Frankreichs Sozialisten Mon amour, ich verschlinge Dich!

Frankreichs Sozialisten drohen bei der Wahl entkernt und ausgequetscht zu werden: vom Linken Jean-Luc Mélenchon auf der einen Seite, vom Sozialliberalen Emmanuel Macron auf der anderen. Hoffnung haben nur die anderen.

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„Im Moment ist Deutschland die dominante Wirtschaft Europas, aber es wird nicht so lange dominieren, wie es glaubt.“ Quelle: AFP

Paris Der Linke Jean-Luc Mélenchon ist alles andere als ein Investmentbanker. Aber was er als Kandidat bei der Präsidentschaftswahl vorhat, ist nichts weniger als eine feindliche Übernahme: „Die Bewegung der Sozialisten ist ideologisch tot, wenn (Ex-Premier)Valls kandidiert, kommen die Sozialisten zu mir, wenn (Ex-Wirtschaftsminister ) Montebourg es macht, schlage ich ihn.“ Eine sozialistische Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl ergebe eh‘ keinen Sinn: „Wer auch immer es macht, sie kommen in allen Umfragen nur auf die Hälfte meiner Stimmen“, ist sich der Freund von Oskar Lafontaine sicher. Wer seine Stimme sinnvoll abgeben wolle, der werde deshalb ihn, Mélenchon wählen und keinen Sozialisten.

Was der Linkspolitiker, der selber 30 Jahre bei den Sozialisten war, im Gespräch mit einer kleinen Gruppe europäischer Journalisten sagt, ist alles andere als die Prahlerei eines Halbstarken. Den Sozialisten droht tatsächlich, entkernt und ausgequetscht zu werden: vom Linken Mélenchon auf der einen Seite, vom Sozialliberalen Emmanuel Macron auf der anderen. Die Lage der Sozialistischen Partei (PS), deren oberster Repräsentant François Hollande nicht einmal mehr eine Kandidatur wagt, ist aussichtslos.

Die Debatte der sieben Kandidaten, die an der Vorwahl der Sozialisten teilnehmen, hat daran nichts geändert. Weniger als vier Millionen TV-Zuschauer sahen sich die Diskussion am Donnerstagsabend an, die zur besten Zeit auf dem größten Sender lief. Die vergleichbare Veranstaltung vor fünf Jahren verfolgten noch mehr als fünf Millionen. Und bei der ersten TV-Runde der Konservativen schalteten sich im Oktober vergangenen Jahres 5,6 Millionen Franzosen zu.

Diejenigen, die am Donnerstag zusahen, empfanden mehrheitlich Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg als Sieger. Der 54-Jährige träumt von „wirtschaftlichem Patriotismus“, Grenzkontrollen, Nationalisierungen und lässt kein gutes Haar an den bescheidenen Reformen, die Hollande unternommen hat. Dessen Arbeitsmarktreform will er komplett zurückdrehen. Wer damit liebäugelt, wird direkt das Original Mélenchon wählen. Und wem das zu realitätsfremd ist, der geht zu Macron – wie es bereits einige PS-Abgeordnete getan haben. Sogar Ségolène Royal, Umweltministerin, frühere Präsidentschaftskandidatin und Ex-Partnerin von Hollande, spricht lobend über Macron: Der denke „über die Zukunft nach“ und verkörpere sie. Valls dagegen kritisiert sie.

Dessen Alptraum ist, dass Royal und danach sogar Hollande selber zur Wahl Macrons aufrufen könnten und anschließend die Hälfte der sozialistischen Parlamentsfraktion oder mehr mit fliegenden Fahnen ins Lager des erst 39 Jahre alten früheren Wirtschaftsministers wechselt. Völlig auszuschließen ist das nicht. Mitte der Woche stieß Jean Pisani-Ferry, französischer Top-Ökonom, der bislang den Premierminister beriet, zu Macron. „Hollande sieht Emmanuel als seinen Ziehsohn an“, ist Aquilino Morelle überzeugt, ein früherer enger Berater des Präsidenten.

Die Proeuropäer unter den Sozialisten dürften sich bei dem Jungstar gut aufgehoben fühlen. Als einziger Kandidat fährt er eine dezidiert proeuropäische Linie. „Europa ist unsere Zukunft, wir lieben Europa“ ruft er bei seinen Meetings und erntet dafür begeisterten Applaus.


