Vor Kurzem war Ildefonso Guajardo auf Stippvisite in Deutschland. Mexikos Wirtschaftsminister stellte sein Land auf der Hannover Messe vor. 2018 wird die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas Gastland der globalen Industrieschau sein, da wollte man schon mal einen Vorgeschmack geben. Am Rande seines Besuchs traf sich der Minister auch mit deutschen Unternehmensvertretern, die Niederlassungen in Mexiko haben. Und die bedrängten ihn mit immer der gleichen Frage: Was denn jetzt aus dem Freihandelsabkommen Nafta mit den USA werde? Seitdem in Washington ein gewisser Donald Trump regiert, ist das mit diesem Freihandelsabkommen so eine Sache: Mal feuerte Trump tägliche Tweets gegen „den schlechtesten Deal aller Zeiten“ und wollte ihn abschaffen, in der abgelaufenen Woche kündigte er dann an, ihn lediglich reformieren zu wollen. Daher war die Nervosität bei den Firmenrepräsentanten groß. Aber Guajardo, 60 Jahre, schwarzes Haar und scharfer Verstand, beruhigte sie: Realpolitik setze sich in Washington allmählich auch im Verhältnis zu Mexiko durch. Die Erleichterung war spürbar bei seinen Zuhörern.
Knapp 2000 deutsche Unternehmen – vom Mittelstand bis zur Großindustrie – haben in Mexiko investiert. Ein Drittel von ihnen produziert auch im mittelamerikanischen Nafta-Staat. Für sie schien das Investment bis vor wenigen Monaten eine risikolose Sache: Im wirtschaftsfreundlichen Mexiko konnte man günstig produzieren und dank der Freihandelszone in Mittel- und Nordamerika dann die Produkte ohne Probleme auf den lukrativen US-Markt bringen. Doch dann kam Trump und eröffnete eine bis heute anhaltende Hängepartie über die Frage, ob diese kommode Situation so bleibt oder er das mexikanische Industriewunder durch Einfuhrzölle beendet. Die deutschen Investoren vor Ort schwanken seitdem zwischen Hoffen und Bangen.
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Siemens' starkes Signal
An einem Tag im Frühjahr dieses Jahres stehen in einem mexikanischen Konferenzraum mehrere Hundert Menschen im Halbkreis um zwei Männer an einem Tisch und beschwören den Glauben an eine segensreiche Zukunft: Die Herren an dem Tisch sind Siemens-Chef Joe Kaeser und Minister Guajardo, die eine Absichtserklärung über Siemens’ Engagement in dem Land unterzeichnen wollen. Kaeser ist selbst angereist, obwohl der Siemens-Chef damit rechnen muss, dass seine Reise in diesen Zeiten auch als politisches Zeichen gewertet wird. Denn sie ist auch ein Bekenntnis zu Mexiko, das unter den Vorwürfen aus Washington leidet. Und so sagt Kaeser: Das Land sei nicht allein. „In herausfordernden Zeiten ist es immer gut, Freunde zu haben, die an deiner Seite stehen, wenn es darauf ankommt.“
Gemeinsam wolle man Projekte entwickeln, wie die Infrastruktur und die Schlüsselindustrien des Landes verbessert werden können. Diese könnten ein Volumen von bis zu 36 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren haben. Alles an diesem Auftritt signalisiert: Siemens will in Mexiko weiter eine starke Rolle spielen. Kaeser kündigt „als einen Start“ Investitionen von 200 Millionen Dollar und die Schaffung von 1000 Arbeitsplätzen in den nächsten zehn Jahren an. Beifall.
Nach der Wahl Trumps und seinem Amtsantritt erschien die Zukunft, wenn man mit deutschen Unternehmen in Mexiko sprach, noch anders. Ein Twitter-Feuerwerk und rüde Beleidigungen gegen den Nachbarn ließen die Angst in Mexiko und bei den hier produzierenden internationalen Unternehmen wachsen. Denn die „America first“-Politik des neuen US-Präsidenten sollte im Umkehrschluss für den kleinen südlichen Partner heißen: „Mexico last“.
