Frankreich-Wahl Le Pen gerät mit Aussagen zum Euro ins Schleudern

Die entscheidende Woche im Präsidentschaftswahlkampf beginnt: Die populistische Kandidatin Le Pen verliert beim Thema „Euro-Austritt“ ihre klare Linie – gewinnt jedoch einen Verbündeten, der ihr weitere Wähler zuführt.

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Paris Am kommenden Sonntag um 20 Uhr wird feststehen, wer Frankreich in den nächsten fünf Jahren führen wird. Verlässt das Land die Eurozone und die EU, wie die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen es will? Oder wird das Land durch wirtschaftliche Reformen wieder zu einem stärkeren Mitspieler, der gemeinsam mit Deutschland die europäische Integration voranbringt, wie der Sozialliberale Emmanuel Macron es vorschlägt?

Am Montag versuchen beide Kandidaten mit großen Meetings in Paris noch einmal, tausende von Anhängern für die letzten Tage des Wahlkampfes zu motivieren und zu begeistern. Le Pen empfängt ihre Anhänger auf dem Messegelände im Pariser Norden eingeladen, Macron rund drei Stunden später in einer Halle in Paris.

Inhaltlich sind die Linien der beiden Kampagnen in den vergangenen Tagen klarer geworden: Macron greift Le Pen an als ein Risiko für den Wohlstand Frankreichs und sieht in ihr die Gefahr eines Widerauflebens des radikalen Nationalismus, der in letzter Konsequenz zu Feindschaft und Krieg zwischen den Europäern führe.

Am Sonntag besuchte er die Holocaust-Gedenkstätte in Paris. Am Freitag war er in Oradour sur Glane gewesen, wo die SS-Division „Das Reich“ im Juni 1944 fast alle Einwohner, 640 Menschen, ermordet hatte. Le Pen wollte am Sonntag eine chemische Fabrik bei Marseille besuchen, die Arbeiter öffneten ihr aber nicht die Tore. Sie legte einen Kranz am Holocaust-Mahnmal in Marseille nieder.

Die Politikerin, die zum zweiten Mal kandidiert, stellt sich als Vertreterin des französischen Volkes dar, während Macron den Eliten angehöre, die „Verrat am Vaterland“ begingen. Der Gescholtene verliert in den Umfragen etwas an Boden, aber er liegt den letzten Zahlen vom Wochenende zufolge immer noch mit 18 bis 20 Prozentpunkten vor der Rechtsextremen.

Doch Le Pen hat mit dem Vorsitzenden der kleinen Partei „Aufrechtes Frankreich“, Nicolas Dupont-Aignan, einen Verbündeten gefunden, der ihr rund fünf Prozent der Wähler zuführen kann. Sie hat dem Politiker, der ursprünglich aus der Mitte des Parteienspektrums kommt und früher jede Zusammenarbeit mit dem Front National strikt ausgeschlossen hatte, den Posten des Premierministers versprochen. Gemunkelt wird auch über eine finanzielle Unterstützung für den hoch verschuldeten Dupont-Aignan.

Le Pens Kampagne ist inhaltlich ins Schleudern gekommen, weil sie sich mit ihren Aussagen zum Euro zusehends in Widersprüche verstrickt. Ihr ist klar, dass der Wunsch, Frankreich aus dem Euro zu führen, von 70 Prozent der Franzosen abgelehnt wird. Deshalb versucht Le Pen nun, die Wähler zu beruhigen, findet dabei aber keine klare Linie mehr. Mal sagt sie, es werde erst später über das Ausscheiden aus dem Euro entschieden, mal heißt es, das sei insgesamt „keine vorrangige Frage“.

Dabei steht es an Platz eins ihrer „144 Engagements für Frankreich.“ Am Sonntag äußerte sie gar, sie wolle den Euro als Parallelwährung „für die großen Unternehmen“, während „für das tägliche Leben der Franzosen ein neuer Franc“ eingeführt werden solle. Auch die Vorstellung eines Doppelwährungssystems begeistert nicht viele Franzosen.

Das entscheidende Ereignis der Woche wird die mehrstündige TV-Debatte sein, die am Mittwochabend stattfindet. Dabei messen sich die beiden Kontrahenten direkt. Ein entscheidender Fehler oder eine schwache Leistung kann die Vorentscheidung bringen, welche sich in wenigen Tagen nicht mehr aufholen lässt.


„Wer nicht zweifelt, wird gefährlich“

Am Sonntagabend gab es bereits einen kleinen Vorgeschmack darauf: Der staatliche Sender France 2 strahlte 15-minütige Interviews mit beiden Kandidaten aus. Sie zeigten sich als Politiker von sehr unterschiedlichem Format. Macron wirkte ruhig, seriös. Im Wahlkampf hat der 39-Jährige erstaunlich an politischer Reife und Überzeugungskraft gewonnen. Le Pen war angriffslustig, sie nutzte die Sendezeit geschickt, um ihre einschlägig bekannten Stichworte immer wieder unterzubringen. Sie wirkte aber insgesamt eher wie ein Generalsekretär als wie eine Persönlichkeit, der man die Führung eines großen Landes anvertrauen möchte.