„Deutschlands Modell ist das einer Bananenrepublik“

Wer europaskeptisch und deutschlandkritisch ist, der wird dagegen zu Mélenchon gehen. „Im Moment ist Deutschland die dominante Wirtschaft Europas, aber es wird nicht so lange dominieren, wie es glaubt: Seine Bevölkerung altert und sein Modell ist das einer Bananenrepublik, es produziert nur Autos und Maschinen.“ Deutschland sei wegen seiner hohen Außenhandelsüberschüsse „der blinde Passagier Europas“, es profitiere von der Leistung der anderen, kritisiert der 66-Jährige.

Zum Thema Euro will er sich nicht festlegen: Will er drin bleiben, will er raus? Er weiß, dass die Gemeinschaftswährung bei den Franzosen sehr populär ist und die rechtsextreme Marine Le Pen unter ihrem Anti-Euro-Kurs leidet. „Sie versteht nichts von Wirtschaft, wenn Frankreich den Franc wieder einführt, wie Le Pen es will, versechsfacht sich die französische Auslandsverschuldung“, warnt er. „Die Frage ist nicht der Euro, die Frage ist, ob es eine soziale Konvergenz geben wird oder nicht und ob wir weiter die wirtschaftlichen Grenzen aufhalten, nur um die Autos unserer teuren deutschen Freunde, die Schweinereien der französischen Agrarindustrie und ein paar Atomkraftwerke verkaufen zu können“, erregt sich der Linksaußen.

Über diese soziale Konvergenz, den Abbau der deutschen Überschüsse und wirtschaftlichen Protektionismus werde er mit der Kanzlerin verhandeln, verspricht Mélenchon, falls er gewählt werde. „Frau Merkel ist absolut vernünftig, sie beleidigt niemanden, wie Schäuble es tut, der grauenhaft grob ist, warum sollten die Deutschen sich irrational verhalten?“ sagt er hoffnungsvoll. „Mit Merkel kann man diskutieren, sie kann verstehen, dass wir nicht so weitermachen können“, sagt der Politiker, dem gerne eine anti-deutsche Haltung nachgesagt wird. Mélenchon lässt sich sogar zu einem Lob hinreißen: „Die Deutschen haben sich in der Flüchtlingsfrage vorbildlich verhalten!“

Was aber, wenn seine Hoffnungen auf Verständigung sich zerschlagen? Will er dann wie Le Pen ein Referendum über das Ausscheiden aus der EU? An dem Punkt geht er in die Luft. „Vergleichen Sie mich nicht mit Le Pen, dann werden wir uns hier nicht verstehen!“ Gut, aber was will er tun, wenn seine Forderungen in der EU nicht durchsetzbar sind? „Dann gehen wir! Plan A ist, wir diskutieren, wenn das zu nichts führt, gehen wir.“ Was heißt das genau? „Frankreich wird seine Freiheit wiederfinden, wie schon in der Vergangenheit.“ Ausscheiden aus der EU, Politik des leeren Stuhls, was hat er vor? „Monsieur, das werden wir sehen, die Politik ist die Kunst der Verwirklichung.“

Mélenchon mag es nicht, wenn man versucht, ihn festzulegen. Um die Schärfe wieder rauszunehmen, vergleicht er sich selber mit Lafontaine. „Wenn ich mit Oskar rede, hat er immer ein Blatt Papier vor sich: Punkt eins, zwei, drei vier. Bei mir ist das nicht so vorbestimmt.“

Auch bei der Wahl sei nichts vorbestimmt, ist er sich sicher. „Frankreich hat kein ideologisches Gravitationszentrum mehr“, urteilt der Linke, vieles sei möglich. Es werde in der ersten Runde ein absolut knappes Ergebnis geben, „vier Kandidaten werden jeweils zwischen 19 und 23 Prozent erreichen.“ Die Kunst besteht also darin, in diesem Rennen mit knappen Margen die entscheidenden Zentimeter vorne zu liegen, um es in die Stichwahl der beiden Bestplatzierten zu schaffen. Darauf hofft Mélenchon – wie Macron, Fillon und Le Pen. Die Sozialisten dagegen haben die Hoffnung schon fast aufgegeben.

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