Flüchtlingsfragen und Demokratieaufbau Schwieriger Besuch von tunesischem Regierungschef

Deutschland unterstützt Tunesien seit der Revolution 2011. Aber die Beziehungen sind angespannt: Deutschland fordert mehr Engagement in Flüchtlingsfragen. Tunesiens Regierungschef aber hat eigene Probleme.

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Tunesiens Premierminister Youssef Chahed Quelle: dpa

Noch bevor Tunesiens Ministerpräsident Youssef Chahed mit militärischen Ehren im Bundeskanzleramt begrüßt wird, kommen beide Seiten kaum hinterher, die hervorragenden deutsch-tunesischen Beziehungen zu loben. Probleme, wie die schleppende Rücknahme abgelehnter Asylbewerber, klingen eher in Nebensätzen durch. Deutschland will ein Scheitern der einzig funktionierenden Demokratie nach dem „Arabischen Frühling“ verhindern. Und Tunesien braucht genau dafür die Hilfe Deutschlands und Europas.

„Deutschland spielt eine große Rolle in der Entwicklung Tunesiens seit der Revolution“, sagt Hatem Ben Salem, Direktor des Tunesischen Instituts für Strategische Studien (ITES). Allein in der Entwicklungszusammenarbeit stellte die Bundesrepublik im vergangenen Jahr nach Ministeriumsangaben 290,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Hinzu kommt eine intensive Sicherheitszusammenarbeit: Deutsche Polizisten helfen bei der Ausbildung tunesischer Sicherheitskräfte. Denn Tunesien ist ins Ziel von Islamisten geraten: Bei Anschlägen auf das berühmte Bardo-Museum in Tunis und auf einen Hotelstrand bei Sousse starben insgesamt mehr als 50 Touristen.

Tunesien soll stabilisiert werden und bei der Verhinderung von Migration in Richtung Europa helfen. Einerseits fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von Tunesien die zügigere Rücknahme abgelehnter Asylbewerber, andererseits soll das Land auch eine gewisse Rolle bei der Rückführung von illegalen Migranten in spezielle Auffanglager in Nordafrika spielen. Dem hatte Tunesiens Ministerpräsident Youssef Chahed aber schon im Vorfeld eine deutliche Abfuhr erteilt und betont, dass es solche Lager in Tunesien nicht geben werde.

Dennoch sieht Instituts-Direktor Hatem Ben Salem keinen Druck auf dem Ministerpräsidenten lasten. „Tunesien wird sich nicht ausverkaufen lassen“, betont er. „Die Freiheit des Landes steht auf dem Spiel und das ist eine soziale Frage.“ Überhaupt müsse die Reise genutzt werden, um die Qualität der Beziehungen noch weiter zu verbessern.

von Karin Finkenzeller, Hans Jakob Ginsburg

„In den deutsch-tunesischen Beziehungen fehlt die Vision“, sagt er. Es gebe zahlreiche Projekte und es werde immer versucht, Lösungen für einzelne Probleme zu finden. Dabei würden die Probleme aber nicht strukturell angegangen.

Und Probleme hat das kleine nordafrikanische Land genug. Die Sicherheitslage ist derzeit zwar stabil, aber fast täglich meldet das Innenministerium die Festnahme von Terroristen. Gerade erst warf Amnesty International den Behörden Menschenrechtsverletzungen vor und sieht die junge Demokratie durch Polizeibrutalität gefährdet. Die wirtschaftliche Situation ist angespannt: Vor allem junge Akademiker finden kaum Arbeit, im wöchentlichen Wechsel ruft eine andere Branche zum Streik auf.

Angesichts der zahllosen Konflikte in Nordafrika und der arabischen Welt will Deutschland Tunesien aber nicht im Stich lassen. Das Land gilt als „Hoffnungsprojekt“, wie Kanzlerin Merkel es ausdrückte. Dazu passt auch Ministerpräsident Youssef Chahed. Unter den drei tunesischen Regierungschefs, die Merkel in den vergangenen drei Jahren in Berlin empfangen hat, ist der der der mit Abstand jüngste Politiker.

Der 41-Jährige steht erst seit August letzten Jahres an der Spitze der tunesischen Regierung. Er ist Agrarökonom und arbeitete mehrere Jahre als Professor in Frankreich. Der Staatspräsident schlug ihn vor, damit er eine Regierung der nationalen Einheit bilden sollte, die auch von den Gewerkschaften gestützt wird. In Tunesien geht es vor allem darum, jeden Missklang zu vermeiden.

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