Frankreich ein Jahr vor der Wahl Guter Wahlkämpfer, schlechter Präsident

Schlechte Umfrageergebnisse, hohe Arbeitslosigkeit, Erstarken der Rechten: Bei einem ersten „Bürgerdialog“ stellt sich Frankreichs Präsident Francois Hollande kritischen Fragen – und macht eine erstaunlich gute Figur.

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Auf der Straße schauen die Franzosen ihrem Präsidenten zu. Quelle: AFP

Paris Kann ein Staatspräsident, der noch mehr als ein Jahr im Amt vor sich hat, bereits um sein Comeback kämpfen? So paradox es erscheint, Francois Hollande hat genau das am Donnerstag versucht: aus dem politischen Abseits, vielleicht sogar dem vorzeitigen Aus zurückzukehren in die Mitte der Macht.

Und man muss sagen: Seine Leistung während der knapp zweistündigen Debatte mit zwei Journalisten und vier Bürgern nötigt Respekt ab. „Bürgerdialog“ nennt sich die Sendung. Vielleicht hat Hollande das von Angela Merkel abgeschaut.

In der Sendung wurde dem Präsidenten nichts geschenkt, stellenweise erinnerten die Fragen vor allem der Journalisten eher an ein Verhör als an ein Gespräch. Doch an keinem Punkt wirkte Hollande angeschlagen oder verunsichert. Sicher, es gab weder eine Ankündigung neuer Projekte noch erlebte man einen neuen Hollande. Doch statt eines Präsidenten, der live auf die politische Guillotine geführt wird, wie es seine Gegner wohl erwartet hatten, erlebte man einen streitlustigen und extrem gut vorbereiteten, sicher auftretenden Hollande.

Woher nimmt dieser Mann seine Kraft? Nur noch ein Fünftel der Franzosen steht hinter ihm, seine groß angekündigte Verfassungsreform ist mit Pauken und Trompeten gescheitert. Doch als David Pujadas vom Sender „France 2“ ihn fragt, ob und was er bedauere an dem, was falsch gelaufen sei während seiner Präsidentschaft, antwortet Hollande angriffslustig: „Erwarten Sie ein Mea Culpa? Wie würde das wohl wirken?“

Dann legt er zur Verblüffung der Journalisten los mit einer ganzen Liste von Erfolgen: Es gebe mehr Wachstum, mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Kaufkraft, die Finanzen seien saniert und die Steuern niedriger als 2012, als er an die Macht kam.

Lea Salamé, die zweite Journalistin, die Hollande an einem eigenwilligen Arrangement von drei abgerundeten Tischen gegenübersitzt, platzt los: Obwohl die Franzosen sich von ihm abwendeten, denke er also, dem Land gehe es gut? „Madame Salamé, ich habe gesagt, dem Land geht es besser, nicht gut, das ist ein Unterschied“, korrigiert Hollande sie verbindlich im Ton, aber in der Sache schneidend.

Den Journalisten scheint daraufhin die Munition auszugehen. Schneller als gedacht holt Pujadas die ultimative Waffe heraus: „Die Arbeitslosigkeit, Herr Präsident, es sind 700.000 Menschen mehr als zu Beginn Ihrer Amtszeit arbeitslos, sind Sie damit nicht gescheitert?“ Hollande kann dem in der Sache nichts entgegensetzen, das ist der entscheidende Schwachpunkt seiner Präsidentschaft. Also versucht er, den Schuss an sich vorbeigehen zu lassen: „Ich habe nie die Rechte der Arbeitslosen eingeschränkt, im Gegenteil, wir haben ihre Rechte ausgeweitet und verbessert.“

Das beantwortet allerdings nicht die Frage. Nächster Versuch, wieder von der manchmal aggressiv wirkenden Salamé: „25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, das ist viel mehr als im Durchschnitt der EU.“ Hollande versucht es mit einer glatten Lüge: "Nein, wir haben etwas weniger.“

Daraufhin werden ihm die Fakten entgegengehalten: Es sind fünf Prozentpunkte mehr als im EU-Mittel. Sofort schwenkt der Präsident um, spult eine ganze Litanei ab von Maßnahmen, die er ergriffen habe, von besserer Studienförderung bis zu einer "Jugend-Garantie", die jedem Jugendlichen eine Beschäftigung oder eine Ausbildung zusichert.


Kopf und Herz: Hollandes Antworten auf Bürgerfragen

Der Mann ist nicht zu stellen. Kann er die Franzosen überzeugen mit diesem Auftritt, hat er sie überzeugt von seinen Qualitäten? Wahrscheinlich nicht. Der Makel der steigenden Arbeitslosigkeit bleibt. Aber ihn loszuwerden war wohl auch nicht sein Ziel an diesem Abend.

Für Hollande geht es um Grundlegenderes: Er muss erst einmal überhaupt wieder ins Spiel kommen. Nach der gescheiterten Verfassungsreform und angesichts eines neuen Arbeitsgesetzes, dessen reformerischen Impuls er unter dem Eindruck von Protesten Stück um Stück zurücknimmt, stand und steht Hollande knapp vor der politischen Paralyse, mehr „dead duck“ als „lame duck“.

