Freytags-Frage
Shuey Rhon Rhon, offizielles Maskottchen der Olympischen Winterspiele 2022, und Bing Dwen Dwen, offizielles Maskottchen der Winterparalympics 2022 in Peking. Quelle: dpa

Freuen Sie sich auf Olympia 2022?

Ob Olympia in Peking oder Fußball-WM in Katar: Solange die Einschaltquoten stimmen, werden Sportfunktionäre reich, Autokraten können Imagepflege betreiben – und die Unterdrückten werden vergessen. Wie bitter!

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Wer einen Vorgeschmack auf den Charakter der Sportereignisse des gerade begonnenen Jahres bekommen will, muss nur die gegenwärtig laufende Handball-Europameisterschaft in Ungarn und der Slowakischen Republik verfolgen. Deren sportlicher Wert dürfte überschaubar sein, würfelte doch das Coronavirus die Aufstellungen kräftig durcheinander. Ähnlich zufällig könnten die Ergebnisse bei den Olympischen Winterspielen in Peking ab dem 4. Februar ausfallen.

Die Handballmeisterschaft hat wieder einmal klar gemacht, dass die Interessen der Aktiven bei der Funktionärselite keine Berücksichtigung finden. Im Vordergrund stehen die Sponsoren- und Fernsehgelder. Wahrscheinlich hat der Deutsche Handballbund seine Mannschaft, die wirklich arg vom Virus gebeutelt wurde, nur deshalb nicht vom Turnier zurückgezogen, weil dies Sanktionen wie die Disqualifizierung von zukünftigen Turnieren oder die Gefährdung der Ausrichtung der Handball-Europameisterschaft 2024 – immerhin hat sich im Umfeld der deutschen Mannschaft niemand beklagt, sondern das Beste aus der Situation gemacht.

Bei den parallel stattfindenden Australian Open, dem ersten Grand-Slam-Turnier des Tenniszirkus, spielt das Virus keine zentrale Rolle. So hatten die Veranstalter kein Problem mit dem Impfstatus des größten Stars (und damit seiner verfehlten Vorbildfunktion). Ihnen fehlte auch der Mut, freundlich vorgetragene Kritik der Zuschauer an der repressiven chinesischen Vorgehensweise gegenüber einer chinesischen Tennisspielerin zuzulassen. Letzteres zeigt das fundamentale Problem des internationalen Spitzensports – Korruption!

Denn schlimmer noch als das Virus bedrängt der offenkundige Mangel an Anstand und moralischem Kompass der Sportfunktionäre den Sport – und verringert den Genuss des sportinteressierten Publikums erheblich. In entwürdigender Weise geben sich die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) den chinesischen Gastgebern der Olympischen Winterspiele gegenüber unterwürfig. Gleiches gilt für die Leitung des Internationalen Fußballverbandes (FIFA) gegenüber der Regierung in Katar, wo im November und Dezember die Fußball-Weltmeisterschaft (WM) stattfinden wird. Ob die Sportkleidung der Athleten in Peking durch Zwangsarbeit der uigurischen Minderheit hergestellt werden, die Sportanlagen für die Olympiade ökologisch nicht nachhaltig sind oder die Stadien in Katar unter lebensgefährlichen Bedingungen für die schlecht bezahlten Bauarbeiter produziert werden, interessiert die Leitungen des IOC beziehungsweise der FIFA nicht. Man schwadroniert von unpolitischem Sport und Respekt und glaubt, das Problem damit gelöst zu haben.

Und in der Tat gibt es für die Funktionäre nichts zu befürchten. Die Politik in den westlichen Demokratien schaut bislang ebenso weg wie die Fernsehsender, die die Sportereignisse in Hochglanz übertragen und sich – im Fall der deutschen öffentlich-rechtlichem (ÖR) Sender – bei jedem Tor für die deutschen Handballer oder jeder Medaille für eine Rodlerin schier vor Begeisterung überschlagen. Es ist immerhin positiv anzuerkennen, dass im ÖR immer stärker auf die Missstände im globalen Sport aufmerksam gemacht wird – ob Doping oder Korruption, es gibt einige sehr engagierte und kompetente Journalisten, die diese Themen immer wieder aufgreifen. Aber wenn angepfiffen wird, sind diese Stimmen nicht mehr zugeschaltet.

Das Problem ist nicht neu, weswegen auch niemand mehr ernsthaft überrascht ist. Dennoch ist die Schamlosigkeit der Akteure auf Dauer kaum mehr zu ertragen. Solange die Einschaltquoten hoch bleiben und die Menschen die Olympiade oder die Fußball-Weltmeisterschaften für wichtig halten, geht das Kalkül aller Beteiligten auf. Die Sportfunktionäre werden reich, die Fernsehstationen haben hohe Werbeeinnahmen zu verzeichnen, und die Autokraten der Welt können Imagepflege betreiben. Dies ist sozusagen eine win-win-win-Situation, die allerdings die Unterdrückten in den Autokratien vergisst.

Dies ist umso bitterer, als dass in Europa mit Hilfe von Lieferkettengesetzgebung mittelständische Akteure zu kostspieliger Transparenz über die Herkunft ihrer Vorprodukte und besonderer Sorgfalt bei der Wahl ihrer Zulieferer angehalten werden, während das Milliardengeschäft Spitzensport absolut unbehelligt bleibt. Während die Zivilgesellschaft völlig zurecht beim Mittelständler aus Schwaben die Einhaltung der Menschrechte beim Zulieferer aus Bangladesch einfordern, sitzen womöglich deutsche Kabinettsmitglieder im November bei den Spielen der Nationalmannschaft während der Fußball-WM in Katar jubelnd auf Tribünen, bei deren Bau regelmäßig Menschen tödlich verunglückt sind, weil die Sicherheit und Arbeitsschutz am Bau kein Thema war.



Aber es gibt Hoffnung. Für die olympischen Winterspiele in Peking haben zahlreiche prominente Politiker bereits im Vorfeld abgesagt – die Vereinigten Staaten haben einen diplomatischen Boykott angekündigt und sofort den Ärger der chinesischen Regierung provoziert. Auch deutsche Minister werden wohl den Ereignissen in Peking wohl fernbleiben. Dies ist ein Anfang. Auch die Sportler werden immer aufmüpfiger in dem Sinne, dass sie den Funktionären widersprechen und ihre Rechte stärker einfordern, aber auch auf Missstände im Veranstalterland hinweisen. Und es gibt sogar Funktionäre, die Menschenrechtsverletzungen nicht länger hinnehmen – der Frauentennisverband hat wegen der oben erwähnten Repressionen gegen ein chinesische Tennisspielerin Turniere in China abgesagt.

Wenn jetzt noch die Konsumenten mitmachen und den Fernseher nicht einschalten oder die Produkte der Sponsoren nicht kaufen und dann noch darüber reden, könnte sich tatsächlich langfristig etwas ändern. Das sollte eigentlich nicht so schwerfallen, obwohl die Begeisterung für den Sport natürlich grundsätzlich und völlig zu Recht hoch bleibt. Hier könnte die Zufälligkeit der Ergebnisse aufgrund der zu befürchtenden Coronafälle hilfreich sein, weil es keine Freude macht zuzuschauen, wenn die besten Athletinnen und Athleten zum Teil in Quarantäne sind.

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Niedrige Umsätze bei Sponsoren und niedrige Einschaltquoten bei Fernsehsendern können zu Verhaltensänderungen dort beitragen. Sie könnten sich veranlasst sehen, Druck auf die Sportfunktionäre auszuüben – auch hier gibt es ein positives Beispiel, nämlich die Absage der Spiele der letzten Eishockey-WM im Frühjahr 2021 in Weißrussland. Das wiederum macht es Autokraten schwerer, die globale Öffentlichkeit zu täuschen.

Es ist sicherlich naiv, hier an schnelle Abhilfe zu glauben. Aber es nicht unmöglich. Für Olympia werde ich in den nächsten Wochen den Fernseher nicht anschalten.

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