Flüchtlinge in Griechenland Die Geheimsprache der Schleuser

Die Krise in der Türkei wirkt sich auf die Flüchtlinge in Griechenland aus. Zehntausende sitzen dort fest. Ihre Notlage nutzen Schleuser aus. Sie hoffen auf einen lukrativen Spätsommer – und werden immer erfinderischer.

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Zehntausende Flüchtlinge sitzen in Griechenland fest – und wollen am liebsten Richtung Norden weiterreisen. Quelle: AP

Idomeni Die Türkei in der Krise, die europäischen Grenzen geschlossen: Schleuser in Nordgriechenland rechnen mit einem profitablen Spätsommer. Die Schmuggler setzen auf immer ausgefeiltere Methoden, um die Flüchtlinge aus Griechenland herauszubringen, wo sie teilweise seit Monaten ausharren. Damit steigen die Kosten. Aber weder die höheren Preise noch die immer geringeren Erfolgsaussichten können die Entschlossenheit der Menschen dämpfen.

Zu ihnen gehört Sorah Rahimi. Der 22-jährige Psychologie-Student ist mit seiner Mutter aus Afghanistan nach Griechenland gekommen. Sie benötigt medizinische Hilfe und damit sind beide ein ideales Ziel für die Schmugglerringe, die seit kurzem verstärkt in der Region operieren. Rahimi erklärte sich schließlich bereit, 2.500 Euro für den Weg von der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien nach Schweden zu bezahlen. Aber die Gruppe kam nur wenige Kilometer weit, bevor Polizisten sie aufgriffen und zurückschickten. „Wir müssen nach Schweden“, sagt Rahimi, bevor er in eine Flüchtlingsunterkunft gebracht wird. „Unsere ganze Familie ist dort. In Afghanistan haben wir nichts mehr.“

Wie er und seine Mutter halten sich noch Zehntausende Flüchtlinge in Griechenland auf, die auf dem Weg nach Nordeuropa waren und nun nicht weiterkommen. Seit März sind viele Grenzen geschlossen, weil die europäischen Regierungen eine Wiederholung der Masseneinwanderung von 2015 verhindern wollten. Damals trafen mehr als eine Million Flüchtlinge in Europa ein und sorgten damit auch für einen politischen Aufruhr.

Der Weg nach Norden wurde seitdem für die Flüchtlinge immer riskanter und dauert immer länger. Rahimi blieb drei Monate in der Hafenstadt Piräus, bevor er mit dem Zug nach Norden reiste. Der versuchte Putsch in der Türkei und die drakonischen Säuberungsaktionen der türkischen Regierung gegen vermeintliche Gegner haben die Ungewissheit noch weiter verschärft.

In Griechenland treten die Schlepper verstärkt auf den Plan, seit die Behörden Ende Mai das Flüchtlingscamp in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien räumen ließen. Erst kürzlich nahmen Beamte der Grenzpolizei 29 mutmaßliche Mitglieder von zwei Schmugglerringen in Nordgriechenland fest. Eine Gruppe hatte einen Polizisten bestochen, der sie über Lücken bei der nächtlichen Grenzsicherung informierte.

Die Polizei erklärt, die Schleuser hätten innerhalb von sieben Monaten rund 600 Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland geschmuggelt und ihnen geholfen, von dort in andere Länder weiterzureisen. Sie nutzten dafür Taxis, Aufklärungsfahrzeuge, Wegwerfhandys und eine Code-Sprache. Darin stehen „Hunde“ für die Polizei, „Müllwagen“ für Polizeifahrzeuge und „Zementblöcke“, „Fisch“ oder „Kebab“ für die Flüchtenden.


Opfer von Ausbeutung

„Mindestens sechs griechische Taxifahrer waren an dem Ring beteiligt, sie berechneten die Fahrten regulär und beteiligten sich wissentlich an den illegalen Handlungen“, sagte Giorgos Pantelakos von der Polizei. „Jeder Transfer wurde begleitet von Spähern auf Motorrädern, um eine Entdeckung zu verhindern.“

Allein in Griechenland harren noch mehr als 57.000 Flüchtlinge aus. Von ihnen leben 60 Prozent in Flüchtlingslagern der Regierung. Die europäische Polizeibehörde Europol analysierte Daten von Operationen gegen die Schleuser in den ersten sechs Monaten 2016. Sie fand heraus, dass die Schleuser heute für die Überquerung einer einzigen Grenze genauso viel verlangen wie im vergangenen Jahr noch für die gesamte Reise aus Syrien in die EU.

Die Flüchtlinge halten sich außerdem länger in Griechenland auf und werden damit leichter Opfer von Ausbeutung. „Im vergangenen Jahr waren die Reise manchmal nach zwei Wochen abgeschlossen, heute kann der Weg Monate dauern“, erklärt Europol. „Während 2015 noch 0,2 Prozent der Flüchtlinge sagten, sie müssten arbeiten, um die Schleuser zu bezahlen, ist dieser Wert 2016 auf fünf Prozent gestiegen.“

In Idomeni versuchen auch nach der Räumung des Flüchtlingslagers nach Schätzungen der Polizei immer noch etwa 50 bis 100 Menschen täglich, die Grenze zu überqueren. Meist vergeblich. Sie verstecken sich in Autos, Lieferwagen und Güterzügen. Andere versuchen ihr Glück zu Fuß und suchen nach Löchern im Stacheldraht entlang von Flussufern und Waldpfaden.

In Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt des Landes, etwa eine Autostunde südlich der Grenze zu Mazedonien, verhandeln die Schleuser mit den Flüchtlingen in Stadtparks. Sie können die Bedingungen diktieren, schließlich sind die meisten Flüchtlinge schon seit Monaten im Land und wollen weiterziehen.

Die Afghanin Fatima Davudi hat die Verhandlungen schon hinter sich, der Preis für sie, ihren Ehemann und die beiden Söhne im Alter von sechs und zehn Jahren steht fest. „Ich kann die Summe nicht nennen“, erklärt die 32-Jährige. „Wir wollen es nach Finnland schaffen und werden die volle Summe zahlen, wenn wir dort ankommen.“ Die Reise werde schwer werden. „Aber wenn man nicht glaubt, dass man es schaffen kann, dann schafft man es auch nicht.“

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