In den Bibliotheken der politischen Kommunikation wird das Video dieses Abends vielleicht mal als Schulbeispiel für besondere Leistungen markiert werden. So punktet Hollande etwa in der Debatte mit einer jungen Unternehmerin, die sich darüber beschwert, sie könne keine auf 20 Stunden befristeten Verträge vergeben und nicht so viele Praktikanten einstellen, wie sie wolle.

Der Präsident weist ihr mit frappierendem Detailwissen nach, dass sie sehr wohl in ihrer Branche Verträge über 20 Stunden abschließen kann, und fragt dann wie ein wohlmeinender Familienvater: „Aber warum wollen Sie so viele Praktikanten? Wir müssen auch an den Schutz der Jugendlichen denken, nach zwei, drei Monaten wissen Sie doch, ob Sie mit ihnen zurecht kommen, dann können Sie einen Zeitvertrag abschließen und haben wieder einen Praktikumsplatz frei.“

Die Unternehmerin, bekennende Konservative, dampft vor Wut, aber es hilft nichts: Sie bekommt ihren Gegner nicht zu packen. Und räumt den Platz für eine Mutter, deren Sohn zum Islam übergetreten ist, sich radikalisiert hat und nach Syrien gegangen ist, um für den Islamischen Staat zu kämpfen. Sie findet, irgendwie sei Frankreich schuld daran.

Hollande könnte es sich einfach machen und die Gegenfrage stellen, ob man für eine gescheiterte Erziehung wirklich an erster Stelle den Staat verantwortlich machen kann. Aber er geht anders vor. Die Rolle des Präsidenten hängt Hollande an die Stuhllehne und spricht wie ein mitfühlender Therapeut, bestätigt die Mutter immer wieder in ihrer Analyse, weist auf die Gefahren der Radikalisierung durch das Internet hin, bringt das Gespräch auf staatliche Angebote zur frühzeitigen Erkennung von gefährlichen fundamentalistischen Tendenzen und auf Zentren zur De-Radikalisierung. Am Ende sitzen sich nicht Präsident und enttäuschte Wählerin gegenüber, sondern zwei Franzosen, eine Mutter und ein einfühlsamer Mitbürger, der ihre grausame Lage versteht und zu helfen sucht.


Hollande spricht mit Front National-Wähler über Flüchtlinge

Sein Meisterstück liefert Hollande im Zwiegespräch mit einem Busfahrer ab, der bekennender Wähler der rechtsradikalen Front National ist. Der Mann kommt aus der Gegend von Calais, wo tausende Flüchtlinge in Zeltlagern vegetieren und auf die Überfahrt nach England hoffen. Hollande behandelt ihn nicht von oben herab, lässt aber keinen Moment Zweifel an seiner staatlichen Autorität aufkommen.

Als der FN-Wähler auf Flüchtlinge zu sprechen kommt, denen es angeblich besser gehe als armen Franzosen, stellt der Präsident die Dinge klar: „Hilfe bekommt nur, wer sich als Asylbewerber anmeldet, wer in Calais auf die Fahrt nach England hofft, dem sagen wir klar: Das wirst du nie schaffen.“ Sein Innenminister habe das wilde Zeltlager, den Dschungel bei Calais „gesäubert, und er wird weitermachen.“

Dann fügt er rasch hinzu: „In den nächsten Tagen fahre ich nach Nahost, es ist unsere humanitäre Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen, die sich und ihre Kinder in Sicherheit bringen wollen.“ Der FN-Anhänger beginnt, zu wanken: „Gut, wenn jemand seine Kinder schützen will, das kann ich nachvollziehen.“ Er habe die FN „ja nur aus Wut gewählt, weil alles andere nicht funktioniert hat, aber nicht, weil ich ein Rassist wäre.“ Frankreich sei schwach und „krank“.

Hollande packt ihn beim Nationalgefühl: „Wenn Sie wirklich glauben, unser Land sei schwach, dann dürfen Sie nicht auf eine Medizin setzen, die den Patienten umbringt. Die Grenzen schließen, raus aus dem Euro und aus der Globalisierung, das sind Rezepte, die Frankreich schwächen.“

Schwach wird nun der Front-Mann: „Ich würde Sie nicht wählen, aber Sie sind der Präsident aller Franzosen.“ Eine Vorlage für Hollande: „Richtig, und Sie haben alles Recht, mich zur Rede zu stellen. Aber denken Sie daran: Wir haben trotz aller Probleme unser Sozialmodell erhalten.“

Am Ende folgt noch einmal eine Runde mit den Journalisten. Jetzt lässt Hollande doch etwas Reue erkennen: Ja, die zunehmende Stärke der Front National sehe er auch als seine persönliche Verantwortung. Ja, auch er denke, dass er manche Reform entschiedener hätte anpacken müssen, „wir hätten schneller vorangehen können.“ Aber: „Wenn ich mir ständig nur Fragen stellen würde, zweifelte, wäre ich kein guter Präsident.“

Hollande geht ungeschlagen vom Platz. Unwillkürlich denkt man: Als Wahlkämpfer ist er eine gute Besetzung. Nur die fünf Jahre, die man als Sieger dann als Präsident gestalten muss, die sind nicht seine Sache.

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