Am Nafta-Tropf
Ein Ausstieg aus Nafta hätte für Mexiko desaströse Folgen, 80 Prozent seiner Exporte liefert der südliche Nachbar in den Norden. Jedes deutsche Unternehmen, das dort investiert, hat immer den US-Markt im Blick. Mexiko hängt am Nafta-Tropf. Und mit dem Land auch viele deutsche Unternehmen: zum Beispiel die Automobilindustrie, die von Mexiko aus schwerpunktmäßig den US-Markt beliefert. Audi hat vor Kurzem ein Werk in Mexiko eröffnet, von wo es seinen Geländewagen Q5 vor allem nach Nordamerika verkaufen will. Daimler baut gemeinsam mit Nissan ein Werk, BMW will ab 2019 fertigen. Und Volkswagen, schon mehr als ein halbes Jahrhundert in Mexiko ansässig, liefert fünf von zehn im Land gebauten Fahrzeugen in die USA aus. Allein deutsche Autozulieferer erhöhten die Zahl ihrer Standorte seit dem Jahr 2010 von 40 auf 150.
Stefan Deuster vertritt den Würzburger Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer vor Ort. Das Unternehmen verkauft Maschinen für den Banknoten- und Dosendruck nach Mexiko. Die Mittelständler hielten Investitionsentscheidungen zurück, bis klar ist, was Trump wirklich in die Tat umsetzt. „Und wenn zwei bis drei Monate keine Investitionen getätigt werden, dann merken wir das auch“, sagt Deuster. Für sein Unternehmen gehört Mexiko zu den weltweit fünf wichtigsten Märkten.
Kein Griff nach den Sternen
Johannes Hauser ist der Mann, bei dem diese Stimmungen dieser Tage zusammenlaufen. Hauser ist Geschäftsführer der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer (Camexa) und hat sich nach den aufregenden Tagen zu Jahresbeginn wieder entspannt. Wer mit ihm spricht, erfährt: Keine Firma habe eine versprochene Investition abgesagt. „Manche legen ihr Engagement vielleicht einen Tick kleiner an als geplant und greifen bei den Fertigungskapazitäten nicht gleich nach den Sternen.“ Aber den Standort Mexiko habe im Januar niemand infrage gestellt und tue es jetzt erst recht nicht. Nur zwischen den Zeilen, da merkt man dem Interessensvertreter die Erleichterung an: „Es hilft schon sehr, dass der Ton jetzt weniger aggressiv ist und miteinander statt übereinander geredet wird.“
Was das Ausland von Trump erhofft und erwartet
Am 20. Januar soll Donald Trump sein Amt als 45. Präsident der USA antreten. Das sind die damit verbundenen Hoffnungen, Erwartungen und Sorgen wichtiger Länder und Gemeinschaften.
Quelle: dpa
Eine enge Zusammenarbeit im Kampf gegen den Klimawandel und den islamistischen Terrorismus, ein gemeinsamer Kurs in der Sanktionspolitik gegenüber Russland sowie eine Fortsetzung der Verhandlungen über das Handelsabkommen TTIP: Was sich die Europäische Union vom neuen US-Präsidenten erhofft, bekam Trump bereits kurz nach seiner Wahl in einem Brief aus Brüssel übermittelt. Nicht offen wird dagegen über die Sorgen gesprochen. Hinter vorgehaltener Hand befürchten EU-Spitzenpolitiker, dass die Erwartungen Europas den neuen US-Präsidenten nicht wirklich interessieren. Folge könnte eine deutliche Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen sein.
Das Verhältnis zwischen Moskau und Washington ist so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Deshalb hofft Russland, dass Trump sein Versprechen wahr macht und die Beziehungen wieder verbessert. Die Zeichen stehen auf ein Treffen Trumps mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kurz nach Amtsantritt. Weil der Republikaner das Engagement der USA im Rest der Welt verringern will, geht Russland davon aus, mehr Spielraum zu bekommen. Trump sieht Nato und EU kritisch, er will den islamistischen Terror stärker bekämpfen - beides passt zur Moskauer Position. Allerdings haben die Russland zugeschriebenen Hackerangriffe massiv den Verdacht geschürt, dass Moskau sich in US-Politik einmischen könnte. Trump und Putin müssen bei jeder Annäherung mit großem öffentlichem Misstrauen rechnen.
