Frankreich Wilde Flüchtlingscamps im Nordosten von Paris

In der französischen Hauptstadt campieren seit Monaten Flüchtlinge – unter Hochbahnlinien oder auf offener Straße, manchmal noch nicht einmal mit einem Zelt. Nun will die Stadt ein humanitäres Aufnahmelager eröffnen.

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Im Nordosten der Stadt campieren die Flüchtlinge unter freiem Himmel. Quelle: dpa

Paris Die Schaumstoffmatratzen liegen nur wenige Meter neben dem dröhnenden Verkehr auf dem Pflaster. Unter schmuddeligen Decken zeichnen sich Körper ab, nebenan bildet sich eine Schlange, weil Helfer Frühstück verteilen. Es ist früher Morgen – mitten in Paris. Seit vergangenem Jahr bilden sich auf den Straßen der französischen Hauptstadt immer wieder solche Elendslager von Flüchtlingen. Da offizielle Unterkünfte überfüllt sind, schlafen die Ankommenden in ungenehmigten Lagern auf der Straße, oft auf unbestimmte Zeit.

Das Pariser Rathaus zählt im Schnitt 60 neue Flüchtlinge pro Tag. Hilfe für sie soll jetzt ein humanitäres Lager im Norden der Stadt bringen, das Bürgermeisterin Anne Hidalgo Mitte dieses Monats eröffnen will: medizinische und psychologische Betreuung für zunächst 400 männliche Flüchtlinge, nach wenigen Tagen die Weiterreise in andere Unterkünfte. Ein weiteres Aufnahmezentrum, speziell für Frauen und Kinder, ist für Ende des Jahres geplant.

Vor allem rund um die Metrostation Stalingrad im Nordosten der Stadt, nicht weit vom Nordbahnhof, sind die Zelt- und Matratzenlager seit Monaten ein gewohntes Bild. Immer wieder wurden die Lager geräumt, Mitte September brachten Busse mehr als 2000 Menschen weg – schon kurz darauf hatten Andere den Platz wieder in Beschlag genommen.

Bei einem Besuch vor wenigen Wochen erzählten Bewohner, dass sie unbedingt in Paris bleiben wollen: „Der Weg nach England ist zu schwierig, Calais kommt nicht infrage. Und Italien war schlimm, da hatten wir 70 Euro pro Monat zum Leben“, sagte der 17-jährige Youssuf aus dem Tschad. Der Afghane Mannof Nawar Shareef findet, dass es in anderen französischen Städten doch nur noch mehr Probleme gebe. Andere sagen, sie hätten kein Geld für die Weiterreise gehabt. „Wir kriegen kaum Essen, leben draußen bei jedem Wetter. Da war es in Griechenland und Serbien noch besser.“

Hilfsorganisationen nehmen an, dass Flüchtlinge vor allem wegen der Möglichkeiten zur Schwarzarbeit und der Kulturvielfalt nach Paris kommen. Auch die gute Vernetzung in andere Teile des Landes spreche dafür, sagt Abdelsem Ghazi, Generalsekretär der Hilfsorganisation Secours Populaire in Paris. „Von hier kommt man am besten woanders hin – zum Beispiel nach Calais oder in andere Länder. Der Pariser Nordbahnhof ist dabei eine wichtige Schaltstelle.“ In Calais sammeln sich seit Jahren Migranten, die illegal nach Großbritannien kommen wollen. Doch inzwischen sind Hafen und Ärmelkanaltunnel abgeriegelt.


Miserable Bedingungen in den Unterkünften

Seit Juni 2015 haben die Pariser Behörden immer wieder Lager geräumt, um des Problems Herr zu werden – insgesamt gut 15 000 Menschen. Manche Hilfsorganisationen sehen das Vorgehen kritisch: „Die Menschen werden ohne System zusammengetrieben, in Busse verfrachtet und zu Notunterkünften gebracht. Da gibt es aber oft nicht mehr genug Platz“, sagt ein Mitarbeiter des Büros zur Aufnahme und Begleitung von Migranten (BAAM). Ist ein Flüchtling bei der Räumung nicht vor Ort, darf er danach nicht mehr zurück. Alle Habseligkeiten im Camp werden weggebracht – mit oder ohne Besitzer. Andere verweisen dagegen auf die unhaltbaren sanitären Bedingungen in den Straßencamps.

Auf die Flüchtlinge warten nach der Busfahrt Sporthallen, leere Gebäude und manchmal sogenannte Aufnahme- und Orientierungszentren – oft weit weg von Paris. Dadurch bekommen diejenigen Probleme, die ihren Asylantrag in der Hauptstadt gestellt haben. Die Bedingungen in den Unterkünften sind nach Angaben mancher Helfer häufig miserabel: „Rassistische Aufseher, keine soziale Unterstützung, keine Küche. Oft gibt es auch eine nächtliche Ausgangssperre. In einer Unterkunft, die ich gut kenne, ist abends Redeverbot“, sagt der BAAM-Mitarbeiter.

Damit es zu Evakuierungen nicht mehr kommt, müsse etwas getan werden, fordern Pariser Hilfsorganisationen einstimmig. Mögliche Lösung: Aufnahmezentren direkt in der Stadt, wie das Projekt von Bürgermeisterin Hidalgo. „Ein starker politischer Akt“, sagen die einen, unter ihnen Abdelsem Ghazi. „Nur ein Aufschub des Problems“, sagen die anderen, so wie der Mitarbeiter des BAAM. „Die Flüchtlinge haben ein paar Tage in diesem Aufnahmezentrum – und dann? In anderen Unterkünften herrscht immer noch Platzmangel.“

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