Freihandelsabkommen Bei Ceta wird nachgebessert

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist gut gelaunt, denn auf dem EU-Handelsministertreffen sieht alles gut aus für das Freihandelsabkommen Ceta. Scheitern könnte es aber immer noch. Um TTIP steht es nicht so gut.

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Sigmar Gabriel ist sichtlich gut gelaunt. Aus gutem Grund, denn Ceta hat eine Chance. Quelle: dpa

Bratislava Sigmar Gabriel hat es eilig. Der Bundeswirtschaftsminister verlässt das Treffen der EU-Handelsminister in Bratislava schon nach knapp zwei Stunden, um in Berlin am deutsch-französischen Wirtschaftsministerrat mit seinem Kollegen Michel Sapin teilnehmen zu können.

Die gröbste Arbeit hatte der SPD-Chef aber ohnehin bereits Anfang der Woche erledigt: Seine Partei machte nach massiver Überzeugungsarbeit des Vorsitzenden den Weg frei für das Freihandelsabkommen mit Kanada. Unter Bedingungen freilich. Die aber, so wurde in Bratislava deutlich, sollten keine unüberwindbaren Hürden darstellen.

Und so zeigt sich Gabriel „sehr zufrieden“, als er das Tagungsgebäude in der slowakischen Hauptstadt in Richtung Flughafen verlässt. Die EU-Kommission habe zugesagt, dass sie vor der Unterzeichnung von Ceta bei wichtigen Themen noch Klarheit schaffen werde, etwa bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, beim Schutz der Arbeitnehmerrechte oder bei der Unabhängigkeit der Investitionsschiedsgerichte. Daher gebe es unter den EU-Staaten „große Bereitschaft, das Abkommen im Oktober zu zeichnen“, so Gabriel.

Mit rechtsverbindlichen Zusatzerklärungen zum eigentlichen Vertragswerk sollen EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström und die kanadische Regierung den Bedenken in großen Teilen der Zivilgesellschaft in Deutschland und einigen anderen EU-Ländern Rechnung tragen. Vieles davon sei zwar bereits „kristallklar“ in Ceta geregelt, so Malmström. Sie sei aber gerne bereit, die Punkte noch klarer zu machen. Nachbesserungen bei Ceta sollen laut Gabriel folgende Punkte betreffen: die Daseinsvorsorge, die Nachhaltigkeit des Arbeitnehmerschutzes, die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips, den Verbraucherschutz sowie die Unabhängigkeit der Investitions-Schiedsgerichte. Das seien genau die Punkte, die er kürzlich bei seinem Besuch in Kanada mit der kanadischen Handelsministerin Chrystia Freeland angesprochen habe, sagte Gabriel.

In den kommenden Wochen soll die Verhandlungsführerin der EU nun mit ihrer kanadischen Kollegin Chrystia Freeland die Zusatzvereinbarungen ausarbeiten. Ein eigens einberufener Rat der EU-Handelsminister wird dann voraussichtlich am 18.Oktober den Weg für das Vertragswerk freimachen, das dann am 27. Oktober bei einem EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet werden könnte.

Anschließend wäre das Europaparlament an der Reihe: Voraussichtlich bis Januar oder Februar sollen die Abgeordneten in Straßburg den größten Teil des Abkommens vorläufig in Kraft setzen – vorausgesetzt, die von der SPD eingeforderten Konsultationen mit Parlamentariern, Gewerkschaftern und Aktivisten aus den Mitgliedsstaaten verzögern das Prozedere nicht entscheidend. Lediglich einige Teile, die wir der Investitionsgerichtshof in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten fallen, blieben solange außer Kraft, bis alle 38 nationalen und regionalen Parlamente den Vertrag ratifiziert haben.

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet Mitte Oktober in einem Eilverfahren darüber, ob die Umsetzung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada (Ceta) vorläufig ausgesetzt werden muss. Die Verhandlung wurde für den 12. Oktober angesetzt, eine Entscheidung soll bereits einen Tag später fallen, wie das Gericht in Karlsruhe am Freitag mitteilte.

