Flüchtlingskrise Sehr geehrter Ministerpräsident, lieber Horst...

Erst hat CSU-Chef Horst Seehofer der Kanzlerin wegen ihres Flüchtlingskurses per Brief mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht. Doch das ließ Merkel kalt, sie antwortete ihm einfach nicht – bis jetzt.

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Hart aber herzlich: CSU-Chef Horst Seehofer und CDU-Chefin Angela Merkel. Quelle: Reuters

München Erst zappeln lassen, dann die Abfuhr. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat CSU-Chef Horst Seehofer monatelang auf die Beantwortung seiner Klagedrohungen gegen die Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen warten lassen. Nun hat Merkel das geantwortet, was zu erwarten war. „Sehr geehrter Ministerpräsident, lieber Horst“, schreibt sie. Und lässt Seehofer wissen, dass sie seine Kritik für unbegründet hält.

Weder hat der Bund aus Merkels Sicht seine Pflichten zum Schutz der deutschen Grenze missachtet, noch will die Bundesregierung keine Schritte zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen unternommen haben. Über den Inhalt des Briefs berichtete zuerst die „Süddeutsche Zeitung“ (Dienstag).

Exakt drei Monate nahm Merkel sich Zeit, um Seehofers Drohbrief zu beantworten. Am 26. Januar hatte Seehofer „unverzügliches Handeln“ gefordert. Sollten die notwendigen Maßnahmen nicht ergriffen werden, „behält sich Bayern eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ausdrücklich vor“.

Damit gemeint war, dass die Bundesregierung schnellstmöglich die deutsche Grenze zu Österreich kontrollieren und aus sicheren Nachbarländern einreisende Migranten zurückschicken sollte. Das hätte faktisch die Sperrung der deutschen Grenze für Flüchtlinge bedeutet.

„Der Bund ist verpflichtet, einen wirksamen Schutz der Grenzen sicherzustellen“, hieß es in Seehofers Brief. Die unkontrollierte Einreise von Flüchtlingen sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Im Klartext bedeutet das: Die Bundesregierung und ihre Kanzlerin brechen die Verfassung, wenn sie Flüchtlinge ungehindert einreisen lassen. Diese Rechtsmeinung stammt vom ehemaligen Verfassungsrichter Udo di Fabio, der das bayerische Rechtsgutachten im Auftrag der Staatsregierung verfasste.


Kühle Antwort

Dass Merkel einen derart gravierenden Vorwurf nicht reumütig hinnehmen könnte und würde, war von vornherein klar. Die Antwort aus Berlin fällt dementsprechend kühl aus: „Im Ergebnis sieht die Bundesregierung weder Raum für den Vorwurf, der Bund habe im Zusammenhang mit seiner Flüchtlingspolitik rechtliche Bindungen nach dem Unionsrecht oder nach nationalem Recht missachtet, noch für den Vorwurf, der Bund habe keine Schritte zur Reduzierung der Zahl der nach Deutschland kommenden Asylsuchenden unternommen“, heißt es in Merkels Schreiben.

Die Frage ist: Was nun? Ende Januar hatte Seehofer es so dargestellt, als bliebe der Staatsregierung für den Fall eines Neins der Kanzlerin zu den bayerischen Forderungen keine Wahl als der Gang vors Verfassungsgericht - Verfassungsbruch ist schließlich Verfassungsbruch. „Das liegt gar nicht im Ermessen des Freistaates Bayern“, sagte Seehofer damals.

Inzwischen ist zumindest klar, dass es sich sehr wohl um eine Ermessensfrage handelt. Und das Ermessen hängt von der Entwicklung der Flüchtlingszahlen ab. „Wir werden nicht aufgrund des Briefes eine Klage einreichen, sondern aufgrund einer Situation“, formuliert Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU).

Die aktuelle Situation: stark zurückgegangene Flüchtlingszahlen. In den ersten drei Aprilwochen kamen noch 4200 Menschen nach Bayern – so viele und noch mehr waren es auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise Tag für Tag. Sollte es dabei bleiben, wird es auch keine bayerische Klage geben.

Doch was geschieht, wenn die Flüchtlingszahlen wieder stark steigen? „Wir behalten uns die Einreichung dieser Klage vor“, sagt Huber. Geht es nach Merkel, wird es keine zweite große Flüchtlingswelle geben – weil die EU die Flüchtlinge an den Außengrenzen aufhalten soll, lange bevor sie die deutsche Grenze erreichen. Insofern ist eine bayerische Klage gegen Merkels Politik nach jetzigem Stand unwahrscheinlicher denn je.

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