Freytags-Frage
Venezuela: Die Krise ist charakteristisch für den Sozialismus Quelle: imago images

Ist der venezolanische Sozialismus untypisch?

Die Machthaber in Venezuela machen imperialistische Mächte für die Wirtschaftskrise des einst wohlhabenden Landes verantwortlich. Auch hiesige Linke wollen nicht wahrhaben: Die Misere ist charakteristisch für alle sozialistischen Regime.

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Seit Monaten, wenn nicht seit Jahren steckt Venezuela in der Krise. Der mit illegitimen Methoden im Amt verbleibende Regierungschef Maduro und der selbsternannte (und durch das Parlament legitimierte) Präsident Guaidó blockieren sich gegenseitig und reklamieren die Macht jeweils für sich. Dabei nimmt Maduro die Bevölkerung in Geiselhaft, indem er bewusst die schlechte Versorgungslage verlängert. Er kann sich dabei bislang auf die Armee verlassen, der wiederum Guaidó vor wenigen Tagen ein Angebot unterbreitet hat, das ihre Macht weitgehend sichert.

Die Beurteilung der Lage ist für die meisten Beobachter in Demokratien eindeutig. Die chavistische Revolution, auch als Sozialismus des 21. Jahrhunderts bezeichnet, hat das einstmals wohlhabende Land in den Ruin getrieben und die meisten Bürger des Landes damit ins Elend gestürzt. Millionen venezolanische Flüchtlinge in den Nachbarstaaten legen darüber Zeugnis ab; eine kleine Clique profitiert; die Regierung hält ihre Macht nur mit Hilfe eines umfassenden Unterdrückungsapparates.

Insofern scheint das Ergebnis charakteristisch für sozialistische Experimente – vergleichbar mit den langfristigen Entwicklungen in der DDR, Nordkorea, der Sowjetunion oder Kuba – zu sein. Es herrscht weitgehend Einigkeit in dieser Frage. In Deutschland stellt die Linkspartei diesen Befund in Frage. Einige Vertreter sehen Maduro als rechtmäßigen Präsidenten und feiern ihn für seine gute Politik. Die unübersehbaren Probleme des Landes werden imperialistischen Mächten, sprich den Vereinigten Staaten, zugeschrieben. Man solle die Menschen dort selber entscheiden lassen (als ob sie es nicht versuchten!).

So weit geht die Parteispitze der Linken nicht; dort kritisiert man Maduro und behauptet, dass Maduro keine echte linke und sozialistische Politik betreibe. Grundsätzlich stimme die Richtung, die Chavisten seien im Prinzip berechtigt an der Macht, Maduro übertreibe etwas. Auf jeden Fall, so Frau Kipping kürzlich im Interview, sei die Anerkennung von Guaidó durch die Bundesregierung und andere westliche Regierungen unangemessen und imperialistisch.

Ist Venezuela wirklich ein untypischer Fall eines sozialistischen Landes? Wäre es wirklich möglich, eine sozialistische Politik zu betreiben, die Wohlstand, Nachhaltigkeit, Frieden und Freiheit erreicht?

Für die Antwort auf diese Frage, die gerade in der Krise des globalen Kapitalismus wieder an Bedeutung gewonnen hat, muss man sich die wesentlichen Eigenschaften eines sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells vor Augen führen.

  • Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Die Unternehmen können nicht länger privat sein, Eigentumsrechte müssen aufgeweicht werden.
    Die Folgen sind recht klar: Das wird Widerstand hervorrufen, der im Zweifel mit Gewalt gebrochen werden muss. Außerdem sorgen fehlende private Eigentumsrechte nicht für einen pfleglichen Umgang mit dem Kapital (und der Umwelt). Auch werden Innovationen unterbleiben, da die Erträge daraus nicht individuell genutzt werden können.

