Flüchtlinge sollen draußen bleiben Österreich baut an der Alpenfestung

Mit der Abschottung der Grenzen wie am Brenner und einer dramatischen Verschärfung des Asylrechts will Österreich Flüchtlinge abwehren. Rechtsstaatliche Prinzipien werden über Bord geworfen, kritisiert die Opposition.

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Aus Angst vor Stimmenverlusten schwenkt die Große Koalition in Wien immer weiter nach rechts. Quelle: dpa

Wien Der Brenner wird wieder zu einer Hürde. Österreich soll zur Festung werden, um Flüchtlinge bereits an den Grenzen abzuwehren. Die Alpenrepublik bereitet sich auf eine Abriegelung des Brenners vor. Nach Angaben des Tiroler Landespolizeidirektor Helmut Tomac wollen die Grenzschützer auf den Feiertagsverkehr an Pfingsten keine Rücksicht nehmen. Bei Bedarf wollen die Österreicher nicht nur die Autobahn, die wichtigste EU-Verbindungen über die Alpen, kontrollieren, sondern auch die mautfreie Staatsstraße und den Eisenbahnverkehr.

Wann die Abriegelung des Brenners beginne, ließ Tomac offen. Teil der Grenzsperre ist ein 370 Meter langer Grenzzaun, der zurzeit errichtet wird. Nach Schätzungen der Tiroler Polizei sollen 400 bis 500 Flüchtlinge den Brenner erreichen, wenn sich die Migranten auf neue Routen über Italien begeben sollten.

In Italien ruft die angekündigte Grenzsperrung am Brenner Empörung hervor. Denn durch Anzahl von Migranten, die Italien über das Mittelmeer erreichen, ließe sich das nicht rechtfertigen, so Italiens Premier Matteo Renzi. Sie seien nicht höher als in den beiden vorausgegangenen Jahren. „Das alles bestätigt, dass die Hypothese, den Brenner zu schließen, ein dreister Verstoß gegen die europäischen Regeln, gegen die Geschichte, gegen die Logik und gegen die Zukunft ist“, sagte Renzi. Der Chef der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Gianni Pittella, sagte dem „Tagesspiegel“: „Solche Kontrollen führen zu neuen Spannungen in Europa.“ Erst am vergangenen Sonntag protestierten rund 250 Menschen gegen die Grenzkontrollen am Brenner. Es kam zu Zwischenfällen. Die österreichische Polizei setzte Schlagstöcke ein.

Das Alpenland rüstet unbeeindruckt von der internationalen Kritik gegen Flüchtlinge weiter auf. Mit einer Milliardenspritze für das Heer und die Polizei will die rot-schwarze Koalition Österreich noch sicherer machen – ungeachtet des beschlossenen Bundesfinanzrahmens. Insgesamt sollen 1,825 Milliarden Euro in die Sicherheitskräfte fließen, teilte die österreichische Regierung am Mittwoch mit. Für die Hilfe durch die Arbeitsämter und soziale Leistungen für eine bessere Integration stellt die Bundesregierung weitere 1,3 Milliarden Euro bereit. „Jetzt ist die Katze aus dem Sack: Die Regierung rechnet nur für heuer mit zwei Milliarden Euro Kosten durch die neue Völkerwanderung“, polterte Herbert Kickl, Generalsekretär der rechtspopulistischen FPÖ am Mittwoch im österreichischen Parlament.

Die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung in Wien sind längst Ausdruck der Panik der sozialdemokratischen SPÖ und der konservativen ÖVP. Österreich soll zur Alpenfestung werden, um der Großen Koalition das politische Überleben zu sichern. Doch der Plan von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und seines Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wird vermutlich nicht aufgehen.

Denn Grenzkontrollen oder Grenzzäune schaffen noch keine neuen Wähler. Im Gegenteil, der Rechtsschwenk der beiden Volksparteien nützt vor allem der rechtspopulistische FPÖ. Sie ist schließlich das Original für Islamphobie und Fremdenfeindlichkeit. Das hat der von den österreichischen Demoskopen unerwartete Triumph ihres FPÖ-Chefideologen Norbert Hofer bei der ersten Runde der Wahlen zum Bundespräsident am vergangenen Sonntag vorgeführt.


Österreich verschärft das Asylrecht drastisch

Die umstrittene Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hat am Mittwoch ihr Amt abgegeben. Ihr Nachfolger ist ein eher unbekannter Parteikollege, der gelernte Musiklehrer Wolfgang Sobotka (ÖVP). Der 60-Jährige hat bislang keine Erfahrung mit der Bundespolitik.

Mickl-Leitner rettet sich in die niederösterreichische Landespolitik. Sie will in dem Bundesland Ministerpräsidentin werden. So viel Glück werden der österreichische Kanzler und sein Vize nicht haben. Selbst in den eigenen Reihen glauben immer weniger daran, dass dieses Tandem noch bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2018 durchhält. Wiens Bürgermeister Michael Häupl, ein Schwergewicht der österreichischen Sozialdemokraten, prognostiziert Neuwahlen bereits im nächsten Jahr. Häupl gilt als ein scharfer Kritiker des farblosen Kanzlers Faymann.

Der Wahlerfolg der FPÖ bei der Präsidentenwahl vom Sonntag hat die Regierungsparteien in einen Schockzustand versetzt. „Wir haben verstanden.“, sagte Vizekanzler Mitterlehner mit eiserner Miene. Sollte der nationalistische FPÖ-Politiker Hofer bei der Stichwahl am 22. Mai tatsächlich zum Staatsoberhaupt gewählt werden, wird das Regieren für die politisch labilen Koalitionäre noch unbequemer. Hofer hat bereits angekündigt, dass er bei seiner Wahl als Bundespräsident die von ihm verachtete rot-schwarze Regierung bei EU-Gipfeln begleiten will. Eine Provokation. Denn weder in Brüssel noch in der österreichische Verfassung ist vorgesehen, dass sich ein Bundespräsident in das operative Regierungsgeschäft einmischt.

SPÖ und ÖVP haben nicht nur sich selbst seit den letzten Parlamentswahlen als Volksparteien, sondern das ganze Land in eine Identitätskrise gesteuert. Mit ihrer populistischen Flüchtlings- und Asylpolitik haben sie zur Freude der FPÖ das Alpenland näher an Ungarn von Viktor Orbán gerückt, statt mit Deutschland tragfähige Lösungen zu suchen.

Dazu gehört auch die von SPÖ und ÖVP beschlossene Verschärfung des Asylrechts. „Schutzsuchenden wird das Recht genommen, einen Asylantrag in Österreich zu stellen, der dann auch bearbeitet wird. Rechtsstaatliche Prinzipien über Bord zu werfen, um Flüchtlingen das grundsätzlich uneingeschränkte Recht auf Schutz zu nehmen, ist schlichtweg inakzeptabel“, kritisierte Niki Scherak von der liberalen Oppositionspartei Neos. „Wenn wir jetzt beginnen diese Rechte nach und nach abzuschaffen, dann werden die Grundfreiheiten, all die Grundrechte die wir als Bürgerinnen und Bürger erstritten und erkämpft haben, der Rechtsstaat und unsere Verfassung eines Tages nichts mehr wert sein. Das dürfen wir nicht zulassen“, warnte der Menschenrechtsexperte seiner Partei vergeblich. Denn die Verschärfung passierte am Mittwochnachmittag problemlos das Parlament in Wien.

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