Die Mexikaner machen sich für die Ära Trump auf das Schlimmste gefasst. Der künftige US-Präsident hatte die Nachbarn im Süden mehrfach als Drogenhändler und Vergewaltiger diffamiert. Um die illegale Einreise von Migranten zu verhindern, will Trump eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten. Außerdem hat er angekündigt, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) neu zu verhandeln oder sogar aufzukündigen. Die mexikanische Wirtschaft hängt stark vom Handel mit den USA ab. Der Autokonzern Ford beerdigte bereits Investitionspläne in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar in Mexiko - offenbar aus Angst vor Trump. US-Unternehmen, die billig im Nachbarland produzieren, hatte er mit hohen Strafzöllen gedroht.
Den ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften drohen unter Trump schwere Spannungen, die auch die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnten. Der neue US-Präsident holte China-Kritiker in sein Team, die eine härtere Gangart gegen Peking erwarten lassen. Die kommunistische Führung fürchtet eine Neuausrichtung der US-Beziehungen zu Taiwan, das Peking nur als abtrünnige Provinz behandelt. Mit einer Eskalation wird auch im Handel gerechnet, falls Trump seine Drohung mit Strafzöllen wahr machen sollte. Das Verhältnis wird zudem dadurch bestimmt, wie beide mit den Inselstreitigkeiten im Süd- und Ostchinesischen Meer umgehen.
Für den Iran ist es in erster Linie wichtig, was aus dem Atomabkommen wird. Obwohl auch die USA den Deal von 2015 mit ratifiziert hatten, drohte Trump bereits mehrmals mit einem Ausstieg. Präsident Hassan Ruhani bezeichnete das multilaterale Abkommen als unantastbar. Auch eine Nachverhandlung kommt für Teheran nicht infrage. Falls Trump sich nicht an den Deal halten sollte, werde auch Teheran angemessen reagieren, warnte Ruhani. Andererseits hofft der Iran auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der neuen US-Regierung und Moskau. Als enger Verbündeter Russlands könnte davon auch Teheran, besonders im Syrien-Konflikt, außenpolitisch profitieren.
Israel zählt schon die Tage bis zum Amtsantritt von Trump. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erwartet nach dem eher schwierigen Verhältnis zu Präsident Barack Obama ein Umschwenken in der Israelpolitik der USA. Dazu gehört der Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Trump kündigte mehrfach an, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Beim Ausbau der Siedlungen im Westjordanland hoffen die ultrarechten Kräfte in der Regierung auf mehr Bewegungsfreiheit, nachdem die USA zuletzt eine siedlungskritische UN-Resolution passieren ließen. Einige fordern, das Westjordanland zumindest teilweise zu annektieren.
Tatsächlich keimt in Mexiko Hoffnung, die schlimmsten Sturmböen des „Hurrikan Trump“ seien vielleicht überstanden. Die Nafta wird nicht gecancelt, und den Bau der Mauer an der US-mexikanischen Grenze verschob Trump wegen fehlender Haushaltsmittel zur Vorfinanzierung im US-Kongress auf unbestimmte Zeit. Den Nachverhandlungen sieht die mexikanische Seite gelassen entgegen. Schließlich hat auch der lateinamerikanische Partner Verbesserungsbedarf angemeldet. Neue Regelungen beim Landwirtschaftskapitel und die Einbeziehung neuer Themen wie E-Commerce oder dem vor wenigen Jahren geöffneten Energiesektor stehen auf der mexikanischen Verhandlungsagenda ganz oben.
Das Bruttoinlandsprodukt Mexikos zeigt sich unbeeindruckt. Im ersten Quartal wuchs es, aufs komplette Jahr hochgerechnet, um 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal und lag leicht über den Erwartungen. Die Industrieproduktion ging hingegen um 1,3 Prozent zurück. Auch der Kurs der Landeswährung gegenüber dem Dollar hat sich stabilisiert. Sollten alle Stricke reißen und die USA Nafta kündigen, greifen automatisch die alten WTO-Regeln. Und da – dies hat Minister Guajardo mehrfach betont – haben die Mexikaner auch keine schlechten Karten. Im Falle der Automobilindustrie würde lediglich ein Zoll von 2,5 Prozent bei Pkw-Importen der USA aus Mexiko fällig. Wie sagte Guajardo in Hannover: „Realpolitik setzt sich durch.“