Flüchtlingskrise Athen erwägt Rücknahme der Migranten aus Mazedonien

Die Lage für die Flüchtlinge in Nordgriechenland spitzt sich zu. Mit ausgelöst ist der Massen-Exodus laut Behörden durch ein ominöses Flugblatt. Athen würde die Flüchtlinge zurücknehmen – unter gewissen Bedingungen.

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Die Flüchtlingen wagen den Weg durch einen reißenden Fluss, um Mazedonien zu erreichen. Quelle: AP

Chamilo, Athen Nach dem Exodus Hunderter Migranten aus Griechenland nach Mazedonien will Athen über eine Rücknahme dieser Flüchtlinge nachdenken. Noch hätten die mazedonischen Behörden keinen entsprechenden Antrag gestellt. „Wenn sie ihn stellen, werden wir es uns überlegen und entscheiden“, sagte der Sprecher des griechischen Flüchtlings-Krisenstabes, Giorgos Kyritsis, am Dienstag im Nachrichtensender Skai in Athen.

Am Vortag war es nach Schätzungen mazedonischer Medien bis zu 2000 Migranten aus dem griechischen Elendslager Idomeni gelungen, den mazedonischen Grenzzaun über Umwege zu umgehen und illegal in das Nachbarland einzureisen. Die meisten Flüchtlinge wurden nach Medienberichten in Mazedonien festgenommen.

Ausgelöst worden ist der Exodus Hunderter Migranten nach Ansicht der Regierung in Athen durch die Verteilung eines Flugblatts in arabischer Sprache. Darin wurde den Migranten, die seit Wochen im Camp von Idomeni ausharren, gezeigt, wie sie den mazedonischen Zaun umgehen können.

Zudem wurden mit diesen Flyern falsche Informationen über die Absichten Athens verbreitet, hieß es vom griechischen Krisenstab für die Flüchtlingskrise am frühen Dienstagmorgen in Athen. Wer dahinter steckt, sagte Athen nicht. Der Text der Flugblätter laut einer in der griechischen Presse veröffentlichten Übersetzung aus dem Arabischen:

Angesichts der dramatischen Lage hatten sich immer mehr Menschen lebensgefährliche Schleichwege nach Mazedonien begeben. Vom Flüchtlingslager Idomeni aus brachen am Montag Hunderte auf und durchquerten einen reißenden Fluss, während auf der anderen Seite schon die griechische Bereitschaftspolizei aufzog. Alle Flüchtlinge, die unerlaubt nach Mazedonien kamen, wurden anschließend von der Armee gestoppt.

Drei afghanische Flüchtlinge gelangten andernorts zwar illegal nach Mazedonien, ertranken dort aber in einem Hochwasser führenden Fluss. Über die Ägäis strömen derweil weiter verzweifelte Menschen nach, weitere Todesopfer sind zu befürchten.

Nach einem acht Kilometer langen Marsch kämpften sich einige hundert Flüchtlinge aus Idomeni nahe der Ortschaft Chamilo auf griechischer Seite durch einen Fluss, dessen anderes Ufer noch etwa 500 Meter von der mazedonischen Grenze entfernt ist, wie ein dpa-Reporter berichtete. Reuters berichtet von rund 2000 Migranten, die die Grenze zu Mazedonien überquert haben sollen. An dieser Stelle gab es dem Anschein nach keinen Grenzzaun mehr, der die Menschen auf dem Weg in Richtung Deutschland aufhält. Die Flüchtlinge stammen vorwiegend aus Syrien, dem Irak und Afghanistan.

Bei der Querung des Flusses halfen junge Männer schwächeren Flüchtlingen wie Frauen und Kindern durch die Strömung. Später zogen griechische Bereitschaftspolizisten auf und teilten den Menschen mit, ihr Vorhaben sei sinnlos: Auf mazedonischer Seite würden die Flüchtlinge bereits erwartet und von den dortigen Behörden wieder zurück über die Grenze nach Griechenland gebracht. Die Bereitschaftspolizisten versuchten zwar, die Gruppe aufzuhalten, ließen sie dann aber passieren, ohne Gewalt anzuwenden.


10.000 harren noch dort aus

In dem improvisierten Lager Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze ist die Lage dramatisch. Nach neuem Dauerregen ist das Camp völlig verschlammt. Zahlreiche Menschen, darunter viele Kinder, leiden unter Atemwegserkrankungen.

