Flüchtlinge in Griechenland In Athen wächst die Panik

Die Kapazitäten für Flüchtlinge auf den griechischen Insel sind mehr als erschöpft. Nun sollen viele Menschen aufs Festland kommen. Entlastung ist nicht in Sicht – das Abkommen mit der Türkei funktioniert einfach nicht.

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Für 3500 Menschen sind die Flüchtlingslager auf Lesbos ausgelegt. Doch am Wochenende wird die Zahl wohl auf rund 6000 steigen. Quelle: AP

Athen Er ist der Bürgermeister der Insel, die nun Menschenrechts-Preise einheimst. Spyros Galinos, der Chef auf Lesbos, hat die Flüchtlingskrise eine Prüfung genannt, die das Beste aus ihren Bewohnern hervorgebracht habe. Jetzt aber schlägt der parteilose Bürgermeister Alarm. „Äußerst gefährlich“ seien die Bedingungen auf Lesbos geworden, so schrieb er diese Woche der Regierung in Athen. Gewalttätige Unruhen im völlig überfüllten Flüchtlingslager und die Ankunft von täglich neuen Flüchtlingen machen die Lage auf der Insel unhaltbar.

Für ihre Hilfsbereitschaft gegenüber den Hunderttausenden von Flüchtlingen, die auf der Insel im vergangenen Jahr anlandeten, sind die Bewohner von Lesbos für den Friedensnobelpreis nominiert worden. Eva Latsoudi, eine Psychologin und Aktivistin, die auf Lesbos lebt, wurde diese Woche bereits mit dem Nansen-Preis der Uno-Flüchtlingsbehörde ausgezeichnet, zusammen mit den freiwilligen Helfern vom griechischen Seerettungsteam HRT.

Doch das Blatt auf der größten Flüchtlingsinsel in der Ägäis hat sich gewendet. Der Weg nach Athen und weiter nach Europa ist geschlossen, seit das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU gilt. An die 6000 Menschen werden an diesem Wochenende wohl im Sammellager Moria und auf einem zweiten Areal zusammengepfercht sein. Für 3500 Schutzsuchende sind die Lager auf Lesbos eigentlich ausgelegt.

Als am vergangenen Wochenende in Moria wieder Schlägereien zwischen Afghanen und Syrern ausbrachen und 40 Männer in dem Durcheinander entkamen, musste die griechische Polizei die flüchtigen Flüchtlinge wieder einfangen. Sie hatten sich in den Olivenhainen rund um das Lager und in der Hauptstadt Mytilini verborgen.

„Wir beobachten die Zahlen, wir sind wachsam, aber nicht panisch“, so versucht Athanassis Koutsis vom Krisenstab der Regierung in Athen zu beruhigen. Panik herrscht aber sehr wohl, seit der deutsche Innenminister Thomas de Maizière die Rücksendung von Flüchtlingen nach Griechenland ab nächstem Jahr gemäß den Regeln des Dublin-Abkommens in Aussicht stellte. In Athen werden Montag bis Freitag täglich die neuen Zahlen aus den Lagern veröffentlicht.

100 bis 200 Flüchtlinge landen mittlerweile wieder jeden Morgen auf den griechischen Inseln vor der türkischen Küste. Es ist der übliche Schnitt seit dem Putsch in der Türkei und der politischen Instabilität, die den Schleppern wieder Mut macht oder aber die türkische Küstenwache nachlässiger. Knapp 13.000 Flüchtlinge sitzen nun auf den Inseln von Lesbos im Norden bis Rhodos im Süden fest – Platz wäre offiziell für 7450.


Abkommen mit der Türkei funktioniert nicht

Das Problem: Das Rücknahmeabkommen mit der Türkei funktioniert nicht. Anders als es Politiker und Regierungen in der EU dachten, ziehen sich die Asylverfahren in den Lagern hin. Je nach Insel, wird bisher nur ein Sechstel bis ein Viertel der Asylanträge bearbeitet. Personal fehle nach wie vor, wie Jean-Pierre Schrembi von der EU-Asylbehörde EASO feststellt. Wird ein Antrag abgelehnt, folgt in aller Regel das Berufungsverfahren. Nicht einmal 500 Flüchtlinge sind seit Inkrafttreten des Abkommens zur türkischen Küste zurückgebracht worden, und keiner aufgrund eines abgelehnten Asylantrags.

Die linksgeführte Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras versucht die Lage zu entspannen, will einen Teil der Flüchtlinge von den Inseln nun doch aufs Festland bringen, öffnet hier ein paar neue Camps, schließt dort ein paar andere, besonders die schlecht ausgestatteten. In allen Umfragen liegt die Links-Rechts-Koalition nun hinter der früheren konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia. Inkompetenz und Naivität wirft die Opposition Tsipras auch in der Flüchtlingsfrage vor.

900 Millionen Euro hat Griechenland nach EU-Angaben bisher als Hilfe zur Bewältigung der Krise erhalten; rund 50 Lager sind damit auf dem Festland gebaut worden. Knapp 60.000 Flüchtlinge müssen jeden Tag versorgt werden. Seit Februar steckt das Gros auf dem Festland fest. Die Balkanstaaten und Österreich hatten damals ihre Grenzen geschlossen. Lange passierte erst einmal nichts. Im Juni dann begann die griechische Asylbehörde zumindest mit der „Vorregistrierung“ von Anträgen. UNHCR und EASO halfen dabei.

„Migranten und Flüchtlinge haben Bedürfnisse, die nur durch Wirtschaftswachstum erfüllt werden können“, erklärte Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias, ein marxistisch orientierter Politikprofessor, als er am vergangenen Donnerstag eine Konferenz mit Amtskollegen aus arabischen und südeuropäischen Ländern auf Rhodos eröffnete. Die Anrainerstaaten des Mittelmeers müssten endlich zu handelnden Subjekten in der Flüchtlingskrise werden und nicht „Objekte“ bleiben.

Kristina Nikolaidou, Sprecherin des Athener Büros der Internationalen Organisation für Migration (IOM), sieht durchaus schon diese Handlungsfähigkeit. Mehr als 4000 Flüchtlinge seien seit Jahresbeginn auf freiwilliger Basis aus Griechenland in ihre Heimatländer zurückgekehrt, so sagt sie. Auch die Verteilung syrischer Kriegsflüchtlinge auf die anderen EU-Staaten laufe seit dem Mai „sehr viel besser“. Knapp 3700 Syrer wurden aus Griechenland ausgeflogen. 60.000 bis September dieses Jahres hatten die Staats-und Regierungschefs der EU 2015 eigentlich vereinbart.

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