Freytags-Frage

Warum wählen die Menschen wirklich die AfD?

Die AfD ist groß geworden, weil die CDU nach links gerückt ist. So lautet ein gängiges Erklärungsmuster. Doch was, wenn die AfD groß geworden ist, weil unsere politische und ökonomische Ordnung durcheinander geraten ist?

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Ein abgerissenes Wahlplakat der AfD liegt am 09.03.2016 auf einer Wiese in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt). Quelle: dpa

Am vergangenen Wochenende hat sich dieser Trend in den Umfragen auch praktisch bestätigt, und die AfD konnte recht große Erfolge bei den Kommunalwahlen in Hessen feiern. Das Gejammer ist groß, und viele Beobachter drücken Ihr Erschrecken oder gar ihre Empörung über die offenkundig rechtsextreme Haltung rund eines Neuntels bis Achtels der Wähler aus. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Wahlbeteiligung wieder nur bei 48 Prozent lag. Vermutlich kann die AfD ihr Wählerpotenzial im Moment recht gut aktivieren, so dass man erwarten kann, dass eine steigende Wahlbeteiligung die Zustimmung für sie senken würde. Empörung ist allerdings generell keine zielführende Reaktion, denn ersetzt sie erstens keine Argumente und sorgt zweitens nur für Befriedigung bei der AfD, die ja gerne provoziert.



Dies gilt vor allem dann, wenn die Empörung von den anderen Parteien und deren prominenten Mitgliedern ausgeht. Hilfreich scheint eher die Analyse der Motive der Wähler, eine Partei zu wählen, die ausschließlich mit Hass und Ängsten operiert, aber keine Lösungen anbietet, und deren Parteispitze keineswegs durchgängig die moralischen Standards erfüllt, die sie an andere Politiker und vor allem an Ausländer anlegt. Eine Erklärung ist bereits hinlänglich diskutiert worden und trifft sicherlich ein Stück zu: Die Christlich Demokratische Union (CDU) hat sich nach links bewegt und dabei etliche konservative Positionen aufgegeben. Man kann einerseits begrüßen, wenn die Partei moderner wird, weil zum Beispiel der Widerstand gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften aufgegeben oder Umweltschutz in den Fokus gerückt wird. Andererseits raubt dieser Schritt nach links vielen Konservativen, die sich schwer tun mit derartigen Veränderungen, die Heimat.

Sie mögen sich bei der AfD besser aufgehoben fühlen. Das klingt plausibel, aber nicht in diesen Massen. Der Modernisierungsprozess dieser Art in der CDU ist kein Phänomen der letzten beiden Jahre, sondern läuft schon länger. Er spiegelt vermutlich auch einen gesellschaftlichen Trend wider; es ist ohnehin nicht zu vermuten, dass politische Parteien die innovativsten Organisationen des Landes sind. Insofern muss angenommen werden, dass ein Konservativer heute moderner ist als ein Konservativer vor dreißig Jahren. Außerdem bekommt die AfD aus allen Parteien Zulauf und nicht nur von der CDU. Eine andere Erklärung wird gegenwärtig überhaupt nicht öffentlich diskutiert, obwohl sie doch naheliegt. Im Grunde kann man sie schon auf den Aufstieg der ersten Version der AfD, der Lucke-Version, die sich gegen die Eurorettungsmaßnahmen wandte, anwenden. Nach dieser Lesart hat die Aufgabe von Ordnung – sowohl im politischen Raum als auch in der Wirtschaftspolitik – zur Beunruhigung vieler Menschen und schließlich zum Aufstieg einer Partei der primitiven Phrasen und des simplen „Dagegen!“ geführt.

Politische & wirtschaftliche Ordnung

Zur politischen Ordnung 1: Eigentlich sieht der Vertrag von Dublin vor, dass Asylverfahren in dem Mitgliedsland der Europäischen Union (EU) durchgeführt werden müssen, in dem die Flüchtlinge ankommen, also sicheren Boden betreten. Dies ist in der Tat nicht einfach, weil dadurch die südlichen Mitgliedsländer möglicherweise überfordert werden. Ein stillschweigendes Aussetzen ist allerdings auch keine vernünftige Lösung, weil damit die Rechtsordnung nicht geändert, sondern schlicht missachtet wird.

Zur politischen Ordnung 2: Angesichts der steigenden Zahlen an Zuwanderung kommt es dazu, dass die europäischen (Schengenraum) sowie die deutschen Grenzen weniger sicher sind beziehungsweise wirken. Auch die schleppende Erfassung der Flüchtlinge und ihre scheinbar willkürliche Verteilung dürften die Menschen verunsichern bzw. verunsichert haben.

Zur politischen Ordnung 3: Schließlich lassen die Ereignisse der Silvesternacht in einigen Metropolen den Eindruck entstehen, die Polizei ist nicht gut genug gerüstet, um möglicher Konflikte mit Flüchtlingen oder deren krimineller Handlungen Herr zu werden.


Das Hinauszögern der Nachrichten hat diesen Eindruck nur verstärkt. So entsteht Angst um die eigene Sicherheit bei vielen. Bei der öffentlichen Sicherheit wird die Aufgabe von Ordnung am ehesten spürbar. Gleichzeitig werden die extremen Kräfte ermutigt, Gewalt anzuwenden; dies betrifft die Neonazis und die Linksextremen gleichermaßen. Auch die Ohnmacht der Polizei dagegen schürt die Angst. Weniger Ausländer ins Land zu lasse, so die simple These, hilft dagegen. Das ist zwar Blödsinn, zieht aber.

Zur wirtschaftlichen Ordnung 1: Die Flüchtlingskrise trifft Europa in einer Phase wirtschaftlichen Chaos; Deutschland im Moment ausgenommen. Längst gelten die Regeln der Eurozone nicht mehr, was die Lage in Südeuropa nicht verbessert hat, sondern eher nachhaltig verschlechtert. Politische Reaktionen auf die Eurokrise sind und waren kurzatmig und an den gültigen Regeln vorbei. Dies hat den Aufstieg der AfD erst bewirkt, damals noch als rechtsliberale Professorenpartei mit nachvollziehbarer Kritik an den Rettungsmaßnahmen und des nicht überzeugenden Zusammenspiels von Geld- und Fiskalpolitik. Schon damals war die Antwort der etablierten Politik keine sachorientierte, sondern Empörung und Beschimpfung der Kritiker; die Regeln aber wurden und werden weiter nicht eingehalten.

Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?

Zur wirtschaftlichen Ordnung 2: Vorschläge wie derjenige des Wirtschaftsministers, jetzt ein Sozialpaket für Deutsche auflegen zu lassen, wirken wie ein bloße Reaktion auf die billige Rhetorik der AfD und scheinen den Vereinfachern Recht zu geben. Sie sind falsch, weil sie weder die Integration der Flüchtlinge voranbringen noch für eine Verbesserung deutscher Arbeitsloser beitragen können. Sie zeigen auch das Fehlen jedes Sinns für die Rolle von Regeln und langfristorienteirter Politik bei den wirtschaftspolitisch Verantwortlichen. Sie wirken immer wie Getriebene und scheinen keinen Kompass zu besitzen. Fasst man zusammen, stellt man eine fatale Schwäche der politisch Verantwortlichen fest, die auf die Herausforderungen der Gegenwart ohne ein überzeugendes Paradigma und eine plausible Argumentationskette reagieren. Viel zu häufig ersetzen Beschwörungen Strategien.


In dieser Situation haben es diejenigen Kräfte leicht, die mit Anfeindungen und simplen Lösungen Stimmung machen. Sie werden geradezu dazu eingeladen. Diese Diagnose hat ein Gutes, wenn sie stimmen sollte. Die Regierung hat immer die Möglichkeit, die Ordnung im politischen und wirtschaftlichen Sinne wiederherzustellen. Denn selbstverständlich ist keine Regierung dazu gezwungen, gegen internationale Verträge und Regeln des Zusammenlebens permanent zu verstoßen. Es würde sicherlich auch helfen, dem „Wir schaffen das!“ eine Diskussion der dazugehörigen Mittel hinzuzufügen, damit die Menschen sich mitgenommen und informiert fühlen. Es reicht politisch auf jeden Fall nicht, sich zu empören, um die AfD in die Bedeutungslosigkeit zurückzuschicken. Erste Schritte sind zu erkennen, sie kommen hoffentlich noch rechtzeitig.

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