Ihre Kernbotschaften sind Formeln, die sie in Sätze fasst wie „Ich stehe als freie Frau vor den Franzosen und verteidige mein Vaterland“ oder „Ich habe eine Mission, die über mich hinaus geht, ich will dem Land seine Souveränität zurückgeben.“ In Bausch und Bogen machte sie „die Gewerkschaften, die Unternehmerverbände, Unternehmer, Professoren, die ganze Oligarchie“ zu Unterstützern ihres Gegners Macron. Sie selber dagegen gehöre „zum Volk, ich bin in seiner Mitte und will es verteidigen“.

Sichtlich perplex reagierte sie, als der Interviewer sie fragte, wieso sie sich selber nicht zu den Eliten zähle, schließlich habe sie von ihrem Vater die Führung des Front National übernommen. „Ich bin nicht die Erbin“, sagte sie wahrheitswidrig. Nur dem entschiedenen Eingreifen ihres Vaters auf einem Parteitag im Jahre 2010 verdankt sie, dass sie gegen einen starken Kandidaten zur Vorsitzenden gewählt wurde. Anschließend korrigierte sie sich selber und sagte: „Ja, es gibt eine Abstammung, aber ich habe definitiv mit meinem Vater gebrochen.“ Der allerdings finanziert ihren Wahlkampf. Doch Le Pen gab sich sehr zuversichtlich: „Ich werde gewinnen, das Volk wird gewinnen.“

Das folgende Interview mit Macron verdeutlichte, das nicht nur vom Programm her Welten zwischen den beiden Kandidaten liegen: die eine stanzt Formeln, der andere versucht, zu erklären. Seine Gegnerin nannte Macron die „Erbin des politischen Systems und ihres Vaters“, während er die politische Erneuerung verkörpere.

In Frankreich gebe es „viel Optimismus, den Willen voranzugehen, bei einer Menge von Franzosen aber auch das Gefühl, verlassen und hilflos zu sein“. Le Pen versuche, von der Wut vieler Franzosen zu profitieren, er aber glaube nicht, dass sich die Probleme „durch Hass, durch noch mehr Spaltung, durch den Rückzug aus Europa“ lösen lassen.

Auf die Frage, was ihn zum Präsidenten qualifiziere, sagte er: „Meine Entschlossenheit“. Er sehe sich weder als ein französischer Obama noch als das Äquivalent zu Hillary Clinton. Frankreich sei anders, außerdem habe Clinton „seit Jahrzehnten zum Parteiensystem gehört“. Das aber sei in Frankreich gerade im Umbruch. Ein Präsident müsse die Fähigkeit haben, in langen Fristen zu denken, einen politischen Kurs vorzugeben und den zu halten, ohne sich vom Willen des Volkes zu entfernen.


Le Pen umwirbt Mélenchon-Wähler

Auf die Frage des Interviewers, ob er manchmal zweifele, sagte Macron ohne Zögern: „Ja, der Zweifel gehört als Ergänzung zur Entschlossenheit. Wer nicht zweifelt, wird gefährlich.“ Völlig anders als Le Pen antwortete Macron auf die identische Frage, ob er sicher sei, zu gewinnen: „Kein Kampf ist jemals vorab gewonnen, ich selber bin der lebende Beweis dafür, wie schnell die Dinge sich ändern können, niemand hat vor Monaten damit gerechnet, dass ich in der ersten Runde an erster Stelle liegen würde.“ Er wolle „gewinnen, aber das französische Volk entscheidet, niemand schreibt die Geschichte für das Volk.“

Auch Macron hat am Wochenende neue Unterstützung erfahren. Der frühere Premierminister Alain Juppé, Bürgermeister von Bordeaux, rief dringend dazu auf, Macron zu wählen, um zu verhindern, dass „die Rechtsextremen in Frankreich an die Macht kommen.“ Ähnlich emphatisch rief der Zentrumspolitiker und frühere Minister (unter Nicolas Sarkozy) Jean-Louis Borloo zur Wahl von Macron auf.

„Ich verstehe die Passivität vieler Konservativer nicht. Der Front National hatte es von Anfang an darauf angelegt, die Konservativen zu liquidieren. Wer da noch zweifelt, leidet offenbar unter dem Stockholm Syndrom“, erregte sich Borloo. Alles müsse dafür getan werden, um den Sieg von Le Pen zu verhindern, der „absolut möglich“ sei. Für Macron spricht in seinen Augen, dass dieser „jung und entschlossen ist und keine Tabus kennt“.

Mitentscheidend für den Ausgang der Wahl dürfte sein, wie sich die rund 20 Prozent der Wähler verhalten werden, die im ersten Wahlgang für den Linksaußen Jean-Luc Mélenchon gestimmt haben. Der weigert sich, einen Aufruf für Macron abzugeben. Am Sonntag sagte er gar, Le Pen versuche, seinen Anhängern entgegenzukommen.

Le Pen nutzt das aus, um die Wähler Mélenchons zu umwerben. Am Wochenende sprach sie von den „linken und rechten Patrioten“, die sie zusammenführen wolle. Zweifelhaft ist allerdings nicht nur, ob ihr die Verschmelzung der Extreme in großem Umfang gelingen wird. Der offene Appell an beide Enden des politischen Spektrums dürfte auch dazu führen, dass sich konservative und liberale Wähler eher abgeschreckt fühlen.

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