Frankreich Le Pen kassiert die Menschenrechte

In einer zähen Rede zu ihren außenpolitischen Vorstellungen enthüllt Le Pen radikale Ziele: Die rechtsextreme Französin ist auf einem Vernichtungsfeldzug gegen die Grundelemente einer liberalen Ordnung. Ein Kommentar.

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Als Präsidentschaftskandidatin der französischen Partei Front National spricht Marine Le Pen über ihre Ziele. Quelle: AP

Paris Präsidiales Auftreten, viel heiße Luft, im Kern ein paar radikale Botschaften, die allen Diktatoren gefallen dürften. So ließe sich die Rede Marine Le Pens zu ihren außenpolitischen Vorstellungen zusammenfassen.

In den feinen Räumen der „Salon Hoche“ im Zentrum von Paris las die Front National-Chefin am Donnerstagabend ihre Ansprache vom Blatt ab. Nur am Anfang wurde sie kurz aus der Routine geworfen, als eine halbnackte Femen-Aktivistin ins Publikum stürmte und rief :„Marine, Schein-Feministin!“ Zu dritt zerrten die rabiaten Front-Ordner die Frau aus dem Saal.

Der Rest der Rede war eine Geduldsprobe. Der Text war eine zähe Mischung aus ein ums andere Mal wiederholten Bauklötzen der FN-Ideologie: die Größe Frankreichs, die Bedeutung der Grenzen, die Versklavung der Völker durch die USA und die Globalisierung, die Unterwerfung der europäischen Nationen durch Deutschland, das sich der EU zu seinen Zwecken bediene, die Befreiung der Völker durch den Brexit, Donald Trump und demnächst die FN in Frankreich. Sich eine Stunde lang diesen Cocktail aus Lügen und Bosheiten anzuhören ist eine Zumutung.

Doch lohnt es, die Mühe auf sich zu nehmen. Sollte die FN jemals an die Macht kommen, kann niemand behaupten, er habe es nicht gewusst. Verpackt in ihre schwülstige Rhetorik von Nation und Patriotismus liefert Le Pen ein paar Gedanken, die durch ihre Radikalität das Denken ihres Vaters in den Schatten stellen: von Mäßigung keine Spur.

Das erste Ziel Le Pens in dieser Rede ist es, die Lehre von der universellen Gültigkeit der Menschenrechte zu zerstören. Wie immer bedient sie sich dazu eines Taschenspielertricks: Die Menschenrechte, die überall auf der Welt das Individuum gegen die Übergriffigkeit von Diktatoren und Unrechtsregimen schützen sollen, dreht die Rechtsradikale kurzerhand um in eine Attacke des Westens auf die Selbstbestimmung der Völker.

Dabei wendet sie sich nicht offen gegen die Menschenrechte, sondern verschleiert das Ziel ihrer Polemik. „Es gibt kein System, das universelle Geltung hätte“, formuliert sie etwa. Und: „Unsere Werte sind nicht die Asiens oder Russlands, es ist unzulässig, sie ihnen durch Geld oder Zwang aufzudrücken.“ Nicht die Menschen, denen in Russland oder Asien Rechte vorenthalten werden, sind Le Pens Logik zufolge Opfer, sondern die Alleinherrscher, die der „überhebliche Westen“ an den Pranger stelle.

Frankreichs Präsident - das mächtigste Staatsoberhaupt

Die Täter dieser angeblichen Dominanzbestrebungen nannte Le Pen in ihrer Rede auch gleich beim Namen: internationale Organisationen, die USA, Nichtregierungsorganisationen und politische Stiftungen. Da können Naumann-, Friedrich Ebert-, Böll- und Adenauer-Stiftung und alle anderen ähnlichen Organisationen sich schon mal auf etwas gefasst machen: Wladimir Putins Kreuzzug gegen westliche Stiftungen findet nun in Frankreich ein lautes Echo!

Folgerichtig wird das Individuum zum zweiten Angriffsziel Le Pens. Bei der Rechtsextremen taucht es nie als Mensch auf, sondern nur als gefährliche, die Völker bedrohende Tendenz: der „absolute“ oder „schrankenlose“ Individualismus. Gegen den müsse sich die Nation verteidigen.


Le Pen deutet kurzen Prozess mit Andersdenkenden an

Als drittes nimmt die FN-Führerin das Land aufs Korn, das ihren Bestrebungen zur Zerstörung des freien Westens und der Europäischen Union im Moment den stärksten Widerstand entgegenbringt, die Bundesrepublik. Deutschland sei hegemoniesüchtig und beherrsche die EU, wiederholte Le Pen eine ihrer Standardbotschaften, die sie nie belegt, weil sie nicht zu belegen ist.

Die Kraft der Wiederholung ersetzt bei ihr die Stärke des Gedankens. Deutschland sei beizukommen, kündigte Le Pen an, denn gemeinsam mit anderen Ländern werde Frankeich ein „neues, freies Europa“ schaffen.

Viertes Ziel: Ende der Abrüstung und Zerstörung der Nato, an deren Stelle ein Bündnis mit Russland treten soll. Nun ist Putin, unter dessen Regime Oppositionelle auf offener Straße erschossen werden, und mit seinem krisengeschüttelten, von niedriger Lebenserwartung, Alkoholismus und Vetternwirtschaft gezeichneten Land nicht eben ein attraktiver Partner. Macht nichts: Le Pen lässt „historische Gemeinsamkeiten“ und „gleiche Interessen“ hochleben.

Das ist Marine Le Pen

Ihr Vernichtungsfeldzug gegen die Grundelemente einer liberalen Ordnung war damit noch nicht ganz am Ende: Sie machte schon mal deutlich, dass sie von nuklearer Abrüstung nichts hält. Frankreich müsse seine Verteidigungsausgaben steigern und in diesem Rahmen „Fortschritte bei der nuklearen Komponente“ erreichen.

Am Ende ließ sie blitzlichtartig aufscheinen, was denen droht, die mit ihr nicht einverstanden sind. Frankreichs Diplomaten hätten keine nationale Politik verfolgt, urteilt sie pauschal. Sie hätten „anderen Interessen als denen Frankreichs gedient.“ Kann man darüber debattieren? Nein, nicht bei Le Pen, denn: „Gemeinhin nennt man das, was diese Leute machen, Hochverrat.“ Wie erwähnt: Möge niemand sagen, er habe es nicht gewusst. Le Pen ist keine harmlose Rechtspopulistin. Sie ist eine Rechtsextreme, die sehr zielstrebig an der institutionellen und ideologischen Zerstörung unserer freien Gesellschaften arbeitet.

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