die Unsicherheit und die damit verbundenen existenziellen Ängste sind eine hohe psychische Belastung für oftmals bereits schwer traumatisierte Menschen, die zumeist aus Kriegsgebieten kommen und die gefährliche Reise über die Ägäis wagten, bei der es immer wieder zu tragischen Unglücken kommt. Die unklare Situation führt auch immer wieder zu Protesten.

Was kann getan werden?
Eine mögliche Entspannung der Situation würde sich ergeben, wenn internationale Absprachen eingehalten würden. Die Umverteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland wurde 2015 vereinbart. Es ist wichtig, dass die EU-Staaten ihrer Verantwortung nachkommen und Solidarität mit Griechenland zeigen – die Situation kann nur gemeinsam gelöst werden. Auch dem Anspruch auf Familienzusammenführung muss Recht verschafft werden. Dutzende Familien sind seit Monaten getrennt und Kinder wachsen in instabilen Verhältnissen auf.

Welche Hilfe leistet die Diakonie in Serbien, Mazedonien, Ungarn und Griechenland? Was sind die Pläne?
Die Diakonie Katastrophenhilfe leistet seit letztem Sommer mit lokalen Partnerorganisationen Hilfe für Flüchtlinge in Serbien, Ungarn und Griechenland. Die Hilfsmaßnahmen reichen von der Verteilung warmer Mahlzeiten, über die Verteilung von Hygieneartikeln bis zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung und Sanitäreinrichtung in den teils sehr provisorischen Camps. Wir sind zudem in sehr weit fortgeschrittenen Gesprächen, um in Katerini im Norden Griechenlands und in Athen Unterkünfte und Wohnungen für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen.

Wie sieht die humanitäre Situation an der serbisch-ungarischen Grenze aus? Wie verhält sich Ungarn auf Ihrer Sicht?
In Horgos werden jegliche humanitäre Standards gebrochen. Menschen leben zum Teil in selbst gebauten Hütten, die ihnen kaum Schutz vor Regen und Kälte bieten. Die hygienischen Verhältnisse sind schlecht und die Versorgung der Menschen mit medizinischem Service und Nahrungsmitteln oftmals nicht ausreichend. Die ungarische Regierung führt Menschen, die innerhalb von acht Kilometer von der serbischen Grenze aufgegriffen werden, zurück, ohne dass sie überhaupt Asyl in Ungarn beantragen dürfen. Dies verstößt gegen internationale Gesetzgebung. Abgeschobene Menschen berichten überdies den Helfern vor Ort oftmals über körperliche Übergriffe.
Wir danken für das Gespräch.

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