So lautet jedenfalls der Plan, den die Minister in Bratislava skizzierten. Scheitern könnte er aber vor allem noch an der österreichischen Regierung: Bundeskanzler Christian Kern lehnt es bislang ab, Ceta zu unterzeichnen, nachdem eine – allerdings wenig repräsentative – Online-Befragung unter den Mitgliedern seiner sozialdemokratischen Partei eine klare Mehrheit gegen das Abkommen ergeben hatte. Neben anderen versucht nun die Bundesregierung, Kern umzustimmen. In Verhandlungskreisen in Bratislava wurde etwa darauf verwiesen, die Abstimmung habe stattgefunden, bevor die Zusatzerklärungen zu TTIP als weiteres Sicherheitsnetz beschlossen worden sein. Auch Kerns konservativer Koalitionspartner drängt darauf, den Weg für Ceta freizumachen.

Der slowakische Wirtschaftsminister Peter Ziga, dessen Land derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat, gibt sich deshalb zuversichtlich: „Ceta ist auf einem guten Weg“, sagte er.
Ganz im Gegensatz zu den Verhandlungen über TTIP, dem noch unausgereiften Freihandelsabkommen mit den USA. Die Fortschritte bei den Gesprächen mit Washington seien „sehr gering“, so Ziga, daher sei ein „Neustart“ nötig.


Wie könnte ein solcher Neustart aussehen?

Das Wort „Neustart“ fällt im Zusammenhang mit TTIP noch öfter an diesem Tag. Auch Gabriel nimmt es in den Mund. Die laufenden Verhandlungen hält er ohnehin für gescheitert, in diesem Jahr werde es „garantiert kein Abkommen geben“, betonte der Wirtschaftsminister. Unter dem Nachfolger von US-Präsident Barack Obama, dessen Amtszeit im Januar endet, solle dann ausgelotet werden, ob und wie die Gespräche wiederaufgenommen werden könnten.

Wie ein solcher Neustart konkret aussehen könnte, sagt Gabriel allerdings nicht. Womöglich braucht die EU-Kommission dafür auch ein neues Verhandlungsmandat der EU-Staaten, was langwierig werden könnte. Das jetzige Mandat, das ist jedenfalls Gabriels „persönliche Auffassung“, biete „nicht genug Gewähr, dass man gute Regeln bekommt“.

Denn darauf kommt es für Gabriel an: Das Abkommen mit Kanada soll der neue Standard für die Handelsverträge der EU sein – schließlich schüfen darin beide Seiten „erstmals vernünftige Regeln für die Globalisierung“. Sollten die USA den mit Kanada vereinbarten Vorgaben etwa für staatlich berufene Richter an den Investitionsgerichtshöfen nicht akzeptieren, „dann wird es auch kein Abkommen geben können“, so Gabriel. „Europa darf sich den Amerikanern auch nicht unterwerfen, wir müssen schon unsere eigenen Standards hochhalten.“

Die US-Regierung lehnt aber vieles von dem entschieden ab, wozu Kanada bereit. Auch unter einer US-Präsidentin Hillary Clinton scheint schwer vorstellbar, dass Washington etwa auf die aus seiner Sicht bewährten privaten Schiedsgerichte verzichtet oder die „Buy America“-Klauseln bei der Vergabe öffentlicher Aufträge kippt. Sollte Donald Trump die Wahl im November gewinnen, dürfte TTIP ohnehin tot sein.

Die Zukunft von TTIP ist somit höchst ungewiss. Bis sich ein neuer US-Präsident überhaupt dem Thema Freihandel widmet, dürften ohnehin viele Monate, wenn nicht Jahre vergehen. Gabriel wäre das nur recht, denn dann dürfte das leidige Thema TTIP im kommenden Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle spielen.

Kurzfristig aber müssen die Europäer entscheiden, wie sie mit den laufenden Verhandlungen verfahren sollen. Anfang Oktober steht die nächste Gesprächsrunde in New York an. Für einen sofortigen Abbruch, wie ihn Frankreich und Österreich fordern, gibt es keine Mehrheit in der EU. Gabriel plädiert stattdessen dafür, die Verhandlungen auf Expertenebene weiterlaufenzulassen, bis die US-Regierung wechselt. Ein „Endspiel“ auf hoher politischer Ebene, in dem Washington die wesentlichen Streitpunkte angehen will, lehnt er ab.

Und so spricht einiges dafür, dass die EU die Verhandlungsergebnisse zu Jahresende erst einmal „in den Nachttisch legen“ wird, wie es Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europaparlament formuliert. Ob Amerikaner oder Europäer es dort jemals wieder herausholen, scheint angesichts der zunehmend protektionistischen Stimmung auf beiden Seiten des Atlantiks mehr als ungewiss.

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