Die Behörden riefen die Migranten abermals auf, das Camp zu verlassen und in andere organisierte Lager im Landesinneren zu gehen. Bislang sollen nach Schätzungen griechischer Medien über tausend Menschen Idomeni verlassen haben. Mehr als 10.000 Migranten harren dort weiter aus, um doch noch nach Österreich und vor allem nach Deutschland weiterreisen zu können.

Drei afghanische Flüchtlinge ertranken in Mazedonien beim Versuch, nahe der Stadt Gevgelija einen Hochwasser führenden Fluss zu queren. 23 gerettete Flüchtlinge seien im Aufnahmelager Vinojug medizinisch versorgt worden, berichteten Medien unter Berufung auf die Polizei.

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) fordert die Flüchtlinge im Lager Idomeni derweil auf, in Griechenland zu bleiben. „Wer es gut mit den Menschen im Camp meint, sollte sie darin bestärken, die bereitgestellten warmen, festen Quartiere in Griechenland anzunehmen und sich versorgen zu lassen“, sagte die Ministerin.

Verantwortlich für die dramatischen Szenen der versuchten Flucht Hunderter von Menschen aus Idomeni über die Grenze nach Mazedonien seien „jene, die bei ihnen falsche Erwartungen wecken“. Vereinzelt werde immer noch signalisiert, man könne sich auf eigene Faust auf den Weg in sein „Wunschzielland“ machen. „Das ist verantwortungslos und aufs Schärfste zu verurteilen.“

Ausdrücklich dankte sie der mazedonischen Regierung. „Mazedonien hat bisher mehr zur Stabilität Europas beigetragen als so manches EU-Mitgliedsland.“

Indes kenterte vor der griechischen Insel Kos bei starkem Wind ein Flüchtlingsboot aus der Türkei, von dessen 13 Insassen die Küstenwache zunächst nur fünf retten konnte. Acht Menschen wurden vermisst. Der Zustrom über die Ägäis ist weiter enorm: Allein am Wochenende setzten nach vorläufigen Behördenangaben fast 4000 Migranten von der Türkei nach Griechenland über. Insgesamt sollen sich fast 50 000 Migranten im Land befinden.


EU will alternative Flüchtlingsrouten nach Europa verhindern

Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen nach der Schließung der Balkanroute offenbar alternative Wege von illegal einreisenden Migranten nach Europa verhindern. Das geht aus einem auf Montag datierten Entwurf für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels hervor, der am Donnerstag und Freitag stattfinden wird. Man müsse „extrem wachsam“ wegen neuer Routen sein, hieß es darin. Die EU sei entschlossen, alle Maßnahmen zu ergreifen, die nötig werden könnten.

Neben der Mittelmeer-Route von Libyen nach Süditalien rückt für die EU auch die bulgarische Grenze stärker in den Fokus, nachdem die Westbalkan-Staaten und Österreich ihre Einreisebestimmungen deutlich verschärft hatten.

Beim geplanten EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei Brüssel wird nach teils harscher Kritik aus den Mitgliedstaaten nachgebessert. Mehrere Punkte würden bis zum Gipfeltreffen geändert oder präzisiert, hieß es aus zuverlässiger Quelle in Brüssel. Dabei gehe es etwa um die geplante Umsiedelung von syrischen Flüchtlingen aus der Türkei in die EU.

Angesichts der dramatischen Lage fordert Österreichs Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr Klarheit in der Flüchtlingspolitik. „Jeder muss wissen: Es ist eine falsche Hoffnung, auf das Durchwinken nach Deutschland zu setzen“, sagte Kanzler Werner Faymann (SPÖ) der „Welt“ (Dienstag). Merkel müsse deutlich machen, dass Deutschland nicht bereit sei, unbeschränkt Menschen aufzunehmen, und dass sich kein Flüchtling sein Zielland aussuchen könne. Die Flüchtlinge müssten einsehen, dass eine ungeordnete und chaotische Reise quer durch Europa nicht zum Ziel führe.

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz verteidigte den Plan seiner Regierung, künftig auch 13 Grenzübergänge an der Südgrenze des Landes strenger zu kontrollieren – darunter der besonders frequentierte Brenner. Lange Staus in der Urlaubszeit und ähnliche Unannehmlichkeiten will die österreichische Regierung in Kauf nehmen, um die unkontrollierte Einreise von Flüchtlingen zu stoppen.

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