  • Zentralverwaltungswirtschaft. Sozialisten lehnen den Wettbewerb ab, weil sie ihn für unmenschlich halten. Sie haben einen Punkt, übersehen aber, dass Wettbewerb auch Macht kontrolliert. Anstatt private Monopole auf Märkten mit Hilfe der Wettbewerbspolitik zu verhindern, setzt man im Sozialismus auf staatliche Monopole.
    Die Folgen: Deren Akteure sind nicht notwendigerweise menschlicher als private Monopolisten. Monopole sind zudem nicht am Kunden interessiert, weil sie keinen Wettbewerber haben, der sie dazu zwingt. Außerdem kann man zentral die zahllosen Informationen nicht verarbeiten, die es auf den Märkten gibt und die von Marktakteuren dezentral verarbeitet werden können. Markt und Wettbewerb sind übrigens Instrumente, keine Ziele - das verwechseln manche Leute aller politischen Lager regelmäßig.

  • Einheitlichkeit und Gleichheit als Ziel. Die Menschen sollen erstens gleich sein. Diese Zielvorgabe ist insofern eng, als dass Gleichheit nicht als Chancengleichheit sondern als Ergebnisgleichheit interpretiert wird. Zweitens werden soziale Interaktionen regelmäßig in Einheitsorganisationen (Gewerkschaften, Jugendverbände etc.) organisiert. Die Folgen: Buntheit und breit gefächerte Lebensentwürfe sind mit Sozialismus nicht vereinbar. Unterscheide in Fähigkeiten und Präferenzen werden damit ignoriert; viele Menschen müssen dann so leben und arbeiten, wie sie es freiwillig nicht täten. Individuelle Freiheit und Unternehmertum haben so keine Chance.

Als Ergebnis wird sich aller Erfahrung nach (ohne Ausnahme) folgendes einstellen: Die Wirtschaft entwickelt sich negativ, Investitionen und Innovationen unterbleiben, die Umweltqualität verschlechtert sich – und dies alles nicht, weil die Menschen nicht wollten. Die Anreize geben es nicht her.

In freien Wahlen würden die Sozialisten dann wohl abgewählt – auch die KPD in der DDR hat anfangs die Wahlen systematisch nicht gewonnen. Erst als die anderen Parteien verboten wurden und die Sozialistische Einheitspartei (SED) zwangsweise gegründet wurde, stimmten die Wahlergebnisse aus Sicht der Regierung. Allerdings mussten die Menschen dafür kontrolliert und unterdrückt werden.

Also müssen Wahlen im Sozialismus manipuliert werden, wenn das sozialistische Experiment nicht abgebrochen werden soll. Jede Opposition und schließlich jede kritische Frage muss dann konsequenterweise unterdrückt werden. Das fängt in den Politik an, setzt sich in den Hochschulen fort – liberale Ökonomen werden nicht mehr gebraucht und stören nur – und reicht bis in die Betriebe, Schulen und Kindergärten.

Ein umfangreicher Überwachungs- und Unterdrückungsapparat ist die logische Konsequenz eines sozialistischen Wirtschaftssystems. Denn ohne einen solchen Apparat wird es abgewählt. Das genau ist in Venezuela bereits mehrfach geschehen (ohne dass die Chavisten das Ergebnis respektiert hätten). Selbst China und Vietnam können als Gegenbeispiel nicht überzeugen. Die chinesische Regierung hat ein nie gesehenes Überwachungssystem installiert und hält Hunderttausende Kritiker in Umerziehungslagern gefangen. Vietnam steht ebenfalls vor der Frage, ob der Sozialismus überleben kann. Wenn ja, dürfte es mit dem ökonomischen Aufschwung bald vorbei sein. Aufholen scheint in sozialistischen Systemen zwar möglich zu sein (im chinesischen Fall von einer sehr niedrigen Basis), dauerhafter Wohlstand und Freiheit sind wohl nicht möglich.

Das Fazit dieser Überlegungen ist, dass der Chavismus in Venezuela eher sehr typisch als untypisch für sozialistische Politik ist. Die Logik des Systems führt zu Armut und Unterdrückung. Insofern muss man sich klar darüber sein, dass wer Parteien, die Sozialismus versprechen, wählt, am Ende eher für das „System Maduro“ stimmt. Selbst wohlmeinende Sozialisten können der Falle nicht entkommen.

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