In Davos tagt wieder einmal das World Economic Forum (WEF). Etwa 2500 der weltweit wichtigsten Entscheider treffen sich, um das Schicksal der Welt zu besprechen und ein wenig Ski zu laufen. Seit den frühen Siebzigerjahren findet diese Veranstaltung statt, meist mit viel Medienrummel verbunden.
Aber kann es überhaupt so etwas wie ein globales Spitzentreffen geben, auf dem bindende Entscheidungen für die ganze Welt gefällt oder wenigstens vorgedacht werden? Kommt mehr heraus als heiße Luft, wenn sich Präsidenten und Unternehmer, Rockstars und Nobelpreisträger treffen, um die Krisen zu analysieren und zur Lösung beizutragen versuchen?
Die wichtigsten WEF-Termine 2015
Während die russische Delegation mit wenig bekannten Gesichtern auskommen muss, reist für die Ukraine der Präsident Pedro Poroschenko persönlich nach Davos. Er spricht am Mittwoch, 15.30 Uhr, über die Zukunftsperspektiven seines Landes.
Mario Draghi dürfte am Donnerstag die umstrittenen ausgeweiteten Anleihenkäufe der EZB bekanntgeben. Einen Tag später, Freitag, 23. Januar, 13 Uhr, debattieren Finanzminister Wolfgang Schäuble, der britische Schatzkanzler George Osborne und Investor George Soros über die Geldpolitik der EZB. Dass die deutsche Sichtweise von der angloamerikanischen abweicht, dürfte die Debatte beleben.
Ebenfalls am Freitag, 23. Januar, steht der Kampf gegen den Terrorismus auf der Tagesordnung. Neben dem französischen Präsidenten François Hollande, der ab 11.30h kurz auf die Anschläge von Paris eingehen wird, werden sich US-Außenminister John Kerry (16.40h) und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi äußern, wie der islamistische Terrorismus eingedämmt werden kann (Do., 11.30h).
Al Gore ist einer der bekanntesten Warner und Mahner in der Klimapolitik. Der ehemalige US-Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger ruft die Welt am Mittwoch, 10 Uhr, zum Handeln auf. In weiteren Diskussionsrunden erklärt er, was er vom Klimagipfel Ende 2015 erwartet.
Immerhin diskutieren die Teilnehmer seit Jahren die französische Wirtschaftskrise und verlangen Strukturreformen, ohne dass dies in Paris überhaupt nur wahrgenommen zu werden scheint. Die französische Regierung schafft es nicht, sich gegen die organisierten Interessen, die vom Status Quo profitieren, durchzusetzen; man hat noch nicht einmal den Eindruck, dass sie es ernsthaft versucht. Die Diskussionen in Davos helfen da offenbar auch nicht weiter.
Große Pluspunkte
Selbstverständlich kann eine derart große und konsequent mit Eitelkeiten spielende Veranstaltung keinen Durchbruch in irgendeiner Krise bringen; es gibt ja noch nicht einmal ein Forums-Kommuniqué mit gemeinsamen Zielsetzungen. Auch ist das Forum zu groß und hell, um echte und entscheidend Hinterzimmer-Gespräche zu erlauben, ohne dass diese irgendwann doch bekannt würden (obwohl man vermuten darf, dass es gelegentliche geheime Treffen gibt).
Also: lieber Ski laufen und die Reporter nach Hause schicken?
Man würde dem World Economic Forum Unrecht tun, wenn man es dabei belassen würde. Immerhin hilft ein solches großes Treffen zunächst einmal dabei, sich kennenzulernen und Vertrauen zu schaffen. Es ist eben doch kein Staatsbesuch mit Protokoll, wenn sich Herr Hollande mit Frau Merkel trifft; es ist auch keine offizielle Beratung mit Procurement-Regeln, wenn Frau Lagarde mit Wissenschaftlern kommuniziert und diskutiert. Die Regelmäßigkeit der Veranstaltung schafft Vertrauen, dies ist der erste große Pluspunkt.
Ein Ideengeber
Zweitens – und dies ist sicherlich ebenso wichtig – ist das WEF ein Ideengeber. Es finanziert etwa 80 Kommissionen mit (nebenamtlichen) Experten, die regelmäßig zu einzelnen Fragen (zum Beispiel Außenhandel, Entwicklung, Urbanisierung) zusammenarbeiten und zum Teil sehr lesenswerte Beiträge zu aktuellen Themen verfassen. Das kann man zu Recht als meinungsbildend bezeichnen. Hier bietet das WEF den zweiten Pluspunkt, den man von der realen Bedeutung her durchaus noch über den ersten setzen kann.
Die spektakulärsten WEF-Gäste 2015
Anders als Angela Merkel hat der französische Präsident bisher das Gipfeltreffen in den Schweizer Bergen gemieden. Er schickte im Vorjahr seinen Finanzminister vor. Schon im Herbst reifte der Wunsch Hollandes, 2015 beim WEF auf die Wirtschaft zuzugehen, um der französischen Volkswirtschaft neues Leben einzuhauchen.
Seit August 2005 ist Abdullah der absolutistische König und Premierminister von Saudi-Arabien, dem Land – nach Venezuela – mit den zweitgrößten Erdölreserven der Welt. Der fallende Ölpreis ist eines der großen Themen in Davos. Die internationalen Spitzenmanager reißen sich hinter den Kulissen um ein Treffen mit Abdullah. Aber nicht, weil sie über den Ölpreis sprechen wollen, sondern weil das große Geschäft winkt.
Die Bundeskanzlerin, bereits 1993 vom Weltwirtschaftsforum zum „Young Global Leader“ gekürt, ist Dauer-Gast in Davos. Während sie sich in den Vorjahren kritische Fragen zu ihrer Euro-Rettungspolitik gefallen lassen musste, spricht sie in diesem Jahr über die „Globale Verantwortung im digitalen Zeitalter“.
Ein weiteres großes Thema beim WEF ist die Ukraine-Krise. Der Präsident des Krisenlandes reist persönlich nach Davos, um seine Zukunftsvisionen für sein Land darzulegen. Anders als die Ukraine ist Russland dieses Mal nicht mit der ersten Reihe seiner politischen Führung vertreten.
China kommt mit einer fünfköpfigen Delegation in die Schweiz, darunter Regierungschef Li Keqiang. Das ist die ranghöchste Delegation seit 2009. Die Unternehmer interessiert besonders, wie China auf die nachlassenden Wachstumsraten reagieren will.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds ist ebenfalls Dauergast in Davos. Während sie in den Vorjahren die Politik der Troika gegenüber den Kreditnehmerländern wie Griechenland verteidigte, wird sie dieses Mal über Wirtschaftswachstum und die zunehmende soziale Ungleichheit sprechen.
Der ehemalige US-Vizepräsident und Friedensnobelpreisträger schwört die Unternehmen auf den Klimaschutz ein. Diese Frage dürfte vor allem im zweiten Halbjahr 2015 an Gewicht gewinnen: Ende des Jahres stehen in Paris Klimaverhandlungen an. Al Gore erklärt vorab, was bei den Verhandlungen auf dem Spiel steht.
Der Rapper und Hip-Hop-Produzent hat sich in den vergangenen beiden US-Wahlkämpfen für Präsident Barack Obama stark gemacht. Neben der Musik und der Politik engagiert sich das Mitglied der „Black Eyed Peas“ in der Wirtschaft. Er gilt als Vordenker, ist Chief Creative Officer (CCO) des 3D-Druck-Unternehmens „3D Systems“ und hat eine eigene Automarke mit dem Namen IAMAUTO gegründet.
Der Volkswagen-Chef wird ebenfalls in Davos erwartet. Er führt eine ganze Reihe von Dax-Vorständen an, die in die Schweiz reisen. So sind unter anderem auch Siemens-Boss Joe Kaeser, der Deutsche-Bank-Chef Anshu Jain oder der CEO der Deutschen Post AG, Frank Appel, vor Ort.
Daran knüpft sich der dritte Pluspunkt an. Diese Ergebnisse der Arbeit in den Kommissionen fließen in die Agenda der Davoser Treffen ein. Auf der Website finden sich die aus Sicht des WEFs zehn wichtigsten Themen der Gegenwart und die damit verbundene Agenda des diesjährigen Treffens. Das WEF kann so Debatten stimulieren.
Diese Themen auf der Agenda 2015 sind allerdings so allgemein, dass sie beinahe wieder beliebig wirken. Beispielhaft seien, Ungleichverteilung, Arbeitslosigkeit, mangelnde Führungsqualitäten, der Klimawandel und Schwächung der Demokratie genannt. Diese Probleme bewegen nahezu jeden, und sie tun dies schon seit Jahrzehnten, mal mehr, mal weniger.
Insofern ist die Wirksamkeit des WEF begrenzt: Es hat keine Macht, und seine Themen sind die Themen der Zeit ohne ein spezifisch eigenes Profil. Hier könnte durchaus eine Zuspitzung erfolgen, damit das konzept in der Zukunft weiterhin attraktiv leibt.
Eine französische Reformoffensive?
Die Frage, wer die Welt regiert, beziehungsweise wo die Entscheidungen gefällt werden kann, bleibt offen. Angesichts der Komplexität der globalen Beziehungen verbietet sich wohl ein naiver Optimismus dergestalt, dass man nur die mächtigsten, klügsten und schönsten Menschen gemeinsam in ein Kongresszentrum oder auf eine Skipiste einladen muss, um die Probleme der Welt zu lösen; das war aber auch nie die Sicht der Veranstalter.
Gleichzeitig kann allen Kritikern und Protestlern in Davos gesagt werden, dass dieser Befund auch irgendwelchen Verschwörungstheorien über die Ausbeutung der Welt durch einige wenige – zum Beispiel die Büttel des globalen Kapitals – die Grundlage nimmt.
Politische Entscheidungen sind fast immer Kompromisse, die weder reinen Lehrbuchlösungen folgen noch auf simplen Verschwörungen beruhen. Interessen spielen immer eine Rolle, aber keineswegs immer dieselben. Die politische Dynamik darf nicht unterschätzt werden; das gibt selbst für Frankreich noch ein wenig Hoffnung. Vielleicht wird ja in Davos in diesem Jahr eine französische Reformoffensive